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TV-Tipp des Tages: "Doppelleben" (NDR)
TV-Tipp des Tages: "Doppelleben", 9. September, 23.15 Uhr auf NDR Fernsehen
Zwei Frauen führen ein "Zweitleben als Kanzlerin" und sind die Hauptfiguren in diesem Dokumentarfilm von Douglas Wolfsperger. Eine von ihnen trat bei "Verstehen Sie Spaß?" auf und tanzte mit Udo Lindenberg in einem Musikvideo; die andere schwingt politische Reden: auf Demos, auf Messen oder im Fernsehen.

Die Vorstellung ist ebenso faszinierend wie beunruhigend: Man schlüpft in eine andere Rolle und gewinnt auf diese Weise ein völlig neues Selbstwertgefühl. Die Wandlung erinnert in gewisser Weise an die Möglichkeit, im Internet oder in einem Videospiel eine neue Persönlichkeit zu modellieren, einen Avatar. Mit dem Unterschied allerdings, dass die Metamorphose im richtigen Leben stattfindet: weil aus einer Lübecker Hausfrau Angela Merkel wird.

Die Folgen einer Metamorphose

Ganz normale Menschen, die aus ihrem gewohnten Leben heraustreten: Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Dokumentarfilme von Douglas Wolfsperger ("Bellaria – So lange wir leben"). Kein Wunder, dass ihn die Vorstellung fasziniert hat, sich intensiv mit Susanne Knoll auseinander zu setzen. In seinem Film geht es daher auch weniger um die Karriere, die die Lübeckerin als Merkel-Double erlebt hat. Im Zentrum steht die Frage, was vorübergehende Verwandlungen dieser Art mit einer Persönlichkeit anstellen: Welche Folgen hatte es für Knoll, immer wieder in die Rolle einer der wichtigsten Frauen der Welt zu schlüpfen? Gerade der psychologische Aspekt ist dabei sehr reizvoll, schließlich ist bislang weitgehend unerforscht, wie Menschen, die sich im Videospiel durch einen mächtigen Avatar verkörpern lassen, anschließend mit ihrem deutlich weniger ausgeprägten Ich in einer wesentlich weniger spektakulären Realität klarkommen. Bei Knoll hatte der gelegentliche Rollenwechsel allerdings ungeahnte positive Folgen: Sie wurde im eigenen Leben selbstbewusster und risikofreudiger und ging schließlich gar in die Kommunalpolitik; für die SPD.

Um Knoll herum gruppiert Wolfsperger Zeitgenossen, die maßgeblich zu ihrer Metamorphose beigetragen haben: der Mann, der sie zufällig entdeckte; der Manager, der sie unter Vertrag nahm; die Töchter, die überrascht und beeindruckt Zeuge wurden, wie sich ihre in Folge diverser Schicksalsschläge zu Depressivität neigende Mutter verwandelte; und schließlich die Südbadenerin Marianne Schätzle, eine weitere Merkel-Doppelgängerin, die eine ungleich ausgeglichenere Zeitgenossin ist und daher als Protagonistin eines Films weniger reizvoll als Susanne Knoll mit ihren biografischen Brüchen. Faszinierend ist vor allem der physiognomische Vergleich der beiden Frauen, die einander überhaupt nicht ähnlich sehen, aber Angela Merkel auf verblüffende Weise gleichen.

Wie immer arbeitet Wolfsperger auch diesmal mit provokanten Anschlüssen und Momenten inszenierter Realität, was mitunter zu skurrilen Szenen führt: weil die Menschen angesichts der Doppelgängerin selbst dann noch befangen sind, wenn sie wissen, dass es sich um ein Double handelt. Besonders bizarr wirken die Auftritte eines Mannes aus Leipzig, der sich als Double Bill Clintons vermarktet, aber nicht mal englisch kann. Mit Marianne Schätzle mischt sich Wolfsperger kurz nach der Fukushima-Katastrophe in Neckarwestheim unter die AKW-Demonstranten.

Außerdem setzt er sie in Biblis der Diskussion mit dem Mitarbeiter eines Atomkraftwerks aus, der ganz ernsthaft die Fachkompetenz seiner Gesprächspartnerin in Frage stellt, obwohl es sich dabei offenkundig nicht um die Bundeskanzlerin handelt.

Großen Anteil an der Unterhaltsamkeit des Films hat die Musik: Sie stammt von Mathias Dietrich und Wolfgang Lenk von den Prinzen. Darüber hinaus lernt man nicht nur eine Menge über das Geschäft mit Doppelgängern, sondern auch über die unterschiedliche Körpersprache in Ost und West.