Religion als Wahlfach oder verpflichtend? Konfessionsgebunden oder interreligiös?
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Religion als Wahlfach oder verpflichtend? Konfessionsgebunden oder interreligiös?
Bundestagswahl: Was die Parteien zu Schule und "Reli" sagen
Fast 800 Seiten umfassen die Wahlprogramme der fünf Bundestagsparteien insgesamt. Schwierig, da vor der Wahl am 22. September einen Überblick zu bekommen. Wir haben uns die Programme angeschaut und bei den Parteien nachgefragt. Zweimal pro Woche bis zur Wahl stellen wir die verschiedenen Positionen zu einem bestimmten Thema dar: Heute zur Schulpolitik und zur Frage nach dem gemeinsamen Religionsunterricht.

Im Bereich "Bildung" liegt die zentrale Verantwortung bei den Bundesländern. Dadurch haben wir in Deutschland eine zerklüftete Schullandschaft mit 16 unterschiedlichen Schulkonzepten, Unterrichtsformen, Versetzungsordnungen sowie Lehrplänen. Dennoch lässt sich in den Aussagen der Parteien auch im Bereich "Bildung" auf Bundesebene eine Richtung erkennen.

In Hamburg ist er einmalig: der interreligiöse Unterricht an öffentlichen Schulen. Christliche, muslimische und jüdische Schüler lernen dort gemeinsam, in einem von den Religionsgemeinschaften verantworteten Unterricht. In allen anderen Bundesländern findet der Religionsunterricht sortiert nach Konfessionen statt, teilweise verpflichtend, teilweise als Wahlpflichtfach - wie stehen die Parteien dazu?

CDU/CSU

Die Unionsparteien sprechen sich ausdrücklich gegen die Einheitsschule aus, sie sei ein Irrweg und das Gymnasium sollte weiter bestehen. Sie planen, die Bildungsausgaben des Bundes weiter zu steigern, "seit 2005 haben wir die Ausgaben für Bildung Jahr für Jahr erhöht", heißt es im Wahlprogramm der Union. Schulen in freier und privater Trägerschaft sollen verstärkt unterstützt werden - denn sie "garantieren Vielfalt", so das Programm. Öffentliche sowie private Bildungsausgaben möchten CDU/CSU steigern. Zu dem "Pakt für gute Bildung" zählt für die Partei: Der Ausbau der Ganztagsbetreuung, eine Verbesserung der Lehrerausbildung sowie "Schule 2.0" - unter diesem Motto betonen die Unionsparteien, sie wollen Schule und Ausbildung mit digitalen Lernangeboten, moderner Computertechnik sowie einer besseren Vernetzung der Schulen untereinander verstärkt verbinden.

Die Unionsparteien bekräftigen, dass die zentrale Verantwortung für Bildung bei den Ländern liege. Gleichzeitig fordern sie eine bessere Vergleichbarkeit der Abschlüsse zwischen den einzelnen Ländern und streben gemeinsame Prüfungsstandards an.

Der konfessionsgebundene Religionsunterricht müsse weiterhin ein eigenständiges Fach sein - eine Abschaffung würde "den Weg zu einer Aushöhlung der für unsere Gesellschaft prägenden christlichen Werte" ebnen, heißt es im Programm der Union. Fächer wie Philosophie und Ethik seien kein Ersatz für den Religionsunterricht, ergänzt die Partei.

SPD

Die soziale Gerechtigkeit, für die die SPD steht, fordert die Partei auch im Bildungsbereich: Jeder soll gleiche Chancen und Perspektiven haben, "unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Weltanschauung". Die Sozialdemokraten betonen das Recht auf Teilhabe für alle Kinder und Jugendliche und spricht sich daher für inklusives Lernen aus. Unabhängig von der Schulform setzt sich die SPD für die Ganztagsschule ein, denn dieses Konzept biete mehr Zeit zum Lernen. Und: Bildung solle gebührenfrei sein. Außerdem möchte die SPD in Zusammenarbeit mit den Ländern den Stellenwert der Lehrerausbildung stärken sowie vermehrt auf leistungsfähige Schulsozialarbeit setzen. Darüber hinaus fordert die Parei nationale Bildungsstandards, um die Leistung von Bundesland zu Bundesland besser vergleichen zu können.

Das "solidarische Miteinander", für das Kirchen und Religionsgemeinschaften kämpfen, ist aus Sicht der SPD wichtig für eine bessere Gesellschaft. Insofern leiste der Religionsunterricht einen "wichtigen Beitrag zur religiös-ethischen Orientierung, zur allgemeinen Wertebildung und zur Kenntnis verschiedener Konfessionen und Religionen", so ein Sprecher der SPD. Die Partei weist auf die föderale Verantwortung der Bundesländer hin, spricht sich jedoch für den bekenntnisorientierten Religionsunterricht auf Basis des Grundgesetzes aus, zumal mit dieser Unterrichtsform gute Erfahrung gemacht werde. Den gemeinsamen Unterricht, wie er in Hamburg praktiziert wird, sieht die SPD als Einzelfall.

Bündnis 90/Die Grünen

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Bündnis90/Die Grünen fordern eine neue "Bildungsoffensive". Die Bildungseinrichtungen sollen inklusiv und partizipativ sein. "Dort werden Kinder, Schülerinnen und Schüler sowie Studierende nicht verplant, sondern sie können sich einmischen und mitgestalten" - mit selbstverwalteten Strukturen wie Schülervertretungen, so das Wahlprogramm. Dabei sollten nicht die Kinder der Schule angepasst werden, sondern vielmehr die Schule den Bedürfnissen Kindern. Die Partei steht für ein Bildungssystem, "das nicht nur kognitive Fähigkeiten, sondern eine Vielzahl von Kompetenzen vermittelt und fördert". Wichtig ist den Grünen außerdem, Bildungseinrichtungen vom sozioökonomischen Hintergrund abzukoppeln.

