Sowohl die entgrenzten Kriege mit Mordmaschinen als auch die massenhafte Überwachung des Datenverkehrs anderer Länder spiegelten die "Visionen einer totalitären Gesellschaft", äußert die 70-jährige Grünen-Politikerin in einem Gespräch mit evangelisch.de. Sie warnt eindringlich vor einer weiteren Aufweichung rechtsstaatlicher Prinzipien und appelliert an die demokratischen Gesellschaften, den "Prozess innerer Entmutigung" zu stoppen.
Frau Vollmer, Sie haben jüngst recht deutlich zum Thema "Drohnen" Stellung genommen. Wie bewerten Sie die öffentliche Diskussion?
Vollmer: Ich hatte das Thema in einem Vortrag an der American Academy in Berlin behandelt, also an ziemlich brisanter Stelle. Mein Eindruck war, dass sich die deutsche Debatte auf die falschen Fragen konzentriert. Ob die Einkaufsmethoden des Verteidigungsministeriums durchsichtig genug sind, das ist zwar eine wichtige Frage, gerade auch in Wahlkampfzeiten. Doch ich wollte eher die grundsätzliche Problematik der Drohnen im Zusammenhang von Krieg und Frieden thematisieren.
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Die Angriffe auf Minister de Maizière waren dem Wahlkampf geschuldet?
Vollmer: Man sollte den Verteidigungsminister in der inhaltlichen Debatte stellen und ihn fragen, was der Drohneneinsatz für die Friedensfähigkeit einer Gesellschaft bedeutet. Das ist das Kernproblem und das ist seine Hauptaufgabe.
Dazu hat er bisher wenig gesagt.
Vollmer: Es gibt eine Antwort seines Staatssekretärs Christian Schmidt auf meinen Beitrag. Darin greift er aber nicht die Frage auf, was die Drohne für das Völkerrecht bedeutet und für die schon Jahrtausende alten Bemühungen aller Zivilsationen, den Krieg aus den Gesellschaften herauszuhalten. Das ist der Kern meines Vorwurfs: Mit dem Drohneneinsatz hebt man Regeln auf, an denen Generationen um Generationen gearbeitet haben – Regeln zur Gewalteindämmung, zur Kriegsverminderung und zur Beendigung von Kriegszuständen. Das Ziel war immer: Man muss einen Krieg beenden können. Und man muss der Zivilgesellschaft ermöglichen, sich von den Kriegsparteien zu trennen. Die Drohne unterläuft das. Sie schafft eine normative Grauzone, die von niemandem überprüft wird – die Zielvorgabe erfolgt nach den Einschätzungen von Geheimdiensten, überprüft wird sie von einem nicht kontrollierten Pseudogericht, unterschrieben im besten Fall von einem Minister oder Präsidenten. Und hinterher wird erklärt: Wir haben treffsicher einen Terroristen getroffen. Das ist rechtsstaatliche Barbarei.
Was bei den Drohnen vor allem beunruhigt, ist das anonyme Töten, das durch sie möglich wird. Wo aber liegt ethisch der Unterschied zum direkten Töten?
Vollmer: Der Ausdruck, der immer benutzt wird, heißt ja "gezielte Tötung". Das klingt wie ein militärischer Fachbegriff oder wie Jagdsprache. Aber das Kriegs-Völkerrecht kennt diesen Begriff nicht. Es geht um eine absichtliche, willentliche Tötung aus dem Hinterhalt – außerhalb von erklärten Kriegen und ohne vorherigen Prozess. Das heißt im Strafrecht normalerweise Mord. Und Mord ist nie erlaubt. Hier entzieht sich der gesamte Vorgang – Zielauswahl, Durchführung, Überprüfung – jeder rechtlichen Kontrolle und Regelung.
"Es geht um eine absichtliche, willentliche Tötung aus dem Hinterhalt. Das heißt im Strafrecht normalerweise Mord"
Nun sagen Militärangehörige, Krieg sei kein Mord. Dann kommt es aber auf die Frage an, wie man Krieg definiert. Die Kriege der Gegenwart werden nicht mehr erklärt, sondern einfach geführt, sie sind asymetrisch. Lässt sich das wieder zurückdrehen?
Vollmer: Das ist die entscheidende Frage. Mit ihr müssten sich alle Gesellschaften, insbesondere die westlichen, intensiv beschäftigen. Ich sehe dafür auch eine gewisse Chance. Wir stellen doch langsam in jedem Bereich fest, ob bei der Geheimdienstüberwachung oder beim Drohneneinsatz, dass auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 überreagiert worden ist. Und zwar so, dass wir das, was eigentlich verteidigt werden soll, unsere Idee von Normen und Rechtsstaat, aufgeben. Das ist ein absolutes Alarmsignal, und ob sie das wirklich wollen, darüber müssen unsere westlichen Gesellschaften endlich einmal selbst enscheiden und es nicht weiter den Waffenproduzenten und ihren Lobbys überlassen.
