Herr Westerfellhaus, ein Protestmonat mit vielen Aktionen in Bremen hat noch einmal verdeutlicht, dass es der Pflege in Deutschland schlechtgeht. Woran leidet sie am meisten?
Westerfellhaus: Es gibt zu wenig Pflegekräfte, uns fehlt der Nachwuchs, wir werden zu schlecht bezahlt, und wir bekommen zu wenig Wertschätzung für unsere Arbeit. Und von der Politik werden wir sträflich im Stich gelassen. Aber in erster Linie brauchen wir mehr Kolleginnen und Kollegen. Wer den Beruf gewählt hat, kann ihm nicht mehr verantwortungsvoll nachkommen, weil Zeit und genügend Personal fehlen, weil es stattdessen eine Pflege im Dauerlauf gibt, die gefährlich wird. Das spüren die Kollegen am eigenen Leib, sie werden unzufrieden und krank.
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Sie sprechen von "Pflegenotstand"...
Westerfellhaus: Ja, natürlich, das kann man gar nicht anders bezeichnen. Das Problem mit dem Pflegenotstand ist immer, dass es ein etwas abgedroschenes Wort ist. Aber ich mag es nicht, wenn Politiker sagen, wir steuern einem Fachkräftemangel entgegen. Nein, wir sind mittendrin - und es wird von Tag zu Tag brisanter und gefährlicher. Die Kollegen und Kolleginnen, die ich eben ansprach, die verlassen den Beruf. Sie flüchten in die Teilzeit oder in der Krankenhauspflege auch in andere Länder.
Diese Flucht aus dem Beruf, dieser Exitus muss gestoppt werden. Die Rahmenbedingungen müssen geändert werden, damit wir diejenigen, die gegangen sind, wieder holen können, und diejenigen halten, die immer noch motiviert arbeiten. Wir müssen weg von der Minutenpflege. Das gelingt nur, wenn wir schnell genügend Nachwuchs gewinnen. In den Krankenhäusern brauchen wir eine klare Personalbemessung, also wie viele Pflegekräfte braucht man wirklich für eine Einheit, damit die Einsatzplanung nicht zur Verfügungsmasse der Verwaltung in den Häusern wird. Das ist sicher das Wichtigste.
In Niedersachsen, Berlin, Baden-Württemberg und Bayern haben am Montag Vietnamesen in einem Pilotprojekt eine Pflegeausbildung begonnen. Was halten Sie davon? Wäre das nicht ein Weg, um für mehr Personal zu sorgen?
Westerfellhaus: Ich halte davon gar nichts. Nicht, weil wir die Kolleginnen und die Kollegen, die zu uns kommen wollen, egal woher, nicht brauchen würden. Wenn man aber nicht zuerst in seinem Heimatland die Hausaufgaben macht, damit meine ich qualifizierte Ausbildung in ausreichender Zahl, dann werden wir mit Zuwanderung nur sehr bedingt und nur sehr kurzfristig Erfolg haben. Nein, das ist einfach die verkehrte Reihenfolge. So wird die Zuwanderung zum Alibipflaster für die Politik.
Interessenten für die Ausbildung gibt es ja offenbar. In Bremen wurden kürzlich 120 qualifizierte Bewerber für die Ausbildung in der Altenpflege abgewiesen, weil die Finanzierung der Schulplätze durch Mittel des Landes fehlt.
Westerfellhaus: Das ist ein Skandal. Das gibt es nicht nur in der Altenpflege, sondern auch in der Gesundheits- und in der Krankenpflegeausbildung. Die Richtung, egal wo in der Pflege, muss doch sein: Wir müssen jedem, der will und kann, einen qualifizierten Ausbildungsplatz anbieten können, den er nicht selber bezahlen muss. Man kann ja nicht auf der einen Seite viel Geld für Modellprojekte ausgeben, um beispielsweise 150 Chinesinnen zu holen, was ja für Sprachförderung und Qualifizierung auch immense Kosten nach sich zieht. Und andererseits geben wir nicht genug Geld, um qualifizierte Bewerber aus Deutschland in den Schulen aufzunehmen.
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Noch gibt es in Deutschland kein einheitliches System zur Finanzierung der Altenpflegeausbildung. Wie sieht Ihrer Meinung nach der beste Weg aus?
Westerfellhaus: Seitdem wir in Nordrhein-Westfalen einen umlagefinanzierten Fonds haben, in den alle Einrichtungen der Altenpflege einzahlen müssen, ist es besser geworden. Es kann doch nicht sein, dass sich bestimmte Einrichtungen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, weil sie sich nicht an der Ausbildung beteiligen und dann aber gleichzeitig gerne gut ausgebildete Pflegekräfte vom Markt nehmen. Das ist nicht in Ordnung, das ist eine solidarische Aufgabe.
Lieb wäre mir ein bundeseinheitliches steuerfinanziertes System für die Ausbildung. Das würde uns auch abkoppeln von der Kassenlage der gesetzlichen Krankenversicherer. Wir dürfen die Sache jedenfalls nicht in die Hände der Länder legen. Dann bekommen wir 16 Finanzierungssysteme und damit auch 16 unterschiedliche Qualitätsstandards.