Das Pathos ist grandios: Während Filmaufnahmen aus dem Weltraum die Erde in eindrucksvollen Perspektiven zeigen, drängt das pompöse "Also sprach Zarathustra" von Richard Strauss zum musikalischen Höhepunkt. Ihm folgt nach wenigen Momenten die nicht weniger pathetische Hymne "Terra humanitas - wer wenn nicht wir" zur Eröffnungsfeier der X. Weltfestspiele in Ost-Berlin.
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Das war am 28. Juli 1973. Der Dokumentarfilm "Wer die Erde liebt" hat das Festival damals in einem üppigen Reigen bunter Bilder festgehalten. Doch die mehr als einstündige Abfolge von Feierlichkeiten, Aufmärschen, Spontandiskussionen und Kranzniederlegungen zeigt nur die eine Seite der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten, wie das "Treffen der demokratischen Weltjugend" vor 40 Jahren offiziell hieß.
Acht Millionen Besucher in Ost-Berlin
Wenig Raum gaben die damaligen Filmemacher der permanenten Feieratmosphäre. Die 1.500 Veranstaltungen reichten vom Rockkonzert bis zum politischen Lied, ergänzt von Ausstellungen, Foren, Seminaren und prominent besetzten Podiumsdiskussionen. Geschätzte acht Millionen Menschen waren an jenen neun Sommertagen bis zum 5. August auf den Straßen und Plätzen Ost-Berlins unterwegs. Zu ihnen gehörten 20.000 Delegierte aus dem Ausland, die überwiegend aus Entwicklungsländern kamen.
Eine solche bunte Vielfalt hatte die DDR-Hauptstadt bis dahin noch nicht erlebt. Über allem lag eine lockere und ungezwungene Atmosphäre, in der alles möglich schien - offene Debatten und begeisternde Rockkonzerte, Feiern und Streiten mit neuen Freunden. Bei den meisten Teilnehmern und Zaungästen ist von jenen Tagen vor allem die Erinnerung an die allgemeine Daseinsfreude in einer scheinbar grenzenlosen Gemeinschaft lebendig geblieben.
Auch in der DDR kann man Christ sein, wenn man sich nicht einschüchtern lässt
Für den Thüringer Theologen und Bürgerrechtler Ehrhart Neubert etwa waren die Weltfestspiele "einmal ein bisschen Urlaub von der DDR". Im "Gesprächsstützpunkt" in der Marienkirche beispielsweise hätten junge kirchliche Ansprechpartner verdeutlicht, dass man auch in der DDR Christ sein könne, "wenn man sich eben traut und sich nicht gleich einschüchtern lässt". Aber diese Situation "war nicht der Alltag. Der Alltag war wesentlich härter", fügt Neubert rückblickend hinzu.
Dennoch dominieren in der Rückschau auf das Festival die positiven Momente. "Das gab's in der DDR noch nie, dass wir andere politische Meinungen hörten, dass wir frei diskutieren konnten", resümierte Klaus Renft von der gleichnamigen Leipziger Rockgruppe. Die Band war noch mit mehreren Konzerten bei den "X." dabei, bevor sie 1975 verboten wurde. Der heutige Historiker Gerd Dietrich erinnert sich zwar an "ältere Herren im Blauhemd oder eigentümlich gekleidete Zivilisten, denen man schon ansah, dass sie normalerweise Uniform tragen". Aber die eigene Erfahrung sei "eigentlich eine relativ offene und freimütige" gewesen.
Für Honecker waren die Weltfestspiele eine Plattform zur Selbstdarstellung
Zweifellos profitierte das Festival vom damaligen linken Zeitgeist, der sich mit der Entwicklung in Vietnam, Chile und vielen afrikanischen Ländern in der Wirklichkeit zu bestätigen schien. Für das Gastgeberland DDR war zudem mit der Aufnahme beider deutschen Staaten in die UN die internationale Isolation überwunden. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund bot das Treffen für die SED-Führung unter dem neuen ersten Mann Erich Honecker, der zwei Jahre zuvor den langjährigen Parteichef Walter Ulbricht gestürzt hatte, eine dankbare Plattform für die Selbstdarstellung als weltoffenes Land.
Deshalb bedeutete die über einjährige Vorbereitung der Weltfestspiele für die Sicherheitskräfte im Land monatelange Schwerstarbeit. Um Fernsehbilder und Nachrichten von Attacken gegen unliebsame Gäste wie etwa bei den Weltfestspielen 1968 in Sofia zu vermeiden, wirkten landesweit etwa 20.000 Leute von Stasi-Chef Erich Mielke bei der "Aktion Banner" strikt im Verborgenen. Sie erteilten "unzuverlässigen Elementen" aus der Provinz kurzerhand "Berlin-Verbot", nahmen sie vorübergehend in Gewahrsam oder überraschten sie mitunter auch mit einem unerwarteten Urlaubsplatz.
Sprachbarrieren erschwerte die Überwachung durch die Stasi
An den Orten des Geschehens in der Hauptstadt standen stets Singegruppen bereit, um allzu große Freizügigkeit gegebenenfalls mit einem flotten Lied zu zerstreuen. Auf verlorenem Posten indes fand sich ein Stasi-Mitarbeiter wieder, der eine Esperanto-Veranstaltung beobachten sollte. Die Teilnehmer hätten sich ausschließlich in der Kunstsprache unterhalten, weshalb er nichts verstanden habe, konstatierte er kleinlaut in seinem Bericht.