Foto: Andrea Stevens
Schulseelsorge berät nicht nur in schwierigen Lebensphasen - auch das Verständnis zwischen Kulturen und Religionen will sie fördern helfen.
Schulseelsorge: "Die Muttersprache der Kirche"
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau blickt in diesen Tagen auf 25 Jahre Schulseelsorge zurück. Jahre, in denen sich die Seelsorge an den Schulen etabliert und verändert hat. Mit der Seelsorge werde "die Muttersprache der Kirche" an die Schulen gebracht, sagt EKHN-Kirchenpräsident Volker Jung.

Der evangelische Pfarrer Jan Schäfer hat es gemütlich - vermutlich wesentlich gemütlicher als der Großteil der Lehrerschaft in Deutschland. Als Religionslehrer und Schulseelsorger an der Paul-Ehrlich-Schule in Frankfurt Höchst hat er ein eigenes Klassenzimmer. Gleichberechtigt neben dem Lehrerpult, frontal zu den Sitzplätzen der Schüler, ist eine kleine Sitzecke aufgebaut: drei weiße Stoffsessel stehen auf einem braun-roten Teppich, eine Stehlampe mit weißem Schirm schafft Wohnzimmer-Atmosphäre. Rote Gardinen hängen an den Fenstern, die richtig teuer gewesen seien, sagt Jan Schäfer, weil sie geltenden Brandschutzvorgaben entsprechen müssen. Aber Direktor Volker Jungblut habe keine Sekunde gezögert: Was der Seelsorger braucht, das soll er bekommen.

Schulseelsorger Jan Schäfer von der Paul-Ehrlich-Schule in Frankfurt-Höchst.

Der Schulseelsorger: statt Lernen und Leistung soll er den Menschen in den Blick nehmen. Selbst wenn auch er im Rahmen des Religionsunterrichts Hausarbeiten und Arbeiten schreiben lässt. Doch seine eigentliche und ursprüngliche Aufgabe ist es, sowohl Lehrern als auch Schülern in prekären Lebenslagen beizustehen; zudem mit den Schülern Perspektiven für ihre Zukunft zu erarbeiten: Wie geht es nach der Schule für mich weiter?

Den Menschen vor Ort zur Seite stehen

Viele Fragen drehten sich um familiäre Probleme mit den Eltern oder in der Partnerschaft, sagt Jan Schäfer. "Deutlich zugenommen haben interreligiöse Partnerschaften und damit die Frage: Was ist, wenn mein Partner anders glaubt als ich, geht das?" Dann gebe es manchmal den Druck den Glauben zu wechseln oder eine Beziehung zu beenden. Zudem berät Jan Schäfer in den klassischen Problemen des Schulalltags, wenn es um Lernstress oder Angst vor Prüfungen geht.

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Neben diesen ursprünglichen Aufgaben seien innerhalb der vergangenen 25 Jahre verschiedene Themen dazu gekommen, sagt Christine Weg-Engelschalk, Pfarrerin und Studienleiterin am Religionspädagogisches Institut in Gießen. Zu diesen Themen gehörten die Zunahme der religiösen Vielfalt an den Schulen. Schulseelsorgern falle zunehmend die Aufgabe zu, Brücken zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen zu bauen.

Außerdem seien Schulseelsorger heute in Netzwerke mit Notfallseelsorgern und der Polizei eingebunden: "Im Falle einer Krise beziehungsweise einer Großschadenslage an einer Schule müssen unsere Seelsorger darauf vorbereitet sein, den Menschen vor Ort zur Seite zu stehen", sagt Christine Weg-Engelschalk. Auch die Nachfrage nach Andachten und Gottesdiensten in Übergangssituationen, wie Einschulungen oder Abschieden von der Schule, habe zugenommen.

"Im Christentum ist der Glaube eher abgeschlafft"

Die in Hessen-Nassau entwickelten Modelle für die Schulseelsorge seien die Basis für die Standards, die inzwischen für die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland gelten, sagt EKHN-Kirchenpräsident Volker Jung. Nach 25 Jahren Schulseelsorge auf dem Gebiet der Landeskirche blickt er stolz auf das Erreichte: "Das kann uns richtig stolz machen, dass die Seelsorge als etwas erlebt wird, was den Schulalltag bereichert, ja zum Teil sogar als notwendig erachtet wird", sagt Volker Jung. Mit ihrem Schulseelsorge-Angebot sei die Kirche zudem in besonderer Weise präsent und bringe die Seelsorge als "Muttersprache der Kirche" in die Schule.

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Die EKHN hat mittlerweile 186 ausgebildete Schulseelsorger im Dienst, 116 von ihnen arbeiten gleichzeitig als Religionslehrer an Grund- und weiterführenden Schulen. "Schulen fordern uns gegenüber die Seelsorge ein, weil sie sagen, dass sie jemanden an der Schule haben möchten, der sie in religiösen Fragen berät und Krisensituationen begleitet", sagt Volker Jung.

Markus Janke ist 18 Jahre alt und macht sein Fachabitur an der Paul-Ehrlich-Schule in Höchst. "Ich finde es faszinierend, dass es Menschen gibt, die sich so hingebungsvoll ihrer Religion widmen, ja, geradezu aufopfern", sagt er und bezieht sich dabei auf ein Zusammentreffen mit Mönchen eines buddhistischen Klosters, das er im Rahmen des Religionsunterrichts gemeinsam mit seiner Klasse besucht hat. "Vor allem im Christentum ist ja der Glaube eher abgeschlafft", sagt Markus Janke, der selbst evangelisch ist, aber eben auch nicht so richtig, wie er sagt.

Religion wieder in den Köpfen

Im Alter zwischen 15 und Anfang 20 würde das Bild von Religion anders gesehen als noch im Kindesalter, sagt PfarrerJan Schäfer. "Für mich liegt dann die Herausforderung darin, zu spiegeln, dass ein veränderter Zugang zu Glaube und Religion normal ist. Ich habe oft Schüler, die sagen, ich bin evangelisch oder katholisch, aber ich glaube nicht mehr." Wenn er nachfrage, an was sie denn nicht mehr glaubten, komme oft dabei heraus, dass sich das Gottesbild verändert habe und viele dächten, das ginge nicht: "Das veränderte Wahrnehmen des Gottesbildes wird oft als ein Abfall vom Glauben verstanden." Für viele sei es befreiend zu erleben und zu hören, dass eine veränderte Gottesvorstellung und die Nähe oder Ferne zu Gott in verschiedenen Lebensphasen etwas ganz Normales seien.

Auch Volker Jungblut, Direktor der Paul-Ehrlich-Schule in Höchst, fühlt sich wohl auf Pfarrer Jan Schäfers weißen Stoffsesseln. Dass Religion wieder in die Schule hineingebracht werde, findet er gut, denn sie gebe Orientierung und helfe, sich auf Werte rückzubesinnen. "Unser Schulseelsorger bringt einen Aspekt in die Köpfe der Leute, den sie selbst vielleicht gar nicht präsent haben", lobt Volker Jungbluth, "Schüler erfahren dann Dinge, die über das hinausgehen, was ihr persönlicher Bedarf ist."