###mehr-artikel###
Die Haustür ist nur angelehnt. Kenny Tokwe klopft kurz und steht nach einem Schritt schon im Wohnzimmer. Er weist links in die Ecke zu einem Doppelbett und zeigt seinen Begleitern dann, wo auf der anderen Seite die Kinder schlafen. Es ist dunkel, weil es nur ein Fensterchen gibt. Die Luft ist stickig und riecht leicht faulig. Mehrmals pro Woche besucht Tokwe das Haus eines Nachbarn in der Schwarzensiedlung Imizamo Yethu im südafrikanischen Kapstadt - mit einer Gruppe Touristen im Gefolge.
Er führt Amerikaner und Europäer durch sein Viertel. Slum-Tourismus heißt die Branche, in der Tokwe eine Arbeit gefunden hat: Weltweit zieht es Touristen in die Armenquartiere der Metropolen, um Land und Leute kennenzulernen. Südafrika ist der Schwerpunkt des Reisetrends.
"Gestern hat es geregnet", sagt Tokwe und deutet auf eine Pfütze neben dem Bett, über die notdürftig eine Linoleumplatte gelegt ist. "Das ist ein Problem, alles ist feucht." Der Tourleiter, ein kräftiger Mann mit breiter Nase, Regenjacke und Schildmütze, verheimlicht nichts und redet nichts schön.
Rund 800.000 Besucher kommen jährlich in die Townships, wie die Schwarzensiedlungen in Südafrika genannt werden, allein in Kapstadt sind es Schätzungen zufolge 400.000. In Soweto bei Johannesburg sollen inzwischen tausend Jobs davon abhängen. Doch der Slum-Tourismus wirft auch eine moralische Frage auf. Tragen die Besucher dazu bei, die Armut in den Vierteln zu lindern? Oder sind sie einfach Voyeure?
"Die Vergleiche mit einer Menschen-Safari sind weit verbreitet", sagt Malte Steinbrink von der Universität Osnabrück. "Meine Beobachtungen und Gespräche geben aber kaum Hinweise darauf, dass die Touristen von den Bewohnern als Voyeure wahrgenommen werden - den meisten ist deren Anwesenheit ziemlich egal." Manche entwickelten auch Stolz auf ihr Viertel. "Anders ist es, wenn in die Privatsphäre eingedrungen wird oder beim hemmungslosen Fotografieren."
Forscher: Armutstourismus hilft nicht bei Armutsbekämpfung
Tokwe sagt, man freue sich über jeden Besucher, der sich für das Leben im Township interessiert. Es gebe allerdings Touren, bei denen Urlauber im Auto durch die Armenviertel gefahren werden und auf Abstand bleiben, kritisiert er. "Wir machen alles zu Fuß, die Besucher kommen in Kontakt mit den Menschen - sonst ist es wie im Zoo."
###mehr-info###
Die Einnahmen aus Tokwes Führung bleiben im Township und fließen nicht in die Kasse eines großen Veranstalters. Besucher zahlen knapp sechs Euro für einen zweistündigen Rundgang. Mit der Hälfte davon werden Projekte in Imizamo Yethu finanziert. Die Familien, deren Hütten besichtigt werden, bekommen am Monatsende knapp einen Euro pro Tourist.
Unterstützung für die Armen als Hauptgrund der Touren lässt Forscher Steinbrink allerdings nicht gelten. "Der Aspekt der Hilfe wird von Touranbietern und Touristen häufig als Rechtfertigung angeführt, um ethischen Zweifeln zu begegnen", sagt er. "Aber wer 'helfen' möchte, braucht wirklich keine Slum-Tour zu machen." Die Hoffnung, Armutstourismus sei ein Mittel zur Armutsreduzierung, teilt er nicht. Meist profitierten nur Einzelne.
Die Slums haben mehr zu bieten als Armut
Steinbrink hält auch eine Entpolitisierung als Folge des Slum-Tourismus für problematisch. Vorher verbinden die meisten Ausländer Schmutz, Elend und Gewalt mit Slums. "Nach einer Tour sind die meisten aber richtig beseelt und berichten von intensiven, positiven Erlebnissen." Slums würden nicht mehr als Orte extremer sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit wahrgenommen, sondern als exotischer Ausdruck einer kulturellen Eigenart.
In Soweto wurde vor ein paar Wochen der erste Tourismusverein gegründet. Die sieben Unternehmer der Initiative "Soweto" wollen noch mehr Besucher in das Viertel bringen, gleichzeitig aber auch sein Image verändern. Soweto habe mehr zu bieten als Armut, sagt Gründungsmitglied Raymond Rampolokeng. "Wir wollen das Bild ergänzen um Abenteuer, Kunst und Konferenzmöglichkeiten." Zu einer neuen Attraktion wurden bereits die Kühltürme des Orlando-Kraftwerks. Jugendliche entwickelten eine eigene Geschäftsidee: Bungee-Jumping im Slum.