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TV-Tipp des Tages: "Die Gentlemen baten zur Kasse" (Arte)
TV-Tipp des Tages: "Die Gentlemen baten zur Kasse", 2. August, 20.15 Uhr auf Arte
Am 8. August 2013 jährt sich der größte Eisenbahnraub aller Zeiten zum 50. Mal. Bis heute ist der Fall nicht vollständig geklärt. Der Dokudrama-Zweiteiler erzählt mit Interviews und Spielszenen die Geschichte der Bande um Bruce Reynolds, wobei unmittelbar Beteiligte des Raubs zu Wort kommen.

Es war der größte Eisenbahnraub aller Zeiten: Am 8. August 1963 überfielen englische Gangster einen Zug der britischen Royal Mail und erbeuteten zur Vernichtung vorgesehene Geldscheine im Wert von 2,6 Millionen Pfund; nach heutigem Wert knapp 50 Millionen Euro. Die Jagd nach den Ganoven hielt die Welt in Atem. Der mit Schauspielern wie Horst Tappert oder Siegfried Lowitz besetzte deutsche TV-Film "Die Gentlemen bitten zur Kasse" war bei seiner Ausstrahlung 1966 ein Straßenfeger und sorgte dafür, dass die Legende lebendig blieb, zumal einige der Posträuber damals immer noch auf der Flucht waren. Der Titel bezog sich auf den ersten Coup der Bande, die zum Raub der Lohngelder einer Fluglinie mit Schirm, Chauffeur und Melone auftraten. Initiator des dreiteiligen Films war Egon Monk, damals Leiter der Fernsehfilmabteilung des NDR; er begründete mit dem "Doku-Spiel" ein zumindest für deutsche Verhältnisse völlig neues Genre.

Reizvolle Kombination von Interviews und Spielszenen

Nun gibt es wieder einen Film über die Posträuber, und es ist kein Zufall, dass sich die Titel sehr ähneln: Carl-Ludwig Rettinger hat sich für sein Dokudrama "Die Gentlemen baten zur Kasse" ausgiebig bei dem Klassiker wie auch bei der 1972 ausgestrahlten Fortsetzung "Hoopers letzte Jagd" bedient. Knapp fünfzig Jahre nach dem Überfall sind endlich die lange unter Verschluss gehaltenen Polizeiakten geöffnet worden. Rettinger, Produzent einer Vielzahl preisgekrönter Dokumentationen, gestaltet sein Werk zwar mit der üblichen Kombination von Interviews und Spielszenen, doch die Rekonstruktionen stammen aus "Die Gentlemen bitten zur Kasse". Auf diese Weise entsteht gerade in der ersten Hälfte eine ausgesprochen reizvolle Mischung, denn die Bilder aus der schwarzweißen TV-Produktion ergänzen sich natürlich vortrefflich mit zeitgenössischem Reportagematerial.

Zentrale Figur des Films ist über weite Strecken Bruce Reynolds (im TV-Film von Tappert verkörpert), der zwar nie die Popularität von Ronald Biggs erreichte, aber als Superhirn der insgesamt 15köpfigen Bande für den perfekt ausbaldowerten Plan verantwortlich war. Der im Verlauf der Dreharbeiten verstorbene Reynolds kommt ebenso zu Wort wie einige seiner Komplizen. Nicht minder interessant sind die Kindheitserinnerungen von Reynolds’ Sohn Nick, der Rettinger private Super-8-Aufnahmen zur Verfügung stellte. Die zweite Hälfte des Films behandelt die Flucht vor allem von Biggs und Reynolds und schlägt den Bogen bis in die Gegenwart, ist allerdings nicht mehr ganz so spannend wie der erste Teil.

Zunächst jedoch ist das Werk fesselnd wie ein Krimi. Rettinger stellt seine Hauptfiguren vor und beschreibt ihre entbehrungsreiche Kindheit, die sie zusammengeschweißt hat. Den Überfall rekonstruiert er auch dank diverser Ausschnitte aus dem TV-Klassiker minutiös; in vielen Details war das Dokumentarspiel erstaunlich authentisch. Bloß über die Ermittlungen hat man damals nicht viel gewusst. Diese Lücke schließt der Film nun und macht dabei deutlich, dass sich Scotland Yard einiger zwielichtiger Methoden bediente. Dank einer äußerst großzügigen Belohnung und diverser Tipps aus der Unterwelt wusste die Polizei schon zwei Tage nach dem Überfall die Namen der wichtigsten Bandenmitglieder. Zum ersten Mal in der britischen Geschichte wurden die Fotos von Verdächtigen veröffentlicht. Rechtlich war das mindestens fragwürdig, schließlich handelte es sich weder um verurteilte Straftäter noch gab es stichhaltige Beweise für ihre Beteiligung.

Wie schon der alte Schwarzweißfilm, so kann sich auch Rettingers Werk von einer gewissen Bewunderung für die Tat nicht freimachen. Die Ganoven werden im Kommentar vertraulich beim Vornamen genannt; dank der vielen Ausschnitte, die Reynolds als "Mastermind" vorstellen, hegt man ähnlich wie die Bevölkerung damals ohnehin Sympathie für die Verbrecher. Kein Wunder, dass man auch die Empörung über das drakonische Strafmaß (dreißig Jahre) teilt. Ein ungewöhnlicher und von Gerald Schullers zeitgenössisch klingender Musik trefflich untermalter Film, der ein Stück Fernsehgeschichte wieder aufleben lässt.