###mehr-links###Sie sehen eine Parallele zwischen geheimdienstlicher und militärischer Entgrenzung?
Vollmer: Genau. Die globale Deregulierung in diesen beiden Bereichen hat mindestens so gefährliche Auswirkungen wie die Deregulierung auf dem Finanzmarkt. Generell mußten wir nach 1990 erleben, dass viele Regeln der westlichen Gesellschaften, etwa in der Wirtschaft, in der Sozial- und Umweltpolitik, unter globalen Gesichtspunkten als überholt angesehen wurden. Man müsse sich der neuen Zeit anpassen, hieß es. Mit diesen moralisch-missionarischen Überrumpelungen versucht man, die zivilisatorischen Errungenschaften ganzer Generationen für überflüssig zu erklären. Genau dasselbe machen wir jetzt im Bereich des Kriegs- und Völkerrechts mit den Drohnen.
"Das Problem ist nicht die Waffe Drohne an sich, sondern die Waffenfähigkeit des Menschen"
Erlaubt ist, was den eigenen Interessen dient, nicht mehr das, was ethisch vertretbar ist?
Vollmer: Das Problem ist nicht die Waffe Drohne an sich – da mogeln sich die Befürworter auch immer um dem Kern des Übels herum. Das Problem ist die Waffenfähigkeit des Menschen. Die gilt es einzudämmen. Wenn man diese dereguliert und sagt, alles sei erlaubt, wenn man nur einen moralisch starken Grund und guten medialen Rückhalt hat, kommen wir in einen Dauerzustand permanenter Kriegsbereitschaft und Kriegsführung. Wir sind gerade dabei, von Menschenrechtlern zu allzeit bereiten Menschenrechts-Bellizisten zu werden. Bei den Drohnen ist zudem die Frage der Proliferation, also der Weitergabe an Dritte, eine äußerste Gefahr. Wenn das dann noch in einer Gesellschaft vor sich geht, in der der Zugang zu diesen Waffen für jedermann möglich ist, kann in der Weltgesellschaft bald von allen permanent geschossen und herumgebombt werden, wenn sie nur einen medial überzeugenden Grund nennen.
###mehr-artikel###Sie sagen, nicht die Drohne sei das Problem, sondern die Strategie und das dahinter stehende politische Denken. In dem Punkt sind Sie ja gar gar nicht so weit entfernt von der Haltung von Staatssekretär Schmidt.
Vollmer: Ja. Aber die entscheidende Differenz ist, dass er sagt: Wir haben seit dem 11. September einen asymetrischen Krieg gegen den weltweiten Terrorismus. Da sei es leider notwendig, selbst mit einer permanenten Kriegsbereitschaft zu antworten. Ich dagegen sage: Die se Bereitschaft erzeugt genau die normative Grauzone, in der die Drohnen herumschwirren. Wir müssen endlich einmal klären, ob die spontane Kriegserklärung gegen den Terror, die die Bündnisstaaten 2001 abgegeben haben, wirklich angemessen und zielführend war. Bei heutiger nüchterner Analyse standen selbst damals der Kern und die Überlegenheit des westlichen Bündnissystems und der Vereinigten Staaten nicht in Frage. Wir standen zwar kollektiv unter Schock, das erklärt manches. Es war aber töricht, die Terroristen durch den Begriff “Krieg gegen den Terror“ sozusagen als gleichberechtigten Kriegsgegner anzuerkennen. Wir schlitterten daraufhin in einen Zustand des unerklärten Dauerkriegs weltweit, den niemand mehr richtig beenden kann. Also müssen wir aus diesem asymetrischen Krieg endlich heraus, auch mental – und die Regeln der Genfer Konvention für alle Waffentechniken ergänzen. Der Kern der Konvention war, dass man Kriege beenden kann. Man kann sie nicht vermeiden, das gehört zur Tragik der Menschheit. Aber man muss sie nach vereinbarten Regeln beenden können.
Wie könnte das neue Kapitel der Genfer Konvention genau aussehen?
Vollmer: Darin müsste unter anderem stehen, dass eine Auseinandersetzung mit terroristischen Einzeltätern und Gruppen kein Kriegsgrund ist und für diese auch nicht die Ausnahmeregeln des Krieges gelten. Die Weltgemeinschaft muss andere Möglichkeiten haben, darauf zu reagieren. Ich bin ja überhaupt der Überzeugung, dass Terrorismus auf Dauer erfolgreich nur aus jenen Gesellschaften heraus zu beenden ist, in denen er entstanden ist. Und dass die Methode, den Terror von außen und dann noch mit rein militärischer Gewalt zu beenden, schon in sich eine sehr unintelligente ist.
