Anna, die Mutter der zweieinhalbjährigen Lena, ist ziemlich perplex. "Gute Nacht meine Kleine", hatte sie wie jeden Abend gesagt. "Warte Mami, wir müssen kurz beten", habe Lena geantwortet, und dann: "Brot, Brot, danke für das Brot. Amen." Lena geht in eine evangelische Kindertagesstätte. Jeden Freitag kommt dort die Pfarrerin für eine Stunde zu den Unter-Dreijährigen und redet und singt mit den Kleinsten zu einem Thema. Seit August heißt das Thema Erntedank-Fest.
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Der Sommer neigt sich dem Ende zu und die Bäume neigen sich unter ihren vollen Ästen. Seit Ende August hängen die Obstbäume voll mit Pflaumen und Äpfeln, am Rande vieler Streuobstwiesen wuchern die Brombeerhecken. Die sommerdürren Felder und Wiesen sind umrahmt von bunter Pracht. Kinder auf dem Land kennen diese Pracht vielleicht; Stadtkinder sehen dafür die heimischen Äpfel, die Säckeweise im Supermarkt liegen und die Pflaumen, die fast nur noch Palettenweise verkauft werden.
"Wir können Kinder erziehen, sie aber nicht wachsen lassen"
"Es ist ein Wunder, dass aus einem Korn eine Ähre wird. Brot wächst nicht im Supermarkt", sagt Pfarrerin Erdmuthe Jähnig-Diehl darüber, was man den Kindern in der Erntezeit vermitteln kann. In der evangelischen Kindertagesstätte der Stadtkirchengemeinde in Langen (Hessen) erarbeitet sie gemeinsam mit Kindern und Erzieherinnen das Erntedank-Fest. "Mir persönlich ist am Wichtigsten, dass die Kinder das Staunen nicht verlernen", sagt sie. Ihres und das Konzept des Kindergartens lautet: die Kinder sollen mit allen Sinnen lernen.
Mit allen Sinnen anhand von Beispielen: im vergangenen Jahr war es der Apfel, in diesem ist es das Brot, das die Kinder und Erzieherinnen beschäftigt, erzählt Kirsten Scharf, Leiterin der Kita. So stellten die Erzieherinnen einen Brotkorb in die Mitte eines Sitzkreises, damit die Kinder die unterschiedlichen Geschmäcker erleben konnten. Das süße Zwieback und Vollkornbrot, die salzige Reiswaffel und Knäckebrot. Außerdem verteilten sie Getreidesorten und Reis in Schälchen, stellten Bilder der Pflanzen sowie ein jeweils passendes Produkt dazu. "Anhand von Bilderbüchern versuchen wir dann auch die Produktionskette zu erklären", sagt Kirsten Scharf.
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"Zuhause können die Eltern mit ihrem Kind zum Beispiel Kresse oder Getreide säen", schlägt Pfarrerin Erdmuthe Jähnig-Diehl vor. Wer mehr Zeit und Platz habe, der könne auch eine Ecke im Garten für eigene Zucchini oder Sonnenblumen reservieren. "Es ist ganz toll, wenn man das Wachsen beobachten kann", sagt sie, denn: "Kinder selbst sind klein und sie wachsen. Wir können sie zwar erziehen, aber nicht an ihnen ziehen, sie nicht wachsen lassen. Ebenso wenig wie wir Kartoffeln und Getreide wachsen lassen können." Letztlich gehe es deshalb bei Erntedank um die Frage was Segen, Geschenk und Gnade sei, dass Gott die Dinge wachsen lasse und wir keinen Einfluss darauf haben. Und diesen Segen dankbar annehmen können.
Sich als Teil der Schöpfung begreifen
Und diesen Segen sollen auch die Kinder erfahren. "Die Kinder nehmen das Wissen dankbar auf", sagt Erdmuthe Jähnig-Diehl, die ihre Stunden im Kindergarten zur Vorbereitung des Erntedank-Fests als eine Mischung zwischen Biologie-, Sachkunde- und Religionsunterricht versteht. Kleine Kinder lernten besonders gerne über Farben, sagt sie. "Wir sortieren Obst und Gemüse nach rot, grün und gelb und schauen dann auf Bildern, wo es wächst." Baum, Strauch oder Staude? "Dann erzählen wir, dass es nicht selbstverständlich ist, dass etwas wächst und dass wir hier bei uns eine so große Vielfalt haben. Regen und Sonne müssen mitspielen."
Erdmuthe Jähnig-Diehl bereitet außerdem mit Kindergarten und -chor den Erntedank-Gottesdienst der Gemeinde am 6. Oktober 2013 vor. Die Kindergartenkinder werden dort in einem kleinen Theaterstück verschiedene Tiere spielen, die Samen säen, die Ähren ernten, aus dem Korn Mehl mahlen und Brot backen. "Wenn so kleine Kinderhände tatsächlich mal ein Brötchen aus Teig formen, dann werden sie die Brötchentüte im Discounter doch mit ganz anderen Augen betrachten", ist sich Erdmuthe Jähnig-Diehl sicher.
"Brot, Brot, danke für das Brot. Lass uns wenn wir essen, andere nicht vergessen", so geht das Lied, das die Pfarrerin begleitet von ihrer Gitarre mit den Kindern singt und das die zweieinhalbjährige Lena nun abends vor dem Einschlafen betet. Erdmuthe Jähnig-Diehl ist von Lenas Geschichte sehr gerührt. "Das ist doch unsere Chance", sagt sie, "zu fördern, was angelegt ist in einem Kind. Das Staunen, die Dankbarkeit, wenn sie Teile der Schöpfung sehen und sich selbst als Teil davon begreifen."