"Letztlich sind es immer die Sensiblen, die hängenbleiben", sagt Gerhard Stör und blickt gedankenverloren auf das Bild seines Sohnes. Noch nicht einmal zwei Monate sind vergangen, seit der 69-Jährige und seine Frau ihren Rudolf verloren haben - er starb an den Folgen seines jahrelangen Drogenkonsums. In der Ecke des Wohnzimmers erinnert ein kleiner Schrein an den 39-jährigen Metzgergesellen aus Leutkirch im Allgäu: Bilder, Kerzen und Blumen. "Er hatte noch solche Pläne", sagt Gerhard Stör.
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Der Tod eines Drogenabhängigen lässt Angehörige oft hilflos zurück. In mehr als 50 Städten wird am 21. Juli, dem nationalen Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige, mit Mahnwachen, Gottesdiensten und Protesten an die Schicksale von Suchtkranken erinnert. "Der Tag ist für Angehörige ein Zeichen der Solidarität, dafür, dass sie mit ihrem Leid nicht alleine sind", sagt Regina Müller von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen in Hamm. Denn: "Hilfe bekommt der Abhängigkeitskranke, die Angehörigen werden häufig vernachlässigt."
"Irgendetwas stimmt mit Ihrem Sohn nicht"
Zwar ist die Zahl der Drogentoten in Deutschland im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit 1988 gesunken. 944 Menschen starben 2012 bundesweit an den Folgen ihres Konsums illegaler Drogen, im Vorjahr waren es 986. Doch hinter jedem Suchtkranken stehen eine Familie und ein ganzes Umfeld, das leidet.
Mutter Edeltraud Stör bemerkte erst durch den Hinweis eines Lehrers, dass ihr Sohn Drogen nahm. Damals war er 16 Jahre alt. "Rudolf ist unzuverlässig. Es fehlt Geld in der Klassenkasse. Irgendetwas stimmt mit Ihrem Sohn nicht", warnte sie der Pädagoge. Die Mutter durchsuchte Rudolfs Zimmer und findet "eine kleine olivgrüne Platte" - gepresstes Cannabis. "Wir waren so unbedarft, wussten gar nicht, was das ist", erinnert sich die 65-Jährige.
"Selbst der Kegelklub war informiert"
Aber Cannabis war nur der Anfang. Stör kommt in Kontakt mit härteren Drogen. Als er 30 Jahre alt ist, endet die langjährige Beziehung zu seiner Freundin. Für Rudolf Stör bricht endgültig eine Welt zusammen. Zu Heroin kommt viel Alkohol. Er wird unzuverlässig, seine Wohnung verwahrlost, er verliert seine Arbeit, reagiert zunehmend aggressiv, tritt Türen ein.
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"Die letzten drei Jahre seines Lebens hielt Rudolf sich mit Methadon über Wasser", erinnert sich seine Mutter. Der Ersatzstoff Methadon wird von Ärzten verabreicht, damit Abhängige sich gesundheitlich und sozial stabilisieren können. In der ländlichen Umgebung mit wenigen Ärzten für eine solche Behandlung unterstützen ihn die Eltern so gut es geht: "Wir mussten teilweise zwei Stunden fahren." Mehr können sie nicht für ihn tun.
Mit dem Schicksal ihres Sohnes ist das Ehepaar Stör schon früh offen umgegangen. "Der Bekanntenkreis und die Familie wussten Bescheid und hielten zusammen. Selbst der Kegelklub war informiert", sagt der Vater. Geholfen hat dem Paar der regelmäßige Besuch des Elternkreises in Ravensburg, einer Selbsthilfegruppe. Dort finden sie Freunde - und Raum für ihre Trauer.
Drogensucht als chronische Krankheit anerkennen
Häufig werde den betroffenen Eltern in der Öffentlichkeit mangelnde Fürsorge vorgeworfen, sagt Jürgen Heimchen, Vorsitzender des Bundesverbands der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit. Nach dem Motto "Sollen sie besser auf ihre Blagen aufpassen, dann wäre das nicht passiert." In den Elterngruppen suchten sie einen Weg aus Stigmatisierung, Selbstvorwürfen und Isolation. Ähnlich wie Drogenabhängige hätten auch die Eltern mit Diskriminierung zu kämpfen, weiß Heimchen. "Als Eltern können wir einen 16-Jährigen aber nicht verändern. Wenn er Drogen nehmen möchte, dann nimmt er die."
Die letzten sechs Monate seines Lebens verbringt Rudolf Stör im Krankenhaus. Sein Hirn setzt teilweise aus, er leidet unter Persönlichkeitsstörungen. Durch den massiven Drogenkonsum sind seine Organe zerstört. "Er war desorientiert wie ein Mensch mit fortgeschrittener Demenz", sagt sein Vater. Dann stirbt der Sohn.
"Die Trauer wird aus Scham meist nicht oder sehr verhalten ausgelebt", erlebt Beate Stör, Tante von Rudolf Stör, die in Leutkirch einen Elternkreis gegründet hat. "Es ist an der Zeit, dass die Gesellschaft die Drogensucht als chronische Krankheit anerkennt und wir diese Menschen als Opfer sehen und nicht als Kriminelle", fordert die 63-Jährige. Eltern rät sie, nicht mehr die verlorene Vergangenheit zu beklagen, sondern die eigene Zukunft positiv und aktiv zu gestalten. Wie schwer das ist, weiß sie: Beate Störs Sohn ist auch suchtkrank.