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Kunduz: "Eine mörderische Entscheidung"
Die ARD rekonstruiert in einem Dokudrama den Luftangriff bei Kundus
Bei dem NATO-Luftangriff auf zwei Tankwagen bei Kundus wurden 2009 mehr als 120 Menschen getötet. Das Dokudrama "Eine mörderische Entschiedung" (4.9., 20.15 Uhr, ARD) rekonstruiert, wie es dazu kam.
04.09.2013
epd
Diemut Roether und Fritz Wolf

Diese Bilder werden die Zuschauer nicht so schnell vergessen: Menschen, die lichterloh brennen, lebende Fackeln, in Brand gesetzt durch die Explosion zweier Tankwagen bei Kundus. Bis zu 140 Menschen starben in der Nacht auf den 4. September 2009, als der deutsche Oberst Georg Klein zwei US-amerikanische NATO-Flugzeuge aufforderte, zwei von Taliban-Kämpfern entführte Tanklastwagen zu bombardieren. Die Bundeswehr behauptete zunächst, auf den Wagen seien nur Aufständische gewesen. Die NATO räumte bereits einen Tag später ein, dass unter den Verletzten auch zahlreiche zivile Opfer gewesen seien. Inzwischen weiß man, dass auch Kinder in jener Nacht starben.

###mehr-links### "Eine mörderische Entscheidung" ist der doppeldeutige Titel des Dokudramas, das die ARD anlässlich des Jahrestags des Luftangriffs am 4. September zeigen. Oberst Klein, der Mann, der in Afghanistan die fatale Entscheidung traf, steht im Zentrum des Films von Raymond Ley. Matthias Brandt spielt diesen Mann als zögerlichen, beamtenhaften Militär. Als einen Mann, der sich zuerst nicht entscheidet und dann falsch entscheidet. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags sagt er später: "Wir alle treffen Entscheidungen mit Konsequenzen. Das gehört dazu."

Hart gegen die Taliban durchgreifen

Der Film stützt sich auf die Aussagen von Klein im Untersuchungsausschuss. Der Oberst selbst wollte nicht mit Regisseur Ley sprechen. Als Zeitzeugen äußern sich dafür der 2009 vom damaligen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) entlassene Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, und Egon Ramms, Kommandeur der NATO-Allianz von 2007 bis 2009. Auch die sicherheitspolitischen Sprecher von SPD und Grünen, Mitglieder des Untersuchungsausschusses, liefern eine Einschätzung der Geschehnisse. Die Protokolle aus diesem Ausschuss waren für den Film eine wichtige dokumentarische Quelle.

###mehr-artikel### Die Aussagen der Zeitzeugen machen deutlich, unter welchem Druck die Bundeswehr bei ihrem Einsatz in Afghanistan steht. Mehrfach greifen die Taliban im Frühling 2009 Bundeswehrsoldaten an, und Ley inszeniert diese Bedrohung in seinem Film sehr eindrücklich: Er zeigt eine Gruppe junger Soldaten, die im Lager in Kundus eintrifft. Wenig später stirbt einer von ihnen bei einem Angriff auf den deutschen Konvoi. Der Militärpfarrer erläutert dem gläubigen Oberst, es gehöre zur Verantwortung eines militärischen Führers, auch töten zu lassen. Auch die Einheimischen erwarten von den ISAF-Truppen, dass sie hart gegen die Taliban durchgreifen.

Entscheidungen über Leben und Tod

Die Geschehnisse der Nacht auf den 4. September hat Ley unter anderem mit Hilfe der Protokolle des Funkverkehrs mit den US-Piloten rekonstruiert. Die von den Taliban entführten Tanklastwagen hatten sich auf einer Sandbank im Fluss festgefahren. Die deutschen Soldaten befürchteten, dass die Taliban sie als Brandbomben nutzen wollen, um das Bundeswehrlager anzugreifen. Mehrfach fragten die beiden Piloten nach, ob es nicht ausreiche, die Leute am Tankwagen im Tiefflug einfach zu vertreiben.

Letztlich - so zeigt Ley in dem Film, in dem inszenierte Handlung und Aussagen von Zeitzeugen geschickt verwoben werden - hat Klein sich auf einen Informanten verlassen, der behauptete, dass wichtige Taliban-Führer bei den Lastwagen seien. Doch als die Taliban merkten, dass sie die festgefahrenen Lastwagen nicht mehr flottkriegen würden, forderten sie die Leute aus den umliegenden Dörfern auf, sich das Benzin zu holen. Männer, Jugendliche und Kinder strömten mitten in der Nacht mit Kanistern zu den Lastwagen, um sich mit dem kostenlosen Benzin zu versorgen.

Leys Film ist genau recherchiert und lässt keinen Zweifel an der kritischen Einschätzung des Geschehens. Er verurteilt aber auch nicht und macht das Dilemma derjenigen deutlich, die gezwungen sind, Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen.