Foto: epd/Norbert Neetz
"Gott sei mir Sünder gnädig!"
Predigt des ZDF-Gottesdienstes am 28. Juli 2013
Predigt von Pastor Harry Moritz aus Warnemünde.
28.07.2013
Harry Moritz

Liebe Gemeinde, wie schön: In dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, das wir eben hörten, scheint ja alles klar zu sein. Sofort einleuchtend. Der Zolleinnehmer in seiner Bescheidenheit hat unsere Sympathie. Jesus sagt über ihn: Er geht als ein von Gott für gerecht erklärter Mann nach Hause. Der Buhmann ist der Fromme, der Pharisäer.
So ein arroganter Scheinheiliger! - Damit ist ja dann wohl alles gesagt. Oder vielleicht doch nicht?

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Der Dichter Eugen Roth (1895 -1976) hat es mit Humor auf den Punkt gebracht: "Ein Mensch betrachtete einst näher die Fabel von dem Pharisäer, der Gott gedankt voll Heuchelei dafür, dass er kein Zöllner sei. Gottlob! Rief er in eitlem Sinn, dass ich kein Pharisäer bin!" So könnten wir sogar versucht sein zu beten: Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie dieser Pharisäer. Ich faste nicht. Ich gebe auch nicht den Zehnten von meinen Einkünften. Ich renne auch nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst, sondern nutze nur Weihnachten für einen Besuch der Kirche.

Der Pharisäer ist ein einsamer Mann

Ein wenig Schummeln bei meiner Steuererklärung ist mir auch nicht ganz fremd. Vor allem bin ich sehr froh und dankbar, dass du den Zolleinnehmer, dem ich übrigens eher ähnlich bin, lieber hast als den Pharisäer. Der Pharisäer – taugt er wirklich nur als Buhmann? Lassen Sie uns doch einmal den Gedanken verfolgen: "Mehr Pharisäer braucht die Kirche."

Uns ginge es als Kirche deutlich besser. Wenn jedes Kirchenmitglied nur 5 Prozent des Bruttoeinkommens seiner Kirche spenden würde, wären alle heiß diskutierten Finanzfragen mit einem Schlag vom Tisch! Die Auswirkungen, wenn wir daran denken, dass der Pharisäer den Zehnten gibt, wollen wir uns erst gar nicht vorstellen!
Und wöchentlich zweimal fasten – das würde nicht nur uns gut tun.

Dankbar wendet sich der Pharisäer an Gott. Dankbar für das bisher gelungene und erfüllte Leben. Für den Lebensweg, Beruf, Ehe und Familie. Für die bisher geschenkte Gesundheit. Keine selbstverständliche Angelegenheit für ihn. Aber der Pharisäer ist ein einsamer Mann. Ganz allein steht er betend da. Ich, ich, ich – so beginnen die Sätze, mit denen er meint, Gott die Augen für sein so tolles frommes Leben öffnen zu müssen.

Mach andere schlecht, dann stehst du selber besser da

Abschätzig verweist er auf die Leute, mit denen er keinesfalls zu vergleichen ist. Der Zolleinnehmer kommt ihm da gerade recht. Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Dieses ständige Sich Vergleichen? Es scheint uns schon in die Wiege gelegt zu sein. Wie stolz waren wir als Kinder und wie haben wir vor Glück gestrahlt, wenn wir gelobt wurden! Wie traurig waren wir, wenn immer die anderen gelobt wurden und wir - viel zu oft! - leer ausgingen.

Wir haben uns an anderen orientiert und dadurch viel gelernt über uns und über die Welt, in der wir leben.Irgendwie scheint es uns angeboren zu sein, uns mit anderen zu vergleichen. Ehrlich gesagt, auch ich sehe zu, dass ich irgendwie möglichst gut dastehe. Eine möglichst gute Figur mache. Es ist ja wirklich nicht besonders toll, wenn man bei anderen glatt durchfällt. Letztlich geht es um so etwas Wichtiges, wie den Selbstwert. Um die Frage: Was bin ich wert? Bin ich nicht mehr wert als das, was ich leisten kann?

