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Beratung bei "Back Up": Jeder kann zur Zielscheibe rechter Gewalt werden.
"Back Up": Hilfe für Opfer von rechter Gewalt
In Ostdeutschland gibt es sie schon länger, in Westdeutschland sind sie noch eine Seltenheit: Hilfsangebote für Opfer von rechter Gewalt. Die Dortmunder Beratungsstelle "Back Up", die erste Einrichtung dieser Art in den alten Bundesländern, hat bereits 142 Menschen geholfen, die von Neonazis angegriffen wurden. Die Mitarbeiter unterstützen auch Angehörige von NSU-Opfern.
30.09.2013
Katharina Bons

Ein Abend im September 2011. Sebastian hatte gerade mit Freunden ein Punkrockkonzert in Bochum-Langendreer besucht. Jetzt wollten sie gemeinsam mit der S-Bahn nach Hause fahren. Sebastian ist stark sehbehindert, seine Sehfähigkeit beschränkt sich auf grobe Schemen. Auch aus diesem Grund kann der heute 27-Jährige nicht genau sagen, wie groß die Gruppe von Neonazis war, die ihn und seine drei Freunde plötzlich eingekesselt hat. Sebastian geht von zehn bis 15 Leuten aus. Auf seiner Lederjacke trägt er einen Aufnäher mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz.

"Zeige dir mal ein richtiges Hakenkreuz"

Für einen der Angreifer  ist das an diesem Abend Grund genug, um den Sauerländer zu attackieren. "Er hat zu mir gesagt: Ich zeige dir mal ein richtiges Hakenkreuz", berichtet Sebastian. "Dann hat er sein T-Shirt hochgezogen. Auf der Brust hatte er ein Hakenkreuz mit Totenköpfen tätowiert, ein riesiges Ding." Dann versetzt er Sebastian einen Kopfstoß, sein Nasenbein bricht, überall ist Blut. Mehrere der Neonazis treten und schlagen auf die kleinere Gruppe ein. "Dann habe ich einen Tritt in den Rücken bekommen und bin ins Bahngleis gefallen" Eine Freundin hilft ihm auf den Bahnsteig zurück. "Wenn die S-Bahn pünktlich gewesen wäre, dann könnte ich die Geschichte heute nicht erzählen."

###mehr-artikel###Unterstützung bekam Sebastian bei "Back Up", der ersten Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Westdeutschland.  Die Mitarbeiter halfen ihm, eine geeignete Anwältin zu finden und eine Entschädigungszahlung von der Bundesregierung zu beantragen.  Seit November 2011 kümmert sich "Back Up" von Dortmund aus um Menschen, die von Rechtsextremisten angegriffen werden. In Ostdeutschland sind solche Hilfsangebote für Opfer schon seit einigen Jahren etabliert, in Westdeutschland gab es vor "Back Up" nur einzelne ehrenamtliche Initiativen, die sich auch um die Opfer kümmerten. Neben der praktischen Hilfe für die Betroffenen betreibt die Einrichtung auch Lobbyarbeit. "Wir geben den Opfern eine Stimme", so Leiterin Claudia Luzar, die das Projekt auch wissenschaftlich begleitet.

Seit der Gründung hat "Back Up" bereits 142 Opfer von rechtsextremer Gewalt betreut. Allein in diesem Jahr kamen 23 Fälle hinzu. "Wir gehen aber von einem Dunkelfeld aus, das weit größer ist als die Zahl der Angriffe, von denen wir Kenntnis erlangen", so die 38-jährige Luzar. Aus den Medien, aber auch über die Polizei, den Staatsschutz, alternative Jugendliche oder Migrantenorganisationen erfahren sie von Opfern und gehen auf diese zu. Durch Öffentlichkeitsarbeit ist das Angebot aber inzwischen auch so bekannt, dass sich Hilfsbedürftige von selbst melden. "Die meisten Opfer wurden angegriffen, weil sie politische Gegner von Rechtsextremisten oder Migranten sind und deshalb nicht in das nationalsozialistische Weltbilder der Täter passen", sagt Luzar. Aber auch homo- oder transsexuelle Menschen würden häufig von Tätern aus der rechten Szene attackiert.

Hinterbliebene der NSU-Opfer tauschen sich aus

Die Angriffe reichten von Schmierereien über Beleidigungen, Bedrohungen bis hin zu Körperverletzungen und Mord.  Die Politikwissenschaftlerin und ihr Team betreuen auch Hinterbliebene von zwei Opfern des "Nationalsozialistischen Untergrunds". Die NSU-Morde zeigen, wie notwendig die Opferhilfe auch in Westdeutschland ist. Neun der zehn NSU-Opfer starben in den alten Bundesländern. "Back Up" ermöglicht ihren Hinterbliebenen den Austausch miteinander. Mehrmals haben Mitarbeiter Angehörige zum Prozess nach München begleitet. Aber auch immer mehr Eltern von Neonazis melden sich bei der Hilfestelle.

Als Studentin hat Claudia Luzar die erste Beratungsstelle für Opfer von rechter Gewalt in Potsdam mitbegründet. Seit dem Jahr 2000 berät und hilft die "Opferperspektive". Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bielefeld hat Luzar dann auch Pionierarbeit in Westdeutschland geleistet. Mittlerweile hilft in Nordrhein-Westfalen auch die Opferberatung Rheinland, in Rheinland-Pfalz sowie im Saarland gibt es ähnliche Angebote.

