Singen gegen die Passivität in deutschen Asylbewerberheimen
Foto: Neue Visionen Filmverleih
Singen gegen die Passivität in deutschen Asylbewerberheimen
Can't be silent: Musik gegen den Stillstand
Musiker Heinz Ratz hat "The Refugees" gegründet - eine Band, deren Mitglieder in Deutschland Asyl beantragt haben. Ein Gespräch über deutsche Flüchtlingspolitik, gesellschaftliches Engagement und die Ambivalenz der Deutschen.

Der Dokumentarfilm "Can't be silent" zeigt, wie Sie mit verschiedenen Musikern – allesamt Asylbewerber –  als Band "The Refugees" auf Tournee gehen. Wie kam es zu diesem Projekt?

Heinz Ratz: 2011 bin ich mit dem Fahrrad quer durch Deutschland gefahren, habe insgesamt 80 Asylbewerberheime besucht und abends mit meiner Band Konzerte zugunsten der Flüchtlinge gegeben. Mit dieser Aktion wollte ich auf die Situation der Asylbewerber aufmerksam machen. Was ich dabei gesehen habe, hat mich sehr erschüttert.

Was haben Sie erlebt?

Ratz: Ich war in Lagern, in denen mitten im Winter Heizung und Fenster kaputt waren. In manchen Heimen war alles voller Kakerlaken oder verschimmelt. Manche sind völlig abgeschieden, in einigen gibt es eine einzige Toilette für dreißig Personen, eine Waschmaschine für sechzig Personen. Teilweise lebten die Flüchtlinge seit zehn Jahren oder noch länger dort.

Das hat mich sehr mitgenommen und ich beschloss, etwas Schönes aus all diesem Elend heraus schaffen: Während der Fahrradtour habe ich in den Heimen viele tolle Musiker getroffen. Ich kam auf die Idee, mit ihnen eine CD aufzunehmen und auf Tour zu gehen. Ab diesem Zeitpunkt hat uns das Filmteam begleitet.

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Wie kann man sich das vorstellen: Haben Sie an die Tür der Heime geklopft und sind dort reinspaziert?

Ratz: Nein, das ist zum Teil sehr schwierig, denn den Betreibern dieser Lager ist größtenteils daran gelegen, dass keiner von dem Zustand der Heime und der Situation der Flüchtlinge erfährt. Sehr oft bekam ich schon im Vorfeld Hausverbote ausgesprochen, die man jedoch umgehen kann, wenn die Bewohner eine Einladung aussprechen. Allerdings sind die Flüchtlinge häufig verängstigt und wollen sich nicht mit der Lagerleitung anlegen. Der Kontakt lief meistens über Flüchtlingshilfegruppen, teils kirchliche Gruppen, teils autonome Gruppen. Manchmal sind wir auch einfach zu einem Heim gefahren und haben geschaut, wen wir dort treffen.

Sind Sie während Ihrer Fahrradtour auf Schwierigkeiten gestoßen?

Ratz: Ja, es gab die unterschiedlichsten Probleme: Zum Beispiel, dass wir eben nicht in die Heime gelassen wurde. Oder dass wir Flüchtlinge trafen, die in einem ganz schrecklichen Zustand waren, hoch depressiv. Es gab sprachliche Barrieren. Später, als wir mit den Musikern unterwegs waren, ging es darum, eine Reisegenehmigung für die Flüchtlinge zu bekommen, das Ganze finanzieren zu können und vor allem: mit der permanenten Angst vor der Abschiebung und vor Polizeikontrollen umzugehen.

"Wir haben politisch einiges bewegt."

Hosain Amini, Jaques Zamble bi Vie oder Revelino Mondehi – in der Band spielt nur eine Frau, Olga. Warum ist das so?

Ratz: Das hängt damit zusammen, dass die Frauen vermutlich noch stärker traumatisiert sind durch ihre Fluchterfahrung und deshalb nicht so schnell Vertrauen fassen – da ist ein völlig Fremder, der sie anspricht und sie einlädt natürlich verdächtig. Ich habe das sehr bedauert, aber konnte es leider nicht ändern.

 

Eine Reaktion auf Ihr Projekt war, dass die Bundesregierung Ihnen die Integrationsmedaille verliehen hat. Der Film zeigt Szenen der Verleihung in Berlin in denen Sie deutliche Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik formulieren. Haben Sie danach noch einmal mit Maria Böhmer, der Integrationsbeauftragen, gesprochen?

Ratz: Nein, das hat sich nicht ergeben. Ich hatte sie nach Gerstungen eingelagen, eines der allerschlimmsten Lager, und zur Eröffnung der "The Refugees"-Tour, aber es hat von ihrer Seite nicht geklappt.

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Bis Ende 2013 sind Auftritte von "The Refugees" geplant, danach nicht mehr. Wie wird es dann weiter gehen für die Musiker?

Ratz: Bei den Refugees handelt es sich ja in erster Linie um Sänger und Rapper, keiner spielt ein Instrument. Insofern wird es die Band in der Form nicht mehr geben können, es sei denn, andere deutsche Musiker stellen sich da zur Verfügung und das ist leider nicht abzusehen. Aber: Sie haben alle eigene Projekte. Die Hip-Hopper zum Beispiel treten ja generell oft ohne Band auf. Daher können sie zumindest mit diesen Projekten weiter machen, zumal sie durch unser Projekt einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben.

Es gibt den Vorwurf, sie würden die Flüchtlinge im Stich lassen. Wie kommt der zustande?

Ratz: Viele haben nur das Projekt als solches kennengelernt und wissen nicht, dass wir eine Band sind, die schon seit vielen Jahren politische Arbeit macht. Wir beschäftigen uns nicht nur mit Flüchtlingspolitik, sondern eben auch mit ganz anderen Themen. Wir sind jetzt zwei Jahre lang nur für die Flüchtlinge da gewesen, haben größtenteils unentgeltlich gearbeitet, aber haben politisch einiges bewegt.

Inwiefern?

Ratz: Wir haben in erster Linie Aufklärungsarbeit geleistet. Bei den Konzerten hatten wir bisher etwa 100.000 Zuschauern, ARD-Tagesthemen, ZDF-Abendnachrichten, der BBC weltweit, fast alle Radiosender und großen Tageszeitungen haben ausführlich berichtet und Millionen Leser und Zuschauer erreicht – sie alle konnten sich mit der Thematik auseinander setzen. Hinzu kommt die Dokumentation. Wir haben Hunderte ehrenamtliche Helfer gewinnen können, die vorher keine Ahnung hatten, was da passiert und sich dann engagiert haben. Wir haben vor Verfassungsrichtern und Innenministern gespielt und im Abschiebegefängnis.

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Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern in der deutschen Asylpolitik?

Ratz: Mit dem großen Asylkompromiss hat man die Flüchtlinge aus dem Schutzbereich des Grundgesetzes rausgeholt - das müsste man rückgängig machen. Das Grundgesetz verstehen wir als eine Verpflichtung zu Menschenrechten. Und das muss man auf alle Menschen anwenden, die bei uns leben. Konkret müsste es viel mehr Möglichkeiten geben, dass die Flüchtlinge arbeiten und sich bilden und beschäftigen können, denn wenn man fünfzehn Jahre in so einem Heim eingesperrt ist, ohne eigenen Raum, ohne die Möglichkeit, etwas zu lernen oder zu arbeiten, dann wird das wie Folter empfunden. Menschen gehen daran kaputt, bringen sich um, werden hoch depressiv.

"Die Deutschen sind ein extremes Volk."

Was haben Sie persönlich durch das Projekt über deutsche Flüchtlingspolitik erfahren?

Ratz: Ich habe gelernt, dass vieles auf indirektem Wege passiert. Die Politik macht vordergründig viele Versprechen, verabschiedet aber stillschweigend Gesetze, mit denen Unmenschlichkeit wachsen und gedeihen kann. Konkret haben wir außer der Aufklärungsarbeit nicht viel erreichen können, selbst mit massivster Anstrengung nicht. Auch nicht für die Flüchtlinge, die mit uns spielen. Diese bürokratische Trägheit scheint eine bewusste Strategie zu sein.

Und ich habe gelernt, dass die Deutschen ein ziemlich extremes Volk sind: Zum einen gibt es eine sehr große Aufgeschlossenheit, Mitleid und soziales Empfinden gegenüber den Flüchtlingen in diesem Projekt. Aber zum anderen gibt es auch sehr viel Fremdenfeindlichkeit und Skepsis auf der anderen Seite - zwei sehr radikale Standpunkte.

Setzen Sie Hoffnungen auf die Bundestagswahl in drei Wochen?

Ratz: Nein, ich glaube leider nicht, dass sich da etwas ändern wird. Ich setze generell keine Hoffnungen auf Menschen, die nach Macht streben. Egal, welche politische Ausrichtung sie haben. Vielmehr setze ich auf die Menschen an der Basis, auf diejenigen, die bereit sind, sich zu engagieren.