Nach den Anschlägen von New York und Washington hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gesagt: Solidarität ja, Abenteuer nein. Ist das weiterhin die Prämisse der deutschen Außenplitik?
Vollmer: Schröder hat damals zweierlei gemacht. Er hat einmal die "bedingungslose Solidarität" mit den Amerikanern erklärt, und dann gab es bei ihm eine gewisse Offenheit und Bereitschaft, auch diese Formel "Krieg gegen den Terror" zu akzeptieren. Er hat dann aber als erster und mit einem hohen Risiko für seine Kanzlerschaft gesagt, dass er am Krieg gegen den Irak nicht teilnimmt. Das war ein ernsthafter Versuch, den Selbstlauf zu unterbrechen, über den man immer noch froh sein sollte. Denn wenn das glatt durchgegangen wäre , der Irak-Krieg mit einem UN-Mandat, hätten wir vermutlich längst schon mehrere weitere Anti-Terrorkriege gegen den Jemen, den Iran und sonst wen erleben dürfen. Ich glaube, das war damals eine sehr verantwortliche Politik – übrigens auch mutig gegen den medialen Meinungsstrom.
"In der Überwachungsdebatte beginnen wir gerade zu ahnen, was das an Freiheitsverlust bedeutet"
Noch einmal zurück zum Thema Drohnen: In der evangelischen Kirche, der Sie mit Herz und Leidenschaft angehören, gibt es unterschiedliche Meinungen dazu. Einige sprechen sich gegen diese Waffenart aus, der Militärbischof Dutzmann sieht dagegen keinen ethischen Unterschied zu anderen Flugzeugen. Spiegelt diese Vielstimmigkeit auch die gesellschaftliche Unsicherheit gegenüber dem Thema wider?
Vollmer: Sie spiegelt wider, dass wir das nicht gründlich genug diskutiert haben. Meistens geht es nur um die Waffe an sich. Dann kommen Begründungen, denen ja nicht zu widersprechen ist: dass die Drohne im Kriegsfall die Zahl der Toten verringern kann, dass sie die eigenen Soldaten schützen kann. Aber das Haupteinsatzfeld der Drohne ist nicht der konventionelle Krieg, sondern der unerklärte Kriegszustand. Wir sehen ja jetzt in beiden Fällen, bei der Dauerspionage der US-Geheimdienste NSA in friedlichen westlichen Gesellschaften und beim "Krieg gegen den Terror", wohin dieses Denken führt. In der Überwachungsdebatte beginnen wir gerade zu ahnen, was das an Freiheitsverlust bedeutet und an Aufhebung von Grundrechten jedes einzelnen Menschen, auf die der Westen so stolz war. Die Drohne wiederum gibt dem Menschen ein Instrument in die Hand, nach subjektiver Entscheidung weltweit seinem Hass, seinem Konkurrenzgefühl und seinen Leidenschaften in Form von Gewalt Ausdruck zu geben – ohne dass die Gesellschaft das kontrollieren oder unterbinden könnte. Beides sind Visionen totalitärer Gesellschaften. So sollten das auch Christen diskutieren.
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Lässt sich die notwendige ethische Diskussion zu dem Thema jetzt noch nachholen?
Vollmer: Das hängt vom Willen der Bevölkerung ab. Aber man muss ja erst einmal anfangen zu widersprechen. Uns wird jede dieser Deregulierungen als etwas verkauft, bei dem der Zug längst abgefahren ist und wo der einzelne völlig ohnmächtig und hilflos ist, auch nicht gefragt wird, ob er das will. Das ist ein Prozess ständiger innerer Entmutigung. Aber wir haben es in den militärisch-industriellen Komplexen wie auf den Finanzmärkten mit Akteuren zu tun, denen es um Interessen und Macht geht, um viel Macht. Diese muss man erst einmal erkennen, und dann muss man ihnen in demokratischen Gesellschaften Debatten und Regeln aufdrängen. Vieles von dem, was da seit dem Ende des Kalten Krieges passiert ist, ist nach unseren Kriterien illegal - unter Ausnutzung der neuen Möglichkeiten im ungeregelten globalen Raum. Bei Modernisierungen ist es oft der Fall, dass man eine Sphäre schafft, in der es scheinbar noch keine Regeln gibt, in der dann der Ungehemmteste und Stärkste den Zugriff hat. Und