Claudia Luzar leitet "Back Up", die erste westdeutsche Beratungsstelle für Opfer von rechter Gewalt.

Zum "Back Up"-Team gehören neben der Leiterin eine türkische Psychologin, drei Sozialarbeiter, eine Rechtsanwältin und eine Projektassistentin. Sie helfen den Opfern auf unterschiedlichste Art. "Am Anfang geht es vor allem ums Zuhören", sagt Luzar. "Dann überlegen wir gemeinsam, was man machen kann."  Die Mitarbeiter helfen den Betroffenen, Anzeige zu erstatten und begleiten zudem Prozesse gegen Rechtsextremisten. Zudem vermitteln sie psychologische und juristische Hilfe oder Dolmetscher. "Wir sind eine aufsuchende Hilfe", erklärt die 38-Jährige. "Wir besuchen die Menschen in ihrem Umfeld, dort, wo sie angegriffen werden - auch um zu sehen, was es für Netzwerke gibt, wie man Solidarisierungsprozesse anregen kann." Manchmal geht es aber auch um ganz praktische Unterstützung. "Wir mussten auch schon mal einfach den Kühlschrank voll machen, weil kein Geld für Essen da war. Einige Opfer trauen sich auch nicht, die Wohnung zu verlassen und einkaufen zu gehen."

Knapp 18.000 rechtsextreme Straftaten

Laut dem Bundesinnenministerium haben die Polizeibehörden im Jahr 2012 insgesamt 17.616 politisch rechts motivierte Straftaten verzeichnet - ein Plus von 4,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Den Großteil machen sogenannte Propagandadelikte aus, zum Beispiel das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Im vergangenen Jahr wurden aber auch 842 rechts motivierte Gewalttaten angezeigt, darunter 720 Körperverletzungen und sechs versuchte Tötungsdelikte.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat im August 2012 drei rechtsextremistische Kameradschaften  aus Dortmund, Hamm und Aachen verboten und aufgelöst. "Die Verbote haben auf jeden Fall in Bezug auf die Gewalt eine Entlastung gebracht", berichtet Luzar. In den vergangenen Monaten seien vor allem Einzeltäter aufgefallen. Jetzt bleibe abzuwarten, wie die Rechtsextremisten sich neu aufstellen. Die Expertin geht davon aus, dass sich die organisierten Neonazis bis zur Bundestagswahl eher ruhig verhalten werden.

###mehr-links###Bis auf die Leiterin haben alle "Back Up"-Mitarbeiter nur halbe Stellen. Derzeit unterstützt das Land Nordrhein-Westfalen die Beratungsstelle mit 208.000 Euro im Jahr. Die Stadt Dortmund steuert 50.000 Euro bei. Was der Leiterin Sorgen bereitet: Die Finanzierung wird stets nur jährlich verlängert. Sowohl für die Mitarbeiter, aber auch die Unterstützen sei es wichtig, dass es Stabilität gebe. Die Leiterin hofft, dass eine weitere Geldquelle zukünftig an Bedeutung gewinnt. Erstmals hat ein Gericht vor Kurzem einen Rechtsextremisten dazu verurteilt, eine Geldbuße an die Hilfsorganisation zu zahlen. Luzar hat die Hoffnung, dass Richter rechtsextreme Täter in Zukunft öfter zu finanziellen Wiedergutmachungen an "Back Up" oder zu Sozialstunden bei der Organisation verpflichten. "So wird den Tätern klar, dass es reale Opfer gibt."

Polizeifehler verhindert Verurteilung

Sebastian haben die "Back Up"-Mitarbeiter auch zu dem Prozess gegen zwei der Angreifer begleitet. Der Mann mit dem Tattoo muss für zwei Jahre und drei Monate in Haft. Ein zweiter Angeklagter wird freigesprochen. "Wegen Polizeifehlern bei der Gegenüberstellung konnten die Zeugenaussagen und Beweise nicht verwendet werden", berichtet Sebastian. "Eigentlich habe ich mich immer recht sicher gefühlt, wenn ich alleine unterwegs war, auch an Bahnhöfen." Seit dem Angriff habe sich das geändert. Vor allem, wenn mehrere Menschen auf ihn zukommen "und ich nicht einschätzen kann, was für eine Gruppe das ist".

Der Überfall hat aber auch etwas anderes bewirkt: "Ich bin aktiver in der Antifa-Arbeit geworden", sagt der überzeugte Anarchist. Und seit kurzem ist er Mitglied im Vorstand des neu gegründeten Vereins "Back Up – ComeBack", der ab dem nächsten Jahr nicht nur Träger der Opferberatung sein wird, sondern auch Aussteiger beraten will. "Erst hatte ich einen Riesenhass", erinnert sich Sebastian an seine Gefühle gegenüber den Angreifern. "Jetzt versuche ich, es objektiv zu sehen. Wenn ich Nazis als minderwertige Menschen betrachten würde, würde ich genauso ein faschistisches Verhalten aufzeigen, wie es die Neonazis machen."