Ausgesprochen schwierig wird es, so verstehe ich diese Beispielgeschichte, wenn wir versuchen, uns dadurch aufzuwerten, dass wir andere abwerten. Irgendwie scheint das allerdings heute beinahe so etwas wie ein beliebter Volkssport zu sein. Nach dem Motto: Mach andere schlecht, dann stehst du selber besser da. Werte andere ab, die anders sind oder anders leben, dann fühlst du dich gleich etwas besser.

Die Liebe Gottes lässt sein Leben heil werden

Aber schauen wir uns den Zolleinnehmer an. Er macht nicht viel von sich her. Er steht, heißt es, ganz hinten und traute sich nicht einmal, zum Himmel aufzublicken.  Schuldbewusst schlug er sich an die eigene Brust. Im ersten Moment regt sich bei mir Widerstand: Das kann es doch wohl nun auch nicht sein. Muss man sich so klein machen? Seine Demut zur Schau tragen? Fördert das nicht gerade das Missverständnis, dass man meint, besonders fromm zu sein, wenn man mit gesenktem Blick und stets schuldbewusst auftritt?

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Ich sehe den Zöllner anders. Man spürt, er ist eher selten im Tempel. Eine ihm unerklärliche Sehnsucht lässt ihn den Weg in den Tempel finden.An die Riten erinnert er sich aus seiner Kindheit nur dunkel. Doch irgendwie fühlt er sich - trotz allem - dort geborgen, ja, zu Hause. "Gott sei mir Sünder gnädig!", hört er sich plötzlich halblaut sagen und erschrickt ein wenig darüber. Ihm scheint eine Last von den Schultern genommen worden zu sein. Sein Herz ist erfüllt davon, dass Gott sein Gebet erhört hat. In diesem Moment wird es ihm zur unumstößlichen Gewissheit: Gott meint es gut mit ihm.

Die Liebe Gottes lässt sein Leben heil werden. Er hat es nicht nötig, sein Leben vor Gott ins richtige Licht zu rücken. Er kann sein Leben annehmen, wie es bisher verlaufen ist. Mit allen Höhen und Tiefen. Mit dem, was ihm gelungen ist. Aber auch mit dem, woran er schmerzlich gescheitert ist. Ihm wird klar, Gott will sein Leben heilen und gelingen lassen. Hier ist kein Platz für fromme Minderwertigkeitskomplexe, für ungeistliches Tiefstapeln.

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich gerechtfertigt

Im Licht der Liebe Gottes kann ich lernen, nicht größer – aber auch nicht kleiner über mich zu denken als ich bin. Liebe Gemeinde, die in Jesus Christus Mensch gewordene Liebe Gottes entlastet dann auch davon, uns ständig vergleichen zu müssen, um so unserem Leben selbst einen Wert zu geben. Die Liebe Gottes lässt uns in der Gewissheit leben, dass unser Leben trotz aller Brüche und mit allem Scheitern vor Gott wertvoll ist. Wahrscheinlich werden wir immer etwas vom Pharisäer und etwas vom Zolleinnehmer in uns spüren. Wird uns das Vergleichen nie ganz abhanden kommen.

Aber: Im Licht der Liebe Gottes müssen wir uns nicht größer und auch nicht kleiner machen! Wo wir unsere Möglichkeiten kennen, aber auch unsere Grenzen akzeptieren, tut dies uns selbst und der gesamten Schöpfung gut. Wo wir gerne darauf verzichten, uns mit einem schrägen Blick auf andere über sie zu erheben. Wo wir gemeinsam im Gottesdienst tief durch – und aufatmen können unter den so wohltuenden Worten, mit denen Gott uns beschenkt: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich gerechtfertigt; ich habe dich bei deinen Namen gerufen; du bist mein! Und dann, gestärkt durch Gottes gute Worte, die neue Woche in Angriff nehmen. Dem Nächsten offen zugewandt und der Schöpfung liebevoll verpflichtet. Mit einem in der Liebe Gottes verankerten und gerechtfertigten Herzen.
Amen.