Bündnis90/Die Grünen fordern, dass Kinder länger gemeinsam an einer Schule lernen - in barrierefreien Ganztagsschulen. Sie sprechen sich für mehr Schulsozialarbeiter aus, denn sie "leisten einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung einer Schule, die Kinder und Jugendliche gerade auch in schwierigen Lebensphasen individuell fördert."

Josef Winkler, Grünen-Sprecher für Religionspolitik verweist auf das Grundgesetz, wonach der Religionsunterricht als reguläres Fach den Regelfall darstellt - die genaue Gestaltung liege dabei in der Kompetenz der Länder. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei diese Entscheidung logisch gewesen, da die deutsche Bevölkerung fast komplett Mitglied einer christlichen Kirche gewesen seien, so Winkler. Auch heute sei der konfessionelle Unterricht noch angemessen, "weil er eine kritische Einübung in die eigenen Glaubensgrundlagen darstellt". Das Hamburger Modell des "Religionsunterrichts für alle" sieht Winkler nicht als Vorbild für andere Bundesländer, "weil die jeweilige religiöse und rechtliche Situation spezifische Antworten verlangt".

FDP

Eigenverantwortung und Eigenständigkeit - diese Schlagworte der Liberalen finden sich auch im Bereich "Bildung" wieder: Bildung müsse als Bürgerrecht unabhängig vom Hintergrund des Einzelnen jedem offen stehen. Die Wahlfreiheit unter einer Vielfalt von Angeboten müsse gewährleistet werden, so das Wahlprogramm der FDP. "Liberale Bildungspolitik legt so den Grundstein dafür, dass in Zukunft mehr Menschen mehr Chancen haben werden. Sie ist das beste Rüstzeug für ein Leben in Freiheit und Verantwortung", heißt es im Programm weiter.

###mehr-artikel### Die FDP bekräftigt den Bildungsföderalismus in Deutschland, denn Entscheidungen sollten am besten vor Ort getroffen werden. Gleichzeitig wolle die Partei mit einer "neuen Bildungsverfassung" für eine bessere Vergleichbarkeit von Leistung, Ausbildung und Abschlüssen zwischen den einzelnen Bundesländern sorgen. Schulen sollten selbständig mit mehr pädagogischer Gestaltungsfreiheit sein. Außerdem setzt sich die FDP für Inklusion ab dem frühkindlichen Bereich ein. Die Liberalen betonen die Wichtigkeit von Schulen in freier Trägerschaft.

Patrick Döring, FDP-Generalsekretär, verweist bei der Frage nach dem interreligiösen Religionsunterricht auf die Situation in Berlin: Dort gibt es während der regulären Unterrichtszeit keinen von den Kirchen mitgetragenen Religionsunterricht. Der Berliner Landesverband habe sich dafür ausgesprochen, Religion als Wahlpflichtfach mit der Alternative "Ethik" anzubieten, erklärt Döring. Gleichzeitig betont er die unterschiedliche Situation in den Ländern, weswegen sich die Landesverbände eigene, auf die jeweilige Schulgesetzgebung bezogene Positionen erarbeiten müssen.

Die Linke

"Bildungsbarrieren müssen abgebaut und Nachteile ausgeglichen werden" - für ein inklusives und gegen ein gegliedertes Schulsystem tritt die Linke ein. Die Gemeinschaftsschule sollte Regelschule sein: "gemeinsam länger lernen" ist das Ziel der Partei. Der Zugang zu höherer Bildung sollte für alle erleichtert werden. Privatisierung und Kommerzialisierung im Bildungsbereich müssten aufhören, da Bildungsinhalte und -ziele nicht einseitig nach wirtschaftlicher Verwertbarkeit bestimmt werden sollten. Wichtig, so die Linke, sei der kostenlose Zugang von digitalen Lehr- und Lernmitteln. Die öffentlichen Gelder hingegen will die Linke aufstocken und verlangt: Bildung müsse als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern im Grundgesetz verankert werden. Sie fordert, das Kooperationsverbot, das SPD und die Union 2006 verhängt haben, aufzuheben. Des Weiteren betont die Linke, dass es keine prekären Beschäftigungsverhältnisse an Schulen geben darf und verlangt, dass die Bundeswehr keine Werbung an Bildungseinrichtungen machen darf. Schulsozialarbeit soll an allen Schulen gesichert sein.

Schulen sollten Wissen über Religionen vermitteln, so Marion Heinrich von der Linkspartei. Am besten gelänge das in einem für alle verpflichtenden Ethikunterricht, in dem Schüler mit ihren unterschiedlichen Hintergründen gemeinsam über ethische, kulturelle und religiöse Werte und Normen diskutieren. Gibt es daneben konfessionellen Religionsunterricht als Wahlfach, sollten sich alle Religionsgemeinschaften daran beteiligen. An Schulen, die von kirchlichen Einrichtungen getragen werden, begrüßt die Linke einen konfessionsübergreifenden Religionsunterricht, "das Kennenlernen der jeweils anderen Religionen und Konfessionen sollte ein gewichtiges Lernziel sein", so Marion Heinrich.