Warum uns das 2013 wichtig war: Ein elfjähriges Mädchen aus dem Jemen flieht vor Zwangsheirat, jeder vierte Mann in der Asien-Pazifik-Region hat schon mindestens einmal eine Frau vergewaltigt. Wenn ich Interviews wie dieses mit Terre des Femmes führe, dann wird mir bewusst welches Glück ich habe, in diesem Land, zu dieser Zeit als Frau zu leben. Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass auch bei uns noch viel geredet und getan werden muss, wenn es um Gleichberechtigung, selbstbestimmtes Leben und Alltags-Sexismus geht.
- Franziska Fink, freie Mitarbeiterin bei evangelisch.de
Frau Volz, was sind die Gründe für Zwangsheirat und warum werden Mädchen in so jungem Alter verheiratet wie im Fall von Nada al-Ahdal aus dem Jemen?
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Rahel Volz: Bei Zwangsheirat muss man zwischen den Ländern unterscheiden. In einem Land wie dem Jemen haben wir sehr arme Verhältnisse und die frühe Verheiratung geschieht aus finanziellen Gründen. Die Familie sieht die Mädchen als finanzielle Bürde an, gleichzeitig wird für die Bräute ein Brautpreis gezahlt.
Übergreifend - egal in welchem Land - entbindet die frühe Verheiratung die Eltern von ihrer Verantwortung. Die liegt vor allen Dingen darin, dass das Mädchen oder die junge Frau keinen vorehelichen Sex haben soll. Mit der Heirat ist die Verantwortung der Eltern zu Ende und geht an den Ehemann über. Hier geht es also vor allen Dingen darum, dass die Familienehre gewahrt bleibt.
"Zwangsheirat gilt als Fürsorgepflicht"
Warum setzt sich diese Tradition von Zwangsheirat fort und warum schreiten zum Beispiel die Mütter nicht ein?
Volz: Die Mütter stecken in den gleichen Strukturen. Der Druck auf die jungen Mädchen geht schließlich nicht von einer Einzelperson aus, sondern die ganze Familie steckt dahinter. Sobald sich die Mutter da heraus nimmt, wäre sie ebenfalls einem extrem Druck ausgesetzt.
Und auch gerade weil die Mütter oft selber verheiratet wurden, gibt es oft das Argument: "Ich habe das auch überlebt, das wird meine Tochter schon schaffen."
Es gibt schließlich auch gar nicht das Bewusstsein, dass Zwangsheirat etwas Negatives ist, sondern sie gilt als Fürsorgepflicht. Die Tochter muss gut verheiratet werden, auch weil Frauen, die nicht verheiratet sind, außerhalb der Gesellschaft stehen - ökonomisch und sozial.
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Volz: Zwangsverheiratung ist auch hier in Deutschland kein Einzelphänomen und betrifft vor allen junge Frauen aus Migrantenfamilien. Diese Mädchen gehen hier zur Schule, sehen wie ihre Mitschülerinnen aufwachsen und entwickeln vielleicht auch den Wunsch ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen. Das wird von bestimmten Familien als Gefahr wahrgenommen, wodurch die Zwangsverheiratung als Sanktionierung einen größeren Stellenwert hat als in anderen Ländern.
Auch was das Alter betrifft, gibt es Unterschiede: In Ländern wie dem Jemen sind 32 Prozent der Mädchen unter 18 Jahren verheiratet. In Deutschland verschiebt sich das etwas, die größte Altersgruppe von zwangsverheirateten Frauen liegt zwischen 18 und 21 Jahren.
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Was sind die Folgen von Zwangsheirat und Kinderehen?
Volz: Je jünger die Frauen sind desto größer sind auch die gesundheitlichen Gefahren wie zum Beispiel Müttersterblichkeit. Zwangsheirat ist auf jeden Fall eine Menschenrechtsverletzung, weil sie zwangsläufig mit Gewalt einhergeht. Eine Betroffene hat einmal gesagt: "Zwangsverheiratung ist eine Vergewaltigung auf Lebenszeit."
Für viele Mädchen bedeutet die Zwangsverheiratung natürlich auch, dass sie ihre Ausbildung nicht zu Ende bringen können. Sie haben keinen Einfluss mehr auf ihre Lebensgestaltung.
Was kann gegen Zwangsverheiratung unternommen werden?
Volz: Sehr wichtig ist darüber zu informieren, was es für Auswege gibt. Weltweit geht es um eine ökonomische Besserstellung der Frauen und auch um rechtliche Verbesserungen, die in Deutschland an sich soweit ganz gut abgesichert sind. Auf jeden Fall ist es wichtig, in Dialog mit den Communities zu treten und einen Bewusstseinswandel dafür zu schaffen, dass es wirklich Unrecht ist, was mit den Mädchen und jungen Frauen geschieht.
Wichtig ist auch, die Frauen auf allen Ebenen zu unterstützen. Wenn sie zum Beispiel entscheiden, aus ihrer Ehe heraus zu wollen, brauchen sie Netzwerke und Einrichtungen, wo sie anonym untergebracht werden können. Denn in vielen Fällen bedeutet die Flucht aus der Familie eine ganz akute Lebensbedrohung. Die Familie versucht dann meistens das Mädchen aufzufinden und entweder zurück in den Familienbund zu führen oder die Familienehre durch einen Ehrenmord wieder herzustellen.