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Die Realität ist kein Märchen
Scripted-Reality-Sendungen sind für Kinder nicht geeignet
Der nackte Mann hat auf seinem Bauch eine Portion Spaghetti. Seine Liebste beginnt die Pasta zu verspeisen. Eine Szene "Mitten im Leben", wie der Name der RTL-Sendung suggeriert. Die wacklige Handkamera vermittelt, das Gezeigte sei real. Nur wer beim Abspann gut aufpasst, erfährt: "Nach einer wahren Geschichte. Die handelnden Personen sind frei erfunden." - "Scripted Reality" heißen solche Formate.

Welche Wirkung hat die "Mitten im Leben"-Nachfolgesendung "Familien im Brennpunkt" (RTL) auf Kinder und Jugendliche? Das haben die Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen (LfM NRW) und das Münchner Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) analysiert.

Nach ihren Erkenntnissen geht fast die Hälfte aller Sechs- bis 18-Jährigen, die regelmäßig "Familien im Brennpunkt" ansehen, davon aus, dass die Handlung echte Begebenheiten nachstellt. Fast ein Drittel glaubt sogar, dass die Sendung die Realität dokumentiere. Die Werte sind umso höher, je jünger und bildungsferner die befragten Kinder und Jugendlichen sind.

"Die böse Hexe in den Ofen werfen"

"Kinder und Jugendliche denken, dass das die Erwachsenenwelt ist. Sie suchen darin Orientierung für ihren eigenen Weg", stellt Jürgen Brautmeier, Direktor der LfM NRW fest.

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Die Handlungen sind abstrus. In einer Folge wird ein Mädchen schwanger und daraufhin von ihren Eltern vor die Tür gesetzt. Sie quartiert sich bei einer Freundin ein und lässt sich von ihr aushalten, indem sie die Freundin als Escort-Dame Geld verdienen lässt. "Diese Geschichte wird der komplexen Situation von jungen Müttern nicht im Geringsten gerecht", urteilen die Autoren der Studie.

Die Charaktere seien kein gelungenes Abbild der Wirklichkeit. Das Handeln der schwangeren Freundin sei nur durch Egozentrik geprägt. Auch in anderen Sendungen von "Familien im Brennpunkt" ließen sich die Figuren eindeutig in Gute und Böse einteilen. "Solange es ein Märchen ist, kann ich die böse Hexe in den Ofen werfen", sagt Maya Götz, Leiterin des IZI. Doch reale Menschen hätten viele Facetten, ihr Handeln sei nicht einfach darin begründet, böse oder egozentrisch zu sein.

Spaltung der Gesellschaft

Auch für den Umgang mit Konflikten sind die Sendungen keine große Hilfe. Nach chaotischen 45 Minuten gelangt die Handlung zu einem abrupten Happy End. Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), sagt: "Bis zum Ende keifen sie sich an, dann sind alle plötzlich wieder glücklich."

Und noch etwas sieht Maya Götz kritisch. Während vor allem Hauptschüler den fiktionalen Charakter der Scripted-Reality-Formate nicht immer erkennen, beobachtet sie bei Gymnasiasten etwas anderes. Sie würden - auch wenn sie die Fiktion erkennen - dazu verleitet, auf andere Milieus herabzublicken. Das zeige sich in Äußerungen wie: "Seit ich das sehe, weiß ich, dass es richtig doofe Menschen gibt." Das könne, so Götz, zu einer Spaltung der Gesellschaft beitragen.

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Von Gottberg steht Scripted-Reality-Formaten gelassener gegenüber. Tatsächlich kann er ihnen sogar etwas Positives abgewinnen: "Ich glaube, dass wir solche Sendungen für moralische Diskurse brauchen. Auch wenn die Macher das mit Sicherheit nicht im Blick haben." Eine Inhaltsanalyse der FSF habe ergeben, dass fast die Hälfte der untersuchten Sendungen einen moralischen Appell enthielten - etwa die Warnung vor falschen Beschuldigungen. Für Maya Götz ein wenig überraschendes Ergebnis: "Menschen würden das nicht massenhaft gucken, würden sie nicht ihre Werte und Ideale wiederfinden."

Einig sind sich Götz und von Gottberg jedoch in einem Punkt: Scripted-Reality-Formate müssten pädagogisch aufbereitet werden, damit Kinder und Jugendliche unterscheiden können, was im Fernsehen fiktional und was dokumentarisch ist.