Foto: MSF/Peter Casaer
Somalia 2011: Helfer tragen einen Patienten.
Raus aus Somalia: "Unsere schwerste Entscheidung"
Nach über 20 Jahren hat die internationale medizinische Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" alle Projekte in Somalia eingestellt und sich aus dem Bürgerkriegsland zurückgezogen. Wie es zu dieser Entscheidung kam und was das für Somalia bedeutet, erläutert Frank Dörner, Geschäftsführer von "Ärzte ohne Grenzen" in Deutschland.
21.08.2013
evangelisch.de
Franziska Fink

Herr Dörner, Ihre Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat alle Projekte in Somalia geschlossen. Warum ist diese Entscheidung jetzt gefallen und wie schwer war dieser Schritt?

Frank Dörner: Das war sicherlich eine der schwersten Entscheidungen in der 40-jährigen Geschichte von "Ärzte ohne Grenzen". Wir wissen, dass wir in vielen Bereichen und Regionen in Somalia die einzigen waren, die medizinische Hilfe leisten und anbieten konnten und das vor allen Dingen auch kostenlos. Das bedeutete für viele Menschen aus den armen Bevölkerungsteilen, dass sie überhaupt einen Zugang zu medizinischer Versorgung hatten, der jetzt nicht mehr da ist.

Frank Dörner, Geschäftsführer der deutschen Sektion von "Ä?rzte ohne Grenzen"

Es war also eine sehr schwere Entscheidung, denn wir wissen, dass sie die ohnehin sehr schwierigen Lebensbedingungen der Menschen weiter erschweren und das Leid noch vergrößern wird. Für eine humanitäre Organisation ist eine Entscheidung wie unsere in Somalia die schwierigste, die überhaupt getroffen werden kann. Nicht ein einzelnes Ereignis hat dazu geführt, dass wir uns zurückziehen, sondern eine ganze Reihe von verschiedenen Angriffen auf unsere humanitäre Arbeit, unsere Mitarbeiter und unserer Projekte. Vor allen Dingen die erst kurz zurückliegende Entführung zweier unserer Mitarbeiterinnen aus dem kenianischen Flüchtlingslager Dadaab mit anschließender Verschleppung nach Somalia, die erst vor wenigen Wochen nach 21 Monaten Dauer zu Ende gegangen ist, hat uns gezeigt, dass wir in Somalia wenig Unterstützung und verlässliche Informationen bekommen und dass unsere Gegenüber auf irgendeine Art und Weise in die gewalttätigen Übergriffe involviert sein müssen.

Das war auch der Fall bei den Kollegen, die 2011 in Mogadischu getötet worden sind. Der verurteilte Mörder wurde nach wenigen Wochen wieder auf freien Fuß gesetzt. Wir sehen also auch von den zivilen Autoritäten nicht die für humanitäre Arbeit nötige Unterstützung. Wir brauchen aber zumindest minimale Garantien, dass das, was vereinbart wurde, auch eingehalten wird und dass wir nicht aktiv angegriffen werden. Diese Unterstützung gab es in den letzten Jahren in Somalia nicht mehr.

Wie geht es den internationalen Mitarbeitern? Mit welchen Gefühlen haben sie das Land verlassen? Und wie geht es den somalischen Mitarbeitern, die zurückgeblieben sind?

Dörner: Je näher Sie dran sind an der konkreten Situation vor Ort, je mehr Sie involviert sind ins tägliche Helfen in einer Krisensituation, desto schwerer ist es so eine institutionelle Entscheidung zu akzeptieren. Natürlich ist die Bestürzung, Betroffenheit und auch Trauer extrem groß sowohl bei den somalischen als auch bei den internationalen Kollegen. Diejenigen, die vor Ort gearbeitet haben und jetzt wissen, was es bedeutet, ein medizinisches Projekt von jetzt auf gleich zu schließen und Patienten nur mit einer Notfallversorgung zurückzulassen, für die ist das eine schreckliche Situation.

"Es gibt historische Feindschaften zwischen verschiedenen Gruppen und, die politische Landschaft verändert sich schnell und ständig"

Warum werden gerade Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen gezielt angegriffen?

Dörner: Die Ursache solcher Angriffe herauszufinden und zu klären, ob sie wirklich gezielt waren, ist immer sehr schwierig. Letztendlich unterstützen wir die Bevölkerung und versuchen medizinische Hilfe anzubieten, unabhängig von den politischen oder religiösen Hintergründen der Menschen, denen wir helfen. Trotz dieser unparteilichen Hilfe kann eine Oganisation zum Angriffsziel werden. In Somalia gibt es einen chronischen Konflikt, in den sehr viele verschiedene Gruppen involviert sind. Es gibt Clanstrukturen, die schwer durchschaubar sind. Es gibt historische Feindschaften zwischen verschiedenen Gruppen und, die politische Landschaft verändert sich schnell und ständig. Das macht die Lage dort so kompliziert.

###mehr-artikel###Hat vielleicht auch die Hungerkatastrophe in Ostafrika vor zwei Jahren die Sicherheitslage in Somalia verschärft? Wie war die Entwicklung seitdem?

Dörner: Ich würde das nicht in direktem Zusammenhang sehen. Somalia war von der Hungersnot sicherlich besonders betroffen. Wir wissen zum Teil aber bis heute nicht, was im Einzelnen passiert ist, weil wir aus vielen Gebieten nur ganz wenige Informationen über die medizinische und humanitäre Lage erhielten. Natürlich führt eine Hungersnot aber immer zu einer Zuspitzung der chronischen Krisensituation.

Wie sehen die Konsequenzen für die Bevölkerung aus, nachdem "Ärzte ohne Grenzen" sämtliche Projekte in Somalia geschlossen hat?

Dörner: Wir versuchen, den Patienten noch die bestmögliche Versorgung mit auf den Weg zu geben. Wie gut uns das gelingt, ist aber von Projekt zu Projekt sehr unterschiedlich. In manchen Regionen haben wir einfach niemanden an den wir unsere Projekte übergeben können, so dass diese zumindest teilweise weiter laufen können. In anderen Gebieten ist das anscheinend leichter. Zum Beispiel haben die Behörden in der Region Puntland angeküngt, dass sie versuchen werden einen Teil der Hilfe, die wir dort geleistet haben, weiterzuführen. Unser Rückzug ist ein Schritt, der uns von außen aufgezwungen wurde und den wir schweren Herzens gehen, wohlwissend, dass dadurch medizinische Hilfe für viele Menschen nicht mehr erreichbar sein wird.

"Wir hoffen natürlich irgendwann nach Somalia zurückkehren zu können. Denn die Menschen im Land haben ein Recht auf Hilfe"

Ist es überhaupt vorstellbar, dass sich die Lage wieder so entwickelt, dass Sie zurückkehren könnten?

Dörner: Wir hoffen, dass wir wieder zurückkehren können. Doch das wird sicher nicht gleich, sondern - wenn überhaupt - eher mittelfristig möglich sein. Das Problem ist, dass die entsprechenden Autoritäten, diejenigen, die die Macht in den Händen halten, sich ihrer Verantwortung bewusst werden müssen, um humanitäre Hilfe möglich zu machen. Dass es immer gefährlich sein wird, in solchen Konfliktgebieten tätig zu sein ist uns klar. Aber man muss sich auf die wenigen Vereinbarungen, die getroffen werden, verlassen können.

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Gibt es bei Ihnen die Hoffnung, dass ihr Rückzug ein Umdenken anstoßen könnte?

Dörner: Das hoffen wir natürlich. Und an den offiziellen Reaktionen sehen wir, dass dies in einigen Bereichen schon passiert. Was dabei letztendlich herauskommt, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten sehen. Wir hoffen natürlich irgendwann nach Somalia zurückkehren zu können. Denn die Menschen im Land haben ein Recht auf Hilfe.