Zwölf Menschen, jeweils in Zweierpaaren, rollen sich über den Boden. Sie winden sich umeinander herum, geben ihr Gewicht an den Partner ab. "Probiert, die Bewegung für beide möglichst angenehm zu gestalten", sagt Daniel Werner. Er und sein Kollege Jörg Hassmann geben an diesem Samstagmorgen im Studio vier der Tanzfabrik in Berlin-Kreuzberg einen Workshop in "Kontaktimprovisation", einer zeitgenössischen Tanzform.
Entwickelt wurde die Bewegungsart in den frühen 70er Jahren in New York. Mittlerweile gehört sie zur Ausbildung im zeitgenössischen Tanz und wird auch zur choreographischen Gestaltung genutzt. Auch gibt es einige Contact-Improvisations-Festivals.
Etabliert sind in Deutschland die sogenannten Jams. Bei diesen Veranstaltungen treffen sich Menschen, die sich häufig gar nicht kennen, um miteinander zu improvisieren. "Es gibt dabei keine festen Tanzschritte, häufig auch keine Musik. Für mich geht es bei der Improvisation um Körpersprache, also um Kommunikation, man kann es Tanz nennen oder auch nicht", sagt ein Workshop-Teilnehmer in blauem T-Shirt, bequemer Turnhose und Knieschonern.
"Mit der richtigen Technik können auch leichte Menschen schwere tragen"
Bei vielen Übungen kommt es zu Bodenkontakt. Und in die Höhe geht es auch: Sogenannte Lifts, Hebefiguren aus dem Bewegungsfluss heraus, sind üblich. Zumindest in diesem Workshop für Fortgeschrittene. So trägt eine kaum 1,60 Meter große Frau auf nur einer Schulter eine andere Frau, die in gestreckter Körperhaltung die Spannung hält, durch das gesamte Studio.
"Mit der richtigen Technik können auch leichte Menschen schwere tragen", sagt Hassmann. Er und Werner beschäftigen sich seit mehr als 15 Jahren mit Contact Improvisation und unterrichten weltweit.
Werner hat Tanz studiert, Hassmann fand über seine Begeisterung für Bühnentanz, den brasilianischen Kampftanz Capoeira und Theaterimprovisation zu Contact Improvisation. Seit ein paar Jahren entwickeln sie zusammen ein Konzept, um systematisch Technik zu unterrichten.
Beim Training geht es im Kern darum, die eigene Körperwahrnehmung zu schulen, um Bewegungen möglichst angenehm und effizient zu gestalten. "Viele Wahlmöglichkeiten von Bewegungen sollen entstehen", sagt Werner. Hassmann sieht Parallelen zwischen Contact Improvisation auf den Jams und der Kommunikation im Alltag: "All dieses Entscheiden im Moment", sagt er, es gehe dabei insbesondere um das Thema Präsenz.
"Auf diese Weise kontaktfreudig ist die deutsche Kultur nun mal nicht"
Jams finden in einigen Großstädten meist einmal pro Woche statt, nur in Berlin gibt es mehrere. Wenn sich bei der Berliner "Sunday Jam" wöchentlich in einem Kreuzberger Yoga-Studio Menschen übereinander rollen, mag das auf Neulinge befremdlich wirken. "Auf diese Weise kontaktfreudig ist die deutsche Kultur nun mal nicht", sagt die 24jährige Maya Sielmann.
Die Studentin ist zum ersten Mal bei dieser Jam, dennoch wagt sie es, mitzumachen. "Mit etwas Vorsicht und einem guten Gefühl für den eigenen Körper klappt das schon", sagt sie hinterher. "Und dann soll das Ganze bitteschön nichts mit Sexualität zu tun haben?", schreibt auf einer Website im Internet Jörg Christoffel aus Tübingen. Die Frage sei heikel und in der Szene umstritten. Doch klar ist, es gibt auch in der Kontaktimprovisation Regeln. "Sexualität wird auf der Tanzfläche nicht ausgelebt", schreibt Christoffel. Sie könne als Teil des menschlichen Wesens nicht ignoriert werden, aber es dürfe zu keinen Grenzüberschreitungen kommen.
Maya Sielmann hat zerzauste Haare, und ihre Augen strahlen. Sie habe bei der Jam spielerische Freude an der Bewegung gespürt, an der Improvisation und daran, ihre eigenen Impulse auszuleben. Sie mag die Kommunikation auf der Tanzfläche. Körpersprache sei authentisch: "Wer braucht schon Worte", sagt sie und lacht.