Cheftheologe der Evangelischen Kirche in Deutschland? Nein, das ist Christoph Markschies nicht, sagt er: "Ich bin nicht der Ratzinger der Evangelischen Theologie". Seine Bescheidenheit gebietet eine solche Antwort, dabei gehört er zu den bedeutendsten evangelischen Theologieprofessoren der Gegenwart. Markschies, der von 2006 bis 2010 Präsident der Humboldt-Universität Berlin war, ist Vorsitzender der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland. Seine Aufgabe versteht er in erster Linie als eine "moderierende". Und als eine "dienende" zur "Orientierung von Gemeinden und Kirchenleitungen", erzählt er, frisch aus Wien gelandet, beim Kaffee im Café Einstein in Berlin.
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Besonders freut es ihn, wenn die Arbeit der Kammer zur Lösung möglicher Probleme beiträgt. In guter Erinnerung ist noch, als der damalige Heidelberger Ordinarius Markschies im Auftrag des Rates der EKD eine Antwort auf Ratzingers heftig umstrittene Schrift "Dominus Iesus" vorlegte. Mit wissenschaftlicher Akribie und protestantischem Selbstbewusstsein stellte er klar, dass die Evangelische Kirche Kirche sei (was Ratzinger bestritt), ohne deshalb freilich der Katholischen Kirche das Kirche sein abzusprechen. Die katholische Kirche reagierte damals ziemlich nervös auf Markschies klare Feststellungen, was Kirche eigentlich ist.
Da Markschies 2010 nicht mehr für eine zweite Amtszeit als Universitätspräsident kandidierte, hat er seitdem nun wieder alle Zeit für die Wissenschaft. Inzwischen ist er Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Mitglied zahlreicher weiterer wissenschaftlicher Einrichtungen und Ehrendoktor - und das gleich doppelt. Evangelische Christen in Berlin wissen Markschies vor allem als exzellenten Prediger im Sonntagabendgottesdienst des Doms zu schätzen. Ein Dienst, den er regelmäßig auch als Präsident der Humboldt-Universität versah.
Das Anliegen der Reformation für die Menschen formulieren
"Die Kammer für Theologie", sagt Markschies, "ist nicht Tonangeber für das, was Theologie ist." Sie hat, was er immer gern wiederholt, konkrete Aufgaben, die ihr vom Rat der EKD übertragen werden oder die sie sich selbst stellt. Konkret geht es gegenwärtig um eine Theologe der Religion und eine Theologie der Synode. Und es geht darum, den heutigen Menschen zu erklären, wozu Jesus gestorben ist und wie sein Kreuz zu verstehen ist. Es geht der Kammer also um das Zentrum des christlichen Glaubens. Bedeutet dies, dass die Kammer auch an einer Erklärung zum 500. Jahrestag der Reformation 2017 arbeitet?
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"Die Kammer nicht, denn die ist völlig ausgelastet", sagt Markschies. Aber es gibt eine so genannte Ad-hoc-Kommission, nur für diesen Zweck eingesetzt. Und wer leitet diese Kommission? Christoph Markschies natürlich. Ziel ist es, für 2017 eine Broschüre herauszugeben zu der Frage, was die Botschaft der Reformatoren war: "Wie kann das Anliegen der Reformation so formuliert werden, dass der Mensch versteht: Hier geht es um meine Probleme?"
Ein Problem, dem sich die Kirche stellen muss, ist der Nachwuchs. Aber Markschies ist "ganz fest überzeugt", dass es auch in Zukunft genug evangelische Pfarrer geben wird. Denn dies ist eine "schwieriger, aber wunderschöner Beruf". Wichtig sei freilich, dass die Kirchen auch für ihn werben würden. "Und die Pfarrer auch ordentlich alimentiert", fügt er hinzu. Selbst wenn die Gemeinden auf Grund der demografischen Entwicklung kleiner würden, bleibe das Amt des Gemeindepfarrers "attraktiv".
Da die Zahl der Theologiestudenten stark zurückgegangen ist, werfen viele Universitäten einen Blick auf die Theologischen Fakultäten mit der Absicht, ihnen den einen oder anderen Lehrstuhl wegzunehmen, um damit andere Lehrstühle zu besetzen. Letztlich hat Markschies nichts gegen eine Zusammenlegung einiger kleiner theologischer Fakultäten zu "einigen großen Fakultäten". Aber er hat alles dagegen, wenn man versuchen sollte, das Ausbildungsniveau zu senken. Im Gegenteil. Er würde sich wünschen, wenn mehr qualifizierte junge Theologen mit Unterstützung der Kirche ein naturwissenschaftliches Zweitstudium absolvieren würden.
Die Theologie muss die Leitwissenschaften wahrnehmen
Denn der evangelische Kirchenhistoriker Markschies hat große Sorge, dass die Theologie den Herausforderungen moderner Naturwissenschaften nicht mehr wirklich gewachsen sein könnte. Genau das aber sei notwendig. Viele Naturwissenschaftler würden geradezu auf eine qualifizierte theologische Meinung warten – das setze allerdings voraus, dass die Theologen auch verstehen würden, was in der modernen Medizin, Biologie, Physik oder Chemie an Entwicklungen anstehen. Dafür müsse ein intensives und kenntnisreiches Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften wieder in Gang kommen.
Denn vieles, was in den modernen Leitwissenschaften passiere, werde von der Theologie und den Kirchen gar nicht oder nur unzureichend zur Kenntnis genommen. Das aber dürfe so nicht bleiben, fordert Markschies: "Als Theologie und Kirche müssen wir die revolutionären Veränderungen etwa in der Physik wirklich zur Kenntnis nehmen und sie auch verstehen. Das sind wir unserer eigenen Sache schuldig."
Theologie ist nicht nur aus der Sicht des ehemaligen Präsidenten der Berliner Humboldt-Universität (mit der größten Evangelisch-Theologischen Fakultät in Deutschland, an der rund 1.000 Theologiestudierende lernen) heute "kein Modefach". Das sei in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Soziologie gewesen, heute seien es die Lebenswissenschaften. Die Theologie könne das aber auch durchaus werden: "Nichts spricht dagegen."
Gehört die Theologie nicht auch zu den Lebenswissenschaften? "Aber sicher", sagt Markschies, das müsse nur viel deutlicher gemacht werden. Wie überhaupt die Geisteswissenschaften auch für eine moderne Gesellschaft unverzichtbar seien. "Theologie ist in der säkularen Gesellschaft immer noch gefragt", sagt der Kirchenhistoriker. Zum einen in den Kirchenleitungen und den Synoden, aber eben auch in anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen und Organisationen: In Akademien, Ethikkommissionen, wissenschaftlichen Gesellschaften sei die Theologie unverzichtbar und werde es auch bleiben.