Lange hatte die Familie für diesen Festtag gespart. Sie wollten tanzen, essen, lachen. Das ganze Dorf sollte die kleine Rakieta Poyga feiern. Doch die Schreie, das Blut, das Gesicht der Beschneiderin, die sich über die Vagina des Mädchens beugt, haben den Tag in Rakieta Poygas Gedächtnis ausgelöscht. Nur die Schmerzen sind geblieben.
Jeder Toilettengang wird zur Qual
Rakieta Poyga aus Burkina Faso gehört zu den rund 125 Millionen Frauen weltweit, die an den Folgen der Genitalverstümmelung leiden. Je nach Ritus werden jeder Gang auf die Toilette und jeder Geschlechtsverkehr zur Qual. Werden die Frauen schwanger, müssen sie mit enormen Komplikationen bei der Geburt rechnen. Einem Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef zufolge ist die Zahl der Betroffenen insgesamt rückläufig. Doch in Ländern wie Dschibuti, Guinea, Somalia oder Ägypten werden weiterhin mehr als 90 Prozent der Mädchen beschnitten.
###mehr-artikel###"Ein minimaler Eingriff kann den Frauen helfen", sagt Roland Scherer, Chefarzt und Experte für Darm- und Enddarmchirurgie am Berliner Klinikum Waldfriede. In Zusammenarbeit mit der "Desert Flower Stiftung" wird es ab September in Waldfriede ein Zentrum geben, das Frauen aufnimmt, die beschnitten sind und sich nun einem Eingriff unterziehen wollen. Europaweit ist es nach Angaben der Stiftung die einzige Anlaufstelle dieser Art.
"Wir sind auf das Schlimmste gefasst", sagt Bernd Quoß, Geschäftsführer des Krankenhauses Waldfriede. Für die meist traumatisierten Frauen stehen Dolmetscher, Sozialarbeiter, Psychologen und Seelsorger bereit. Quoß setzt auf eine ganzheitliche Behandlung. "Viele Familien üben Druck auf die Frauen aus", sagt Quoß. Auch nach der Operation brauchen sie Beratung und Unterstützung
"Das Thema ist tabu"
Gerade hat eine Frauenärztin aus dem Berliner Stadtteil Wedding Chefarzt Scherer angerufen. Sie hat bei einem Ärztekongress von dem Zentrum erfahren und will nun einer Patientin vorschlagen, sich operieren zu lassen. Scherer und Quoß hoffen auf solche "Mundpropaganda" in den afrikanischen Gemeinden, um das Zentrum bekanntzumachen. "In den afrikanischen Gemeinden wird darüber kaum gesprochen", sagt Scherer. "Das Thema ist tabu."
Die Idee geht auf eine Begegnung mit der UN-Sonderbotschafterin Waris Dirie zurück. Dirie, die selbst beschnitten ist und ihre Erlebnisse im Buch "Wüstenblume" beschrieben hat, engagiert sich mit der "Desert Flower Stiftung" gegen weibliche Genitalverstümmelung. Einige Krankenkassen übernehmen die Behandlung für in Deutschland versicherte Frauen. Die Therapie für diejenigen, die aus dem Ausland anreisen, wird über Spenden finanziert. Ein Eingriff kostet bis zu 10.000 Euro.
Beschneidungen auch in Deutschland
Auch in Deutschland schicken Eltern ihre Töchter zur Beschneiderin. Hilfsorganisationen wie "Terre des Femmes" gehen von mehr als 6.000 Mädchen aus, die akut von einer Verstümmelung bedroht sind. Der Organisation zufolge leben in Deutschland mehr als 20.000 beschnittene Frauen. Der Bundestag hat nun ein Gesetz verabschiedet, das weibliche Genitalverstümmelung mit Haftstrafen zwischen einem und 15 Jahren ahndet.
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Rakieta Poyga ist heute 53 Jahre alt. Trotz einer Operation leidet sie noch immer unter den Folgen der Genitalverstümmelung. Bei der Geburt ihrer Tochter wäre sie fast verblutet. Regelmäßig kommt sie heute zu Routineuntersuchungen nach Deutschland. "Ich habe das Glück einen Job zu haben, über den ich meine Behandlung finanzieren kann", sagt Poyga. "Viele beschnittene Frauen können das nicht."
In ihrer Heimat Burkina Faso hat sie die Hilfsorganisation "Bangr Nooma" gegründet. Der Name bedeutet so viel wie "Es gibt nichts Besseres als Wissen". Mit ihren Unterstützern zieht sie von Dorf zu Dorf. Hilfe bekommt sie vor allem auch von ihrer Familie. Doch oft ist der Widerstand groß gegen "Bangr Nooma". Die Aktivistin wird aber nicht aufgeben: "Einmal beschnitten, ist man für das ganze Leben verstümmelt."