Das Duisburger "Problemhaus"
Foto: dpa/Oliver Berg
Mitten im bürgerlichen Duisburg-Rheinhausen sorgt ein überfülltes Mietshaus mit hunderten Rumänen für öffentlichen Streit.
Von "Problemhäusern" und sozialem Frieden
Medien vermitteln ein drastisches Bild vom Elend der Roma unter den Armutsmigranten. Zu Recht. Doch die Suche nach Lösungen verlangt Differenzierung und mehr Verantwortung.
25.09.2013
mit Material von epd

Duisburg wird neuerdings bundesweit mit dem "Problemhaus" in Verbindung gebracht. Hunderte Roma hausen dort in einem heruntergekommenen achtstöckigen Mehrfamilienhaus. Müllberge, verschimmelte Wände, zerschlagene Türen und Fenster bestimmen das äußere Erscheinungsbild. "Zugleich leben viele im Viertel in Angst vor den Kriminellen unter den Zuwanderern", beschrieb der "Spiegel" die Verhältnisse.

###mehr-links### In Polizeiberichten tauchen Begriffe auf wie Lärm, Aggressivität gegenüber Anwohnern, soziale Ausbeutung, verwahrloste Kinder, Prostitution, Kriminalität. "Die Ausgangslage ist so", erläuterte Stadtdirektor Reinhold Spaniel (SPD) den Hintergrund der "Welt", "dass man aus geostrategischen und arbeitsmarktpolitischen Gründen die Osterweiterung von Europa betrieben hat. Dabei hat man die Armutswanderung vergessen, mindestens aber unterschätzt."

In Dortmund-Nordstadt kampieren acht Männer nachts in einem Raum von kaum 50 Quadratmetern auf dünnen Matratzen. Dafür verlangt der Vermieter unverschämt viel Geld. Frühmorgens sind sie auf dem "Arbeiterstrich" anzutreffen. Dort werden sie von von Unternehmern eingesammelt, um sich für wenige Euro als Tagelöhner zu verdingen. Bricht sich einer von ihnen bei der Arbeit ein Bein oder die Schulter, läuft er Gefahr, an der nächsten Ecke einfach ausgesetzt zu werden. Krankheiten sind in diesem Milieu der Rohheit schlicht nicht vorgesehen. Menschen werden zu Wegwerfobjekten in einer Welt von Ausbeutung und Brutalität.

Öffentliche Gelder für den sozialen Frieden

Immer häufiger thematisieren die Medien in Deutschland die Begleitumstände der Zuwanderung von Menschen aus den EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien. Insbesondere das Elend der "Armutsflüchtlinge" (Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich/CSU), vornehmlich Roma, bewegt die Öffentlichkeit. In sozialen Medien wie in den klassischen Leserbriefen der Zeitungen steigt bei besonders drastischen Fällen der Verelendung und Unterdrückung von Roma die Erregungskurve.

###mehr-info### Man gibt sich betroffen, empört sich, klagt an, fordert Lösungen. Nach einigen Tagen pflegt dieser Reizpegel allerdings auch wieder abzufallen. Nachhaltiger agieren Engagierte im Duisburger Verein "Bürger für Bürger". Dessen Vorsitzender Rolf Karling sagt, man setze sich für die Vermittlung zwischen Anwohnern und Zuwanderern in belasteten Stadtteilen ein. Ein Roma-Wohnprojekt in Berlin-Neukölln, Arnold-Fortuin-Haus, ist vergangene Woche am Freitag mit dem Julius-Berger-Architekturpreis ausgezeichnet worden, um ein weiteres Beispiel zu nennen. Dort hat eine katholische Wohnungsgesellschaft acht Mietshäuser im Problembezirk Harzer Kiez saniert und für Sinti und Roma aus Rumänien geöffnet.

Solche Initiativen und Bündnisse für Deeskalation wären in größerem Umfang wünschenswert. Die Thematik wird uns nämlich auf Jahre beschäftigen. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht in einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Studie je nach Lage in Südeuropa von einer Nettozuwanderung nach Deutschland im nächsten Jahr zwischen 100.000 und 180.000 Personen aus. "Alle deutschen Großstädte", erwartet NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), "werden ab 2014 verstärkt von Armutswanderung aus Osteuropa betroffen sein." Ein Großteil der Zuwanderer werde wohl Sozialleistungen beanspruchen.

Vom 1. Januar an gilt überdies die volle Arbeitnehmer-Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen in Europa. Das Land NRW stellt inzwischen finanziell überforderten Kommunen zusätzliche Mittel zur Verfügung - um "den sozialen Frieden sichern zu können", betont Jäger.

"Es sind gleichberechtigte EU-Bürger"

Zwischen den Müllbergen vor Sofia oder Bukarest und denen am Duisburger "Problemhaus" liegen gerade einmal 24 bis 30 Stunden im Reisebus. Kein realistisch denkender Politiker nährt mehr die Illusion, die Ungewissheiten in der Ferne würden Roma von der Migration in den Westen abhalten. Damit gibt es auch kein Ausweichen mehr bei der Frage nach der politischen Verantwortung für Menschen, die ohne regelmäßige Ernährung, berechenbares Einkommen, ohne sanitäre Einrichtungen und gesundheitliche Versorgung existieren. Neben uns, vielleicht nur wenige Straßen entfernt.

###mehr-artikel### "Die Bundesregierung und die Kommunen müssen ihre Verantwortung für diese Leute übernehmen", folgert Alexander Andreev, Redaktionsleiter Bulgarisch in der Deutschen Welle (DW), aus der Zustimmung Deutschlands zur EU-Aufnahme von Bulgarien und Rumänien 2007. Die Zuwanderer seien keine Migranten, keine "Armutsmigranten", keine Roma, keine Bulgaren und Rumänen. "Es sind gleichberechtigte EU-Bürger, die wie alle anderen die Freizügigkeit genießen", unterstreicht der Südosteuropa-Experte.

Sind damit Bulgarien und Rumänien aus ihrer Verantwortung entlassen? Andreev verneint, sieht sie jedoch ohnehin überfordert: "Unter der kommunistischen Diktatur hat man diese Minderheit einfach mit Gewalt kontrolliert, heute geht das nicht mehr. In beiden Ländern gibt es offizielle Programme zur Lösung des Problems, es fehlt aber an Geld." Mit der Zeit werde die Situation immer schwieriger.

Roma sind auch selbst gefordert

Das Bildungsniveau der Roma sinke rapide. Vor der Wende habe man die Romakinder gezwungen, zur Schule zu gehen, anders als die heutige Praxis. Alarmierend auch: Die Arbeitslosigkeit unter den Roma Bulgariens liege nun über 70 Prozent. "Entsprechend gewachsen", so Andreev, "sind auch die Kriminalität und die Beteiligung an Drogenhandel und Prostitution."

Unbestreitbar sind solche Reizworte und Negativetiketten Barrieren für die Etablierung einer "Willkommenskultur", die sich deutsche Integrationspolitiker von der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Zuwanderern wünschen. Ob die bloße Proklamation hilft, eine solche Einstellung gegenüber Menschen aufzubauen, die sie nicht auf Augenhöhe als "EU-Bürger" wahrnehmen, sondern schlicht als "Unerwünschte" ("Zeit")? Ist es nicht längst erwiesen, dass die Unterbringung von Armutsflüchtlingen in kleineren Einheiten und in überschaubaren Gemeinden "Ghettos" in urbanen Zentren à la Duisburg vorzuziehen ist?

Sind allerdings nicht auch die Roma ein Stück weit selbst gefordert? István Forgács, ungarischer Roma, Regierungsberater und Sozialarbeiter, verlangt, sein Volk müsse sich ändern, wenn es aus seinem Elend herausfinden wolle. Alexander Andreev pocht auf politische Roma-Parteien, die sich zu Europa bekennen und von den jeweiligen Clan-Interessen untereinander nicht beeinflussen lassen. "Eine europäische Roma-Partei, warum nicht?"

Die meisten haben Arbeit

Differenzierung ist angebracht. Die Dramatik des "großen Roma-Trecks" ("Spiegel") ist eben nicht alles, nicht repräsentativ für das ganze Szenario der Zuwanderung. Armutswanderung sei bislang die Ausnahme, hebt der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hervor. Im ersten Halbjahr 2012 kamen nach seinen Erkenntnissen mehr als zwei Drittel der Zuwanderer aus anderen EU-Ländern. Sie waren im Schnitt deutlich jünger und besser qualifiziert als die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland. Mehr als 70 Prozent der Bulgaren oder Rumänen, die nach 2007 eingewandert und zwischen 25 und 44 Jahren alt sind, haben eine Arbeit in Deutschland. Auf die nächsten Jahre hochgerechnet eine Perspektive, die hoffen lässt.

Wir alle – Politiker, integrationsbereite Roma und "Bürger für Bürger" – haben es in der Hand, den Begleitumständen der "Armutswanderung" konstruktiv zu begegnen. Das beginnt bei jedem einzelnen mit der Bereitschaft, über diese Phänomene neu zu denken. Oder man engagiert sich wie die "Bürger für Bürger" in Duisburg beziehungsweise die Aachener Wohnungsgesellschaft. Dann könnten "Problemhäuser" irgendwann Geschichte sein.