Behände steigt Klaus Schweim die steile Holztreppe zum Speicher hoch. Mit sicherem Tritt zwängt der hochgewachsene schlanke 73-Jährige sich durch die schmale Dachluke und hangelt sich aufs Dach seines Reihenhauses. Mit geübten Griffen legt er seinen Sicherheitsgurt an und balanciert bis zur den Metallständern auf der Dachmittte. Dort strecken sich sechs Doppelsolarmodule dem Himmel über Bergneustadt entgegen. "Das ist meine nachgeführte Anlage", strahlt er.
###mehr-artikel### Mit Erfindergeist hat der Ingenieur für Kerntechnik und Apparatebau aus einem alten Waschmaschinenmotor, Ford Fiesta Autoachsen und Fahrradketten eine Anlage ausgetüftelt, die stets dem Stand der Sonne nachwandert. Das Material stammt dabei alles vom Schrottplatz. "Das steigert den Ertrag um 20 bis 30 Prozent", erklärt Klaus Schweim stolz in einem unverkennbar norddeutschen Tonfall. Heute prüft er, ob die Solarmodule eventuell gereinigt werden müssen, damit sie ihre volle Leistung bringen können.
Trotz Regen lohnt sich der Umstieg
Für seine Dachakrobatik hält er sich mit Laufen und Inliner-Langstreckenläufen fit. Schließlich ist er regelmäßig auch ehrenamtlich auf fremden Dächern unterwegs. Schweim gehört zum Verein Nove Oberberg, der sich die "Nutzung ökologisch verträglicher Energie" auf die Fahnen geschrieben hat und 27 private Solaranlagen betreut. Zudem ist er ehrenamtlicher Energieberater seiner Wahlheimatstadt Bergneustadt und hat beharrlich den Bau etlicher Solaranlagen auf kommunalen Dächern durchgesetzt.
Eine Solarthermieanlage, die seit 1989 selbst bei minus 16 Grad und klarem Himmel 80 Grad heißes Wasser erzeugt, führt dazu, dass im Hause Schweim von April bis Oktober kein Strom und kein Gas zur Warmwassererzeugung mehr gebraucht wird. Seit kurzem gibt es auch auf dem Wintergarten-Dach transparente Dreifach-Isolierglas-Solarmodule. Die tun nicht nur der Umwelt, sondern auch dem Geldbeutel gut. "Noch immer ist es billiger, selbst erzeugten Öko-Strom zu verbrauchen als ihn von Konzernen, die auch Atomstrom produzieren, zu kaufen", rechnet Klaus Schweim vor.
Energieverbrauch um 80 Prozent verringert
Mit Leidenschaft und Sachkenntnis ist Klaus Schweim seit Jahren als Energiesparfuchs im eigenen Haus unterwegs. Und wenn er gebeten wird, auch in fremden Häusern. Von der Glühbirne bis zu den elektrischen Haushaltsgeräten kommt alles auf den Prüfstand. Das Reihenhaus, das er mit seiner Frau Heide bewohnt, hat er in jahrelanger Eigenarbeit vom Keller bis zum Speicher gedämmt. Die Ergebnisse aller Bemühungen können sich sehen lassen: Der Energieverbrauch im Haus ist um stattliche 80 Prozent gesunken.
###mehr-links### Schweims Einsatz entlasten zwar den Geldbeutel, belastet aber gelegentlich das Familienklima. Ehefrau Heide kann das Dauerbrenner- Lieblingsthema ihres alternativen Energie-Aktivisten manchmal nicht mehr hören. Wenn er Nachbarn und Gäste wieder einmal beschwört, auf Ökostrom umzusteigen Strom zu sparen, bei einer Anti-Atom-Demo mitzumachen oder endlich auch die Sonne als Energielieferant anzuzapfen, dann rollt sie schon mal mit den Augen. "Gibt es denn kein anderes Thema?"
Wenn er seiner Enttäuschung über die Bremsmanöver der Regierung in Sachen Energiewende Luft macht, wenn er über "die großen Vier" schimpft, wie er die marktbeherrschenden Energiekonzerne nennt, dann sucht sie gelegentlich das Weite. "Dabei gebe ich ihm in der Sache Recht", betont sie. Dass etliche Nachbarn ihn für einen "Spinner" halten, der mit seinen vielen Photovoltaikanlagen und der überdimensionierten Regentonne auf dem Balkon das Haus "verschandelt", findet er "einfach nur traurig".
Ende der Begeisterung für Atomkraft
Wo Klaus Schweim die Energie für seinen unermüdlichen Einsatz hernimmt? Als Ingenieur für Kerntechnik und Apparatebau bei einer weltweit renommierten Kesselbauerfirma hat er viele Jahre begeistert an der Berechnung kerntechnischer Projekte mitgearbeitet. "Das letzte war die Ausstattung des Kernkraftwerkes Gundremmingen. Da haben wir die bis heute bestleistenden Siedewasserreaktoren in Europa gebaut", erinnert er sich mit unüberhörbarem Stolz auf seine Ingenieursleistung. Erste Zweifel am Konzept der Atomenergie hatte er allerdings, als er feststellt, dass die Schweißnähte der Kessel nicht so lange sicher halten wie die geplante Laufzeit der Atomanlage.
Das endgültige Ende seiner Begeisterung für Atomenergie kam für Klaus Schweim 1986 mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl. "Ich habe die ersten 25 Jahre meines Lebens auf dem Bauernhof gelebt. Zu erleben, dass die Menschen nicht mal mehr in den Garten gehen konnten, um Salat zu ernten, das hat mich geschockt. Mir wurde klar, wie wir unsere Welt zum Schlechten verändert haben."
Und so wird der Ausbau der erneuerbarer Energie zur Herzensangelegenheit des ehemaligen Kernkraftingenieurs. "Ich bin meinen drei Kindern und den vier Enkelkindern verpflichtet, die Fehler, die ich gemacht habe, so weit wie möglich zu kompensieren", sagt er. "Unsere Kinder und Kindes-Kindes werden unsere Generation auf ewig anklagen, wenn wir weiter machen wie bisher." Die Frage, was man als Einzelner schon könne, wischt er vom Tisch. "Jeder, wenn er nur ein klein bisschen will, kann etwas tun".
"Es geht ums Ganze"
Bei seinem privaten und öffentlichen Einsatz geht es Klaus Schweim um mehr als nur um einen anderen Umgang mit Energie. Er ist überzeugt, dass ein anderer, ganzheitlicher Lebensstil nötig ist, damit die jetzige Generation nicht mit dem Lebensstil von Wachstum um jeden Preis und gedankenlosem Ressourcenverbauch das Saatgut für die Zukunft künftiger Generationen "verfrühstückt". "Es geht ums Ganze", ist er überzeugt.
"Wir müssen ganzheitlicher und bescheidener leben. Für mich heißt das, dass ich manches von dem, was ich als Kind auf dem Bauernhof erlebt habe, wiederbelebe. Warum nicht im Winter wieder Sauerkraut und Weißkohl zu essen? Statt jederzeit alles konsumieren? Wir sind ja gewohnt, Obst und Gemüse aus jedem erdenklichen Teil der Welt zu genießen, ohne zu bedenken, welche Mengen an Kerosin da drinstecken. Das kann es einfach nicht sein", ereifert er sich. Wie das denn gehen soll? Lächelnd verweist er auf das 12 m² große Hügelbeet, auf seinem insgesamt 300 m² großen Grundstück: "Hier versorgen wir uns mit selbstgezogenem Gemüse – und das schmeckt!"