In der Nacht zum 22. September 1944 wird Aldert Klaas Dijkema hinterrücks erschossen. Er ist sofort tot, als ihn eine von mindestens vier abgefeuerten Kugeln in den Hinterkopf trifft. Bis heute ist das Nazi-Verbrechen an dem niederländischen Widerstandskämpfer ungesühnt. Seit Montag, 69 Jahre nach der Bluttat, muss sich nun doch einer der beiden mutmaßlichen Täter vor Gericht verantworten: Dem heute 92-jährigen Siert Bruins wird vor dem Landgericht Hagen der Prozess gemacht. Die Anklage lautet auf Mord. Er selbst schweigt am ersten Prozesstag zu den Vorwürfen.
###mehr-artikel###Dijkema wurde nach Darstellung der Staatsanwaltschaft Dortmund am Tag vor seinem Tod im niederländischen Delfzijl von den Nazis unter dem Verdacht festgenommen, er unterhalte Verbindungen zum Widerstand gegen die deutsche Besatzung. Bruins, damals Mitglied des deutschen Grenz- und Sicherheitspolizeipostens in Delfzijl, und sein mutmaßlicher Mittäter August Neuhäuser hätten Dijkema mit einem Auto in die Nähe einer Fabrik im nahe gelegenen Appingedam gebracht und dort erschossen. Später behaupteten sie laut Anklage, das Opfer habe versucht zu fliehen.
Dass Bruins nun vor dem Landgericht Hagen doch noch der Prozess gemacht wird - vermutlich eines der letzten NS-Verbrecherverfahren überhaupt - hängt an einer geänderten Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft: Sie hatte in den 70er Jahren lediglich wegen Totschlags ermittelt, das Verfahren wurde daher wegen Verjährung eingestellt. Inzwischen wird von Mord ausgegangen - und der verjährt nicht. Hintergrund war unter anderem die Verurteilung des niederländischen SS-Mannes Heinrich Boere wegen dreifachen Mordes im März 2010 durch das Landgericht Aachen.
"Auf das Alter kommt es nicht an"
Der Leiter der Zentralstelle für die Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund, Andreas Brendel, nahm daraufhin die Ermittlungen gegen Bruins wieder auf, die im August 2012 zur Anklage führten. "Auf das Alter des Beschuldigen kommt es nicht an", sagte Brendel.
Er stützt sich auf die Ermittlungen der 70er Jahre sowie das Verfahren vor einem niederländischen Sondergerichtshof, der Bruins 1949 zum Tode verurteilt hatte - das Urteil wurde später in lebenslange Haft umgewandelt. Außerdem greift der Staatsanwalt auf ein Verfahren vor dem Landgericht Hagen zurück, das den Angeklagten 1980 wegen Beihilfe zum Mord an zwei niederländischen Juden zu sieben Jahren Haft verurteilte. Fünf Jahre musste er absitzen. Damals beteiligte Richter und Staatsanwälte sollen in dem nun laufenden Prozess als Zeugen auftreten.
Angeklagter bestreitet die Tat
Bruins bestreitet die Tat von 1944. Nicht er, sondern sein inzwischen gestorbener deutscher Vorgesetzter Neuhäuser habe damals in Appingedam auf Dijkema geschossen, beteuert der geborene Niederländer, der in Amsterdamer Archiven als "Bestie von Appingedam" bezeichnet wird. Als ihn das niederländische Sondergericht 1949 zum Tode verurteilte, war Bruins längst untergetaucht.
Er setzte sich nach Deutschland ab, änderte seinen Namen und baute sich eine Existenz als Unternehmer in der beschaulichen westfälischen Kleinstadt Breckerfeld auf. Die deutsche Staatsangehörigkeit besaß er auf Grundlage eines Erlasses von Adolf Hitler aus dem Mai 1943, durch den alle niederländischen SS-Freiwilligen automatisch deutsche Staatsbürger wurden.
Verfahren zunächst eingestellt
Aufgrund von Ermittlungen des Nazi-Jägers Simon Wiesenthal wurde Bruins 1978 entdeckt. Seine Auslieferung an die Niederlande lehnte das Oberlandesgericht Hamm ab, weil er seit 1943 Deutscher sei. Zusammen mit Neuhäuser musste er sich lediglich 1980 wegen der Ermordung zweier jüdischer Brüder im April 1945 in Delfzijl verantworten. Das Ermittlungsverfahren wegen des Todes von Aldert Klaas Dijkema wurde dagegen von der deutschen Justiz eingestellt. Über 30 Jahre später steht jetzt doch noch einer der beiden mutmaßlichen Mörder vor Gericht.