"Eine Hand, die größer ist als meine"
Zu seiner Amtseinführung als erster Landesbischof der neuen Nordkirche predigte Gerhard Ulrich am 25. August 2013 im Schweriner Dom über Matthäus 6, 1-4.
25.08.2013
Predigt von Gerhard Ulrich

Gnade und Frieden sei mit uns von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.
Amen.

Predigttext: Matthäus 6, 1-4

"Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten."

So, liebe Gemeinde, hat es Jesus denen mit auf den Weg gegeben, die ihm vertrauen. Es wird manche geben, die jetzt sagen: Glückwunsch! Wenn es darum geht, dass die linke Hand nicht weiß was die Rechte tut, dann steht unsere Kirche in vorderster Reihe. Die Kirche als Institution - meine ich. Mit ihren Gremien und Gesetzen, Leitungsebenen und Körperschaften. Mit vielen Menschen und ebenso vielen Meinungen – da geht es bunt zu - wie im richtigen Leben.

Das ist oft mühsam. Und doch freue ich mich darüber, dass es so viele Menschen in unserer Kirche gibt. So viele linke und rechte Hände, die Gutes tun, die mit Hand anlegen, die sich für andere öffnen oder festhalten an dem, was wichtig ist für unseren Glauben und für die Welt. Ich bin dankbar für die, die nun mit anpacken, diese junge Nordkirche zu leiten, zusammen zu hüten, was zusammen wachsen will. Eure leitende Hand ist sichtbar!

Ich bin realistisch. Als Kirche müssen wir uns natürlich auch damit auseinandersetzen, dass im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit eine andere Regel herrscht: Nicht "Wenn du Gutes tust, soll die linke nicht wissen, was die rechte tut", sondern hier heißt die Regel: "Tue Gutes und rede darüber". "Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern, sagt Jesus"

Aber eines dürfen wir als Kirche dabei niemals aus den Augen verlieren: Der Grund unseres Glaubens, der Grund von Innerlichkeit und Engagement, geht nicht auf in dem, was verfügbar, was handhabbar, was greifbar ist, worüber in den Zeitungen, im Fernsehen oder im Radio berichtet wird.

Es ist daher gut und wichtig, dass in unserer Kirche zuerst von einer anderen Hand die Rede ist: "Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir", sagt der Beter im 139. Psalm zu Gott. Und wir sprechen es nach. Voller Dankbarkeit, dass Gottes Liebe und Barmherzigkeit Hand und Fuß hat in dem Menschen Jesus. Voller Zuversicht, dass Gott sich immer finden lassen wird, in Worten, die trösten und befreien. In der Geschichte Jesu. In seinem Tod und seiner Auferweckung von den Toten, in die wir hineingenommen sind, damit wir darauf vertrauen können: Im Leben und im Sterben sind wir in Gottes Hand geborgen.

Manchmal spreche ich die Worte des Psalms auch voller Zorn: Von allen Seiten umgibst du mich, Gott; ich kann dir nicht entkommen, auch wenn ich dich loswerden will. Wenn ich verzweifelt bin über den Wahnsinn der Welt. Wenn ich mich gottverlassen fühle wie Jesus. Auch dann ist deine Hand da. Von ihr komme ich nicht los.

Letztens sagte mir einer: Ich finde es irgendwie verrückt, damit zu rechnen, dass da ein Gott am Werke sein soll, den niemand sehen und beweisen kann. Ich sage: Ich würde verrückt werden, wenn ich nicht damit rechnen könnte, dass da noch eine Hand ist, die größer ist als meine; würde verrückt werden, wenn tatsächlich alles allein in menschlicher Hand läge.

Gottes Hand inmitten unserer vielen Hände, der rechten und der linken, inmitten unserer Behändigkeit und Unhandlichkeit – das ist die Quelle aller geistlichen Kraft und aller Glaubenszuversicht, wie Martin Luther sagt: "Hier siehst du, wie die rechte Hand Gottes das Herz aufrichtet und mitten im Tode tröstet..."

Wir haben als Christen so wunderbare Handzeichen für diese Kraft Gottes, die höher ist als unsere Vernunft: die Taufe, in der wir uns unter Gottes Hand stellen.

Das Abendmahl, das wir nachher feiern: da öffnen wir die Hände, zu empfangen und zu geben: teilen wir miteinander. Wie Gott selbst es tut.

Gottes Hand ist es, die mich und unsere Gemeinschaft zusammenhält. Aber das ist kein Grund, dass wir unsere Hände in den Schoß legen. Im Gegenteil. Wir können und sollen Gott zur Hand gehen. Wir Christenmenschen haben einen Auftrag, eine Mission: Faltet die Hände zum Gebet! Und zugleich: Macht euch die Hände schmutzig! Das Beten und das Tun des Gerechten zusammen bringt uns in Bewegung hin zu Gottes Reich und zu seinem Frieden für die Welt.

Denn das liegt doch auf der Hand - dass Frieden werden muss und aufhören die verrückte Gewalt. Frieden ist kein Almosen sondern Menschenrecht. Oft genug angetastet. Das liegt doch auf der Hand - dass jede und jeder von seiner Hände Arbeit soll leben können. Dass Menschen ein Dach über dem Kopf haben, das sie auch bezahlen können. Dass Flüchtlinge, die die blanke Not über Meer und Land zu uns getrieben hat, freundlich aufgenommen und menschlich behandelt werden. Und dass die Würde des Menschen einen höheren Stellenwert hat als reines Profitinteresse oder das angebliche Sicherheitsinteresse des Staates.

"Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist." Dieses prophetische Wort von Dietrich Bonhoeffer war immer lebendig in der Geschichte der Pommerschen und der Mecklenburgischen Kirche – und auch in Nordelbien. Es bleibt Verpflichtung für uns alle: Nordkirche ist Kirche für andere! Dienende Kirche, diakonische Kirche. Eine Kirche, die die Menschen im Blick hat, die auf Hilfe angewiesen sind. Die auch an Strukturen arbeitet und sich einmischt. Kirche, die für andere da ist, weil Gott für uns da ist.

Gott zur Hand gehen, das heißt, das in die Hand zu nehmen, was getan werden kann, um Gerechtigkeit und Menschenwürde zu verwirklichen. Almosen geben heißt: nicht sich selbst für stark halten, sondern teilen, was wir zum Leben haben. Wer Almosen gibt, kommt nicht von oben herab. Sondern streckt sich zum Himmel, von woher alles kommt, was gut und teuer ist. Das ist es, was der Glaube tut, sich ausstrecken zu dem hin, was wir nicht sehen, Vertrauen auf das, was nicht aufgeht in dem, was verfügbar, handhabbar ist.

Wir können Gott nur zur Hand gehen, wenn wir uns Gott in die Hand geben. Wenn wir Jesus Christus vertrauen und uns von ihm leiten lassen. Wenn wir fröhlich in Hoffnung sind, geduldig bei komplexen Fragen und voller Zuversicht, dass Christi Wort sich immer wieder bewahrheitet: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."

Amen.