Ihr Tod kam nicht unerwartet. Auf den Abschied konnten sich der Ehemann und die erwachsenen Kinder während ihrer Krankheit vorbereiten, sich darauf einstimmen. In dieser Zeit hätten die Söhne und Töchter mit der Mutter auch über ihren Wunsch nach der letzten Ruhestätte sprechen können: in Marokko, ihrer Heimat? Oder doch hier in Deutschland, im Geburtsland ihrer Kinder? Diese Fragen tauchten nicht auf in den Gesprächen mit der Sterbenskranken. Aber nicht, weil die Familienangehörigen es als unangenehm empfunden hätten, sie dazu zu fragen. "Uns kam das überhaupt nicht in den Sinn", stellt Abdassamad El Yazidi rückblickend fest.
Seine Mutter starb 2002 in einem deutschen Krankenhaus, beigesetzt wurde sie, die nicht älter als 55 Jahre alt wurde, in ihrer "geliebten Heimat". Das sei ganz ohne Aussprache klar gewesen, sagt der heute 37 Jahre alte Sohn. Seine Mutter wollte ihr Grab in keinem anderen Ort als in dem Küstenstädtchen Kebdana – dort also, wo sie zur Welt gekommen war und aufwuchs, dort, wo sie sich geborgen und wohl fühlt hatte.
Totenruhe in der Heimaterde
Nach mehr einem Jahrzehnt betrachtet El Yazidi die Situation anders. Er beschäftigt sich, im Gegensatz zu seinen Eltern damals, intensiv mit dem Thema Beisetzungsort und islamische Bestattungsrituale. Und das nicht allein aus persönlichen Gründen, sondern auch als ehrenamtlicher Funktionsträger. El Yazidi ist Vorsitzender des Deutsch-Islamischen-Vereinsverbands (DIV), dem 25 Moscheegemeinden aus dem Rhein-Main-Gebiet angehören. Als Vorstandsmitglied bekommt er immer öfter mit, dass es unter den Muslimen hierzulande Gesprächsbedarf gibt über islamische Bestattungen in Deutschland. Früher hätten sich Menschen aus den Anwerbeländern - wie eben auch seine Familie - damit kaum befasst. Es sei für alle selbstverständlich gewesen, dass die Toten in Heimaterde ruhen. Ausnahmen wurden meist lediglich bei Kleinkindern gemacht.
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Inzwischen wachsen die Nachkommen der Arbeitsmigranten in dritter oder gar vierter Generation auf, und der Gedanke, dass sich das Grab der verstorbenen Großeltern oder Eltern an einem fernen Ort befinden könnte, lässt sie nicht kalt.
Die Realität sieht nämlich so aus: Der Besuch am Grab, wenn einem der Wunsch danach ist, das Gebet an hohen islamischen Feiertagen für die Seele der Verstorbenen, für fromme Muslime ein unverzichtbares Ritual, wird nahezu unmöglich; denn die Heimat der Angehörigen ist, wenn überhaupt, nur noch ein Urlaubsland geworden. "Die Imame und Moscheevorstände müssen also vorbereitet sein auf Fragen der Gemeindemitglieder, müssen zeitgemäße Antworten geben können", meint El Yazidi. Daher hat er sich selbst informiert und plant nunmehr eine Gesprächsrunde für Prediger und Vorstände der im DIV vereinten Moscheegemeinden.
Islamische Bestattungsregeln kaum umsetzbar
Den religiösen Bedürfnissen muslimischer Bürger kommen immer mehr Bundesländer und Kommunen entgegen und richten Grabfelder für islamische Bestattungen ein. Nicht überall werden sie aber genutzt. So widmete Oberursel am Taunus, eine Kleinstadt mit rund 44.000 Einwohnern, das 1999 eingerichtete Gräberfeld für Muslime wieder um, weil dort keine einzige Beisetzung erfolgte.
Anders hingegen sieht die Situation beispielsweise in Rüsselsheim und Frankfurt am Main aus, wo die Friedhofsverwaltung weitere Gräberfelder auswies, um dem Bedarf nachzukommen. Frankfurt reagierte schon früh auf Nachfragen von muslimischen Gemeinden und richtete auf einem der Friedhöfe ein Gräberfeld für islamische Bestattungen ein, weil dort der Platz ausgeschöpft war, wurde Mitte 1996 auf dem damals neuen Parkfriedhof Heiligenstock ein Bereich allein für Gräber von Muslimen reserviert. Dieses Flurstück ist durch Bäume und hohe Hecken sichtbar vom anderen Teil des Totenackers abgetrennt – wie auch auf vielen Friedhöfen andere Kommunen.
Die Regeln für islamische Bestattungen können in Deutschland mal mehr, mal weniger umgesetzt werden, da sich die Bestattungsgesetze und die Friedhofsatzungen unterscheiden. So können seit März dieses Jahres auch in Hessen die Toten ohne Sarg beigesetzt werden - also nur im Leichentuch, wie es dem islamischen Gebot entspricht. Es handelt sich um eine so genannte Kann-Bestimmung, für die ein Antrag mit religiöser Begründung erforderlich ist. Bis zur Grabstelle muss der Leichnam im Sarg transportiert werden. Eine Bestattung im Tuch ist beispielsweise in Hamburg bereits seit 1997, in Schleswig-Holstein seit 2005 und in Niedersachsen seit 2006 möglich.
Das Land Nordrhein-Westfalen (NRW), das die Entscheidung über die Sargpflicht bislang den Friedhofsverwaltungen überließ, ist jetzt einen Schritt weitergegangen: Das Kabinett billigte ein Gesetz, das demnächst in den Landtag eingebracht werden und Anfang 2014 in Kraft treten soll. Demnach soll Kommunen ermöglicht werden, "gemeinnützigen Religionsgemeinschaften oder religiösen Vereinen die Errichtung und den Betrieb eines Friedhofes" zu übertragen. "Ich gehe davon aus, dass sich immer mehr Muslime in Deutschland bestatten lassen möchten, damit sich die Grabstätten in der Nähe ihrer hier lebenden Kinder und Enkel befinden", erklärte dazu NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens.
90 Prozent lassen sich im Herkunftsland bestatten
Noch werden nach Schätzungen der Moscheeverbände rund 90 Prozent der muslimischen Migranten im Herkunftsland beigesetzt. Es gibt Sterbeversicherungen, die beispielsweise in den Moscheevereinen abgeschlossen werden und die dann die Kosten für Überführung, Bestattung und Flüge der Angehörigen übernehmen – nicht aber die sich auf rund 5.000 Euro belaufenden Ausgaben für eine Beisetzung in Deutschland.
Neben emotionalen und finanziellen Gründen spielt bei der Entscheidung für die Bestattung im Herkunftsland vor allem die Ruhefrist eine Rolle. In Deutschland beträgt sie je nach Bundesland und Kommune zwischen 20 und 25 Jahren und kann nur bei Wahlgräbern verlängert werden. Das islamische Bestattungsritual sieht aber das ewige Ruherecht vor - wie auch die Beisetzung im Leichentuch und seitlich liegend mit dem Gesicht Richtung Mekka. Das wiederum bereitet aus "technischen" Gründen bei Bestattungen auf hiesigen Friedhöfen Probleme. Das Einbetten des Leichnams im Tuch erweist sich aufgrund der Enge und der Tiefe des Grabes als schwierig. In Hessen beispielsweise müssen die Särge mit mindestens einem Meter Erde bedeckt werden, so dass die Gräber etwa 1,75 Meter tief ausgehoben werden müssen.
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"Wenn der Leichnam ins Grab herabgelassen und dort gewendet wird, sieht es nicht sehr pietätvoll aus", so El Yezidi. Es müssten also Lösungen gesucht werden. Probleme bereitet den Muslimen bei Bestattungen hierzulande auch, dass das Gebot, Tote innerhalb eines Tages zu beerdigen, nicht umgesetzt werden kann - und das nicht allein aus verwaltungstechnischen Gründen, sondern auch wegen der gesetzlich festgelegten Frist, wonach zwischen Ableben und Beisetzung mindestens 48 Stunden verstrichen sein müssen.
Ortsbesichtigungen sollen die Hemmschwelle senken
Auch wenn die Bestattung von Angehörigen eingewanderter Muslime hierzulande noch nicht selbstverständlich ist: Wie sehr diese Bevölkerungsgruppe hier heimisch geworden ist, macht sich gerade auch in der Grabgestaltung bemerkbar. Charakteristisch für Grabsteine in islamischen Abteilungen sind Koransuren und orientalische Ornamente, viele Gräber von Muslimen sind aber auch – abweichend von Tradition in islamischen Ländern – mit Engeln und Blumen geschmückt und von Pflanzen umrahmt.
El Yazidi meint, dass eine Ortsbesichtigung helfen könnte, den Muslimen die Hemmungen vor einem Friedhof in Deutschland zu nehmen. Solch eine geführte Tour möchte er für die Geistlichen und die Vereinsvorstände organisieren. Vielleicht hilft der Gang zu solch einem Grabfeld El Yadizi, eine Entscheidung zu treffen. Denn der Sohn von Arbeitsmigranten, der in einer hessischen Kleinstadt geboren wurde, sich nach eigenem Bekunden hier zuhause fühlt und inzwischen selber Vater ist, hat noch keine eindeutige Antwort auf die Frage, wo sich seine letzte Ruhestätte befinden soll.