In vier von 24 Leber-Transplantationszentren in Deutschland hat es in den Jahren 2010 und 2011 schwerwiegende und systematische Manipulationen bei der Organvergabe gegeben. Das geht aus dem Kontrollbericht hervor, den die Bundesärztekammer (BÄK) am Mittwoch in Berlin vorstellte. Die Prüfungskommission von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen habe daneben in einigen Kliniken auch grenzwertige Verstöße durch Flüchtigkeits- und Dokumentationsfehler gefunden, erklärte die Vorsitzende der Prüfungskommission, Anne-Gret Rinder. Die Opposition forderte Konsequenzen.
###mehr-links### Unter den vier Zentren befinden sich die bereits wegen ihrer Verstöße bekannten Kliniken in Göttingen, Leipzig und München sowie das Lebertransplantationsprogramm der Universitätsklinik Münster. In Leipzig und München ermittelt die Staatsanwaltschaft. In Göttingen steht gegenwärtig der frühere Leiter der Transplantationsmedizin vor Gericht. Hinzu kommen nun systematische Verstöße in Münster. Im Transplantationszentrum der Uniklinik Regensburg, das ebenfalls unter Manipulationsverdacht steht, liegen die Verdachtsfälle vor den beiden geprüften Jahren 2010 und 2011.
In den Prüfungsjahren sind nach Angaben der Kommission 2.300 Lebertransplantationen vorgenommen worden. Die Prüfer haben fast 1.200 Krankenakten kontrolliert. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass in Göttingen, Leipzig, München und Münster systematisch und bewusst Krankendaten gefälscht worden sind, um Patienten auf der Warteliste nach oben zu schieben. Sie wurden durch Manipulation ihrer Laborwerte oder falsche Angaben zur Notwendigkeit von Dialysen kränker gemacht als sie waren. In Münster wurden 25 Richtlinienverstöße bei 67 geprüften Fällen festgestellt.
"Wir bedauern diese Meldefehler sehr"
Das Universitätsklinikum Münster (UKM) erklärte, bei neun Richtlinienverstößen habe es sich um einzelne Fehler in Meldeformularen gehandelt. Diese stünden in keinem Zusammenhang mit Versicherungsstatus, Alter oder Herkunft der Patienten. "Wir erkennen diese Verstöße an und bedauern diese Meldefehler sehr", erklärte der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKM. In den anderen 16 Fällen weise das UKM den Vorwurf des Richtlinienverstoßes zurück.
In den 20 übrigen Zentren konnten die Prüfer keine Verstöße feststellen oder nur solche, bei denen dem Bericht zufolge kein Verdacht auf bewusste Falschangaben besteht. Weiter heißt es, gezielte Manipulationen zum Vorteil von Privatpatienten seien nicht festgestellt worden.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte, die Motive für die Manipulationen seien im Wettbewerbsstreben einzelner Krankenhäuser zu suchen und auch im vermeintlichen Streben nach Ruhm und Ehre. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte einen Organspende-Beauftragten des Bundestages. Patienten, Selbsthilfegruppen und das Klinikpersonal bräuchten einen neutralen Ansprechpartner, sagte er der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". Grundsätzlich habe sich das Verfahren für Organspenden aber im vergangenen Jahr deutlich verbessert.
Mehr als 10.000 Menschen warten auf ein Spenderorgan
Die Grünen forderten eine unabhängige staatliche Aufsicht. Nur so könne das Vertrauen in die Transplantationsmedizin wieder hergestellt werden, erklärte die Bundestagsfraktions-Vorsitzende Renate Künast. Ähnlich äußerten sich die Linksfraktion und die Stiftung Patientenschutz.
Der Wartelisten-Skandal am Göttinger Uni-Klinikum war Mitte 2012 bekanntgeworden. Seitdem ist die Zahl der Organspenden deutlich zurückgegangen. Im ersten Halbjahr 2013 wurden noch 459 Organe verpflanzt, im ersten Halbjahr 2012 waren es 562, im Vergleichszeitraum 2010 noch 648. Mehr als 10.000 Menschen warten auf ein Spenderorgan. Nach den Leber-Zentren sollen auch die übrigen Transplantationskliniken überprüft werden. In Deutschland gibt es 47 Zentren für Organverpflanzungen.