Nicht auf jeden freigelassenen Gefangenen wartet eine Existenz. Manche Ex-Häftlinge stehen vor dem Nichts.
Foto: epd-bild/Andreas Hampel
Nicht auf jeden freigelassenen Gefangenen wartet eine Existenz. Manche Ex-Häftlinge stehen vor dem Nichts.
Nach der Haft bleibt oft nur die Topfpflanze
Auch wenn nur die wenigsten Häftlinge so plötzlich entlassen werden wie Gustl Mollath aus der geschlossenen Psychiatrie, vielen geht es so wie ihm: Sie haben fast nichts mehr außer vielleicht einer Topfpflanze unter dem Arm. Aber es gibt Hilfen von der Justiz, den Kirchen und der Diakonie, damit Häftlinge wissen, in welchem Zimmer sie wohnen und in welchem Bett sie schlafen können, wenn sie wieder draußen sind. Einfach ist es nicht.

"Stellen Sie sich vor, Sie sind jahrelang im Ausland gewesen und müssen dann wieder hier Fuß fassen." Pfarrer Ulli Schönrock versucht einen Vergleich, den jeder verstehen kann. "In der Regel gibt es keine Wohnung, keine Arbeit mehr, und viele soziale und familiäre Kontakte sind abgebrochen." Für Menschen, die gerade aus dem Gefängnis kommen, ist die Situation noch viel schwieriger, denn während ihrer Haft werden ihnen sämtliche Entscheidungsmöglichkeiten abgenommen. Es gibt genaue Vorschriften, und der Tagesablauf ist geregelt vom Aufstehen bis zur Bettruhe. Pfarrer Schönrock formuliert das so: "Das einzige, was sie aus eigenem Antrieb tun dürfen, ist Luftholen und zur Toilette gehen. Und danach müssen sie wieder selbst entscheiden."

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Schönrock ist Vorsitzender der evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland und arbeitet selbst als Seelsorger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Meppen. Er sagt, er kennt die Häftlinge ziemlich gut, unterhält sich oft mit ihnen – einzeln, aber auch in Gruppen. Regelmäßig gibt es Gottesdienste, in denen er mit den Männern ins Gespräch kommt. Mit den Frauen natürlich auch, aber der Großteil der Inhaftierten sei männlich, über 90 Prozent.

"Wenn sie ganz viel Glück haben und aus einem relativ intakten Gefüge in Haft gehen, dann haben sie nach der Haft das Glück, wieder in die alte Wohnung zu ziehen. Aber ich kenne viele Inhaftierte, die haben während der Haft ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Auch persönliche Dinge konnten sie nirgendwo unterstellen. Die Vermieter entsorgen das dann und dann stehen sie vor dem Nichts, wenn sie wieder rauskommen", sagt Schönrock. Er schätzt, dass für mehr als die Hälfte der Inhaftierten das Haftende einen totalen Neuanfang bedeutet.

Nicht jeder will an Straffällige vermieten

Im Jahr 1976 trat das bundesweit geltende Strafvollzugsgesetz in Kraft, das den Vollzug in Deutschland nicht nur vereinheitlichte, sondern in einigen Teilen auch lockerte. Ein großer Teil der Inhaftierten bekam vergleichsweise häufig Hafturlaub, um die Entlassung selbst vorzubereiten. "Haft-Lockerung" nennt das Dieter Stolz, Koordinator im Sozialdienst in der JVA Butzbach. "Aber Ende der 90er Jahre gab es aufgrund einiger spektakulärer Straftaten eine Strafrechtsreform, die weniger Lockerung ermöglichte." Für die Häftlinge wurde es wieder schwieriger, eine Wohnung zu suchen, Bewerbungsgespräche zu führen und neue Kontakte herzustellen.

Seit 2008 ist das bundeseinheitliche Strafvollzugsgesetz nach der Föderalismusreform wieder außer Kraft gesetzt. Stattdessen gibt es Ländervollzugsgesetze und ihre Verwaltungsvorschriften. Die Länder haben das sogenannte Übergangsmanagement eingeführt, finanziert von den Ländern und dem europäischen Sozialfonds. Die Justizvollzugsanstalten arbeiten dabei mit freien Trägern wie der Arbeiterwohlfahrt und der Diakonie zusammen. Vier bis fünf Monate vor Haftentlassung informiert der Sozialdienst der JVA beispielsweise die Straffälligenhilfe der Diakonie. "Die nehmen dann Kontakt mit den Häftlingen auf und versuchen zum Beispiel Unterkünfte zu vermitteln und alte Kontakte zu Freunden oder zur Familie wieder aufzubauen", sagt Stolz.

"Dann tut sich häufig die Schwierigkeit auf, dass es nötig ist, für die Wohnungssuche zum Beispiel Hafturlaub zu beantragen", berichtet Sabine Bruns. Sie ist Referentin im Geschäftsbereich Soziales und Integration der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und für die Straffälligenhilfe zuständig. "Da gab es in den letzten Jahren schon einen deutlichen Rückgang von Beurlaubungen." Sie glaubt, dass in der Gesellschaft immer sehr überbewertet wird, "wenn es mal in absoluten Einzelfällen zu Vergehen während so einer Beurlaubung kommt". Dabei sei es ohnehin schon schwierig, Vermieter davon zu überzeugen, einen Straffälligen als Mieter zu akzeptieren. Aber mit dem Übergangsmanagement sei man auf dem richtigen Weg.

Manchmal glückt es bis zur Hochzeit

Trotzdem seien dringend Änderungen in den Strafgesetzbüchern nötig, sagt Bruns. Es müsse aus der Haft möglich sein, den Kontakt zum Jobcenter und zur Agentur für Arbeit herzustellen, den Personalausweis zu beantragen und andere Behördengänge zu erledigen. Durch die "Vereinbarung über die Integration von Strafgefangenen" sei das in Hessen schon möglich, berichtet Dieter Stolz. Zwar könnten Inhaftierte die eigentlichen Anträge erst stellen, wenn die Haft beendet ist, "aber allein, dass aus der Inhaftierung heraus schon Ansprechpartner da sind, das ist ein großer Schritt nach vorne".

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Neben dem sozialen Dienst und dem Übergangsmanagement kommt außerdem noch die Hilfe nach der Haft dazu: Wer eine Freiheitsstrafe über zwei Jahren abgesessen hat, bekommt automatisch einen Bewährungshelfer zugeteilt, den er nach der Haft regelmäßig besuchen muss.

"Es gibt viele Beispiele dafür, dass wir die Partnerinnen mitbegleitet haben, Gefangene entlassen wurden, und dann gehen sie in die Familie zurück und haben Glück, dass sie gleich Arbeit finden. Das gibt es", sagt Pfarrer Ulli Schönrock. "Und da kommt es dann schon mal vor, dass einer fragt, ob ich sie bei ihrer Hochzeit trauen kann. Das sind so die schönen Momente, wo man davon ausgeht: Es ist geglückt."