Reporter umlagern Geiselgangster: Am 18. August 1988, vor 25 Jahren, geben die Geiselnehmer Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner in ihrem Fluchtauto in der Kölner Fußgängerzone Interviews. Eine Geisel wird gefragt, wie es ihr geht, ein Reporter steigt mit ins Auto. Es ist das "öffentlichste Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte", stellt ein Kritiker fest. ARD-Moderator Frank Plasberg, der die Gangster damals als freier Radioreporter für SWF 3 (heute SWR 3) interviewte, beschrieb die Szene später als "Pressekonferenz mit extrem surrealen Zügen".
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Die beiden Männer haben zu diesem Zeitpunkt gut 48 Stunden nicht geschlafen. Sie hatten am 16. August eine Bank im nordrhein-westfälischen Gladbeck überfallen, Bankangestellte als Geiseln genommen, in Bremen einen Linienbus gekapert und eine zweitägige Flucht hinter sich. Zwei junge Frauen sind in ihrer Gewalt.
Rösner sagt, wenn etwas schief laufe, "sind die Mädchen tot". Nach den Geiseln werde er erst seine Freundin, die ebenfalls im Auto saß, erschießen und sich dann selbst "das Dingen in den Mund" stecken - gemeint ist die Pistole, die er sich zur Demonstration in den Mund hält. Die Auslöser der Kameras klicken.
Journalisten agieren als selbsternannte Vermittler
Ein Reporter fragt die Entführer: "Können wir etwas für Sie tun?" Eine Geisel, der Degowski die Pistole an den Hals hält, wird gefragt, wie es ihr gehe. "Gut", sagt sie. Sie hoffe, dass die Polizei nun auf die Forderungen der Gangster eingehe "und nicht wieder dazwischenfunkt". "Kölner Express"-Reporter Udo Röbel steigt in das Auto zu den Gangstern und ihren Geiseln, um ihnen den Weg zur Autobahn zu zeigen.
Ein haarsträubendes Dokument der Fernsehgeschichte. Kein Ruhmesblatt des Journalismus. Im sogenannten Gladbecker Geiseldrama haben auch die Einsatzkräfte der Polizei schwere Fehler gemacht. Der damalige Bremer Innensenator Bernd Meyer zog die Konsequenzen und trat zurück. Die Geisel Silke B. und ein 15-Jähriger waren erschossen worden.
Wie die Journalisten die Geiselnehmer zu Fernsehstars machten, war beispiellos. Irgendwann sagte einer der Gangster: "Ich will jetzt nur noch durch die Medien sprechen." Die Journalisten agierten als selbsternannte Vermittler, und sie verhinderten durch ihre Anwesenheit auch immer wieder, dass die Polizei zugreifen konnte. In Bremen, Essen und Köln wurden anschließend Strafanzeigen gegen Reporter erstattet, weil sie polizeiliche Maßnahmen behindert hätten.
Kampf um den besten Gangster-O-Ton
Das 54 Stunden dauernde Geiseldrama war noch nicht beendet, da setzte die Diskussion über die Rolle der Medien bereits ein. Viele kritisierten die Interviews mit den Geiselnehmern, die in den "Tagesthemen" der ARD und im "heute journal" des ZDF gesendet wurden. Keine zwei Wochen später nahm ein Untersuchungsausschuss im nordrhein-westfälischen Landtag die Arbeit auf, der sich auch mit der Rolle der Medien beschäftigte.
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Der damalige Chefredakteur von ARD Aktuell, Henning Röhl, verteidigte bei der Anhörung ein Interview als "wenn auch sehr makabres Dokument". Seine Redaktion habe ihre Informations- und Chronistenpflicht erfüllt, als sie das Interview gezeigt habe. In der Analyse wurde das Versagen der Medien vor allem mit der damals neuen Konkurrenz durch die erst wenige Jahre alten Privatsender erklärt.
Selbst ein Vertreter des Presserats sagte in der Anhörung im Landtag, das Verhalten der Journalisten müsse als "Ausdruck der gesellschaftlichen Situation und Entwicklung der Bundesrepublik" bewertet werden. Doch RTL und Sat.1 waren damals noch unbedeutende Sender, die kaum jemand sah. Es waren vor allem ARD-Anstalten, das ZDF und die Boulevardpresse, die sich im Kampf um den besten Gangster-O-Ton gegenseitig hochschaukelten.
"Totalversagen der Medien"
Der Presserat zog nach dem Geiseldrama Konsequenzen. Das Selbstkontrollorgan der Presse nahm einen neuen Passus in seinen Pressekodex auf: "Interviews mit Tätern während des Tatgeschehens darf es nicht geben", steht seither in Ziffer 11.
Udo Röbel, der kurz nach dem Geiseldrama stellvertretender Chefredakteur von "Bild am Sonntag" wurde, sprach später von einem "Totalversagen der Medien". Die Jagd auf die besten Gangsterbilder habe "rauschartige Züge" angenommen. Auch er selbst habe schwere Fehler gemacht, räumte der Journalist ein.
Der damals 31 Jahre alte Radioreporter Frank Plasberg sagte 15 Jahre später, es sei richtig gewesen, dass er als Reporter das Interview mit den Gangstern in der Kölner Fußgängerzone gemacht habe. Doch ebenso richtig sei die Entscheidung der Redaktion von SWF 3 gewesen, das Interview nicht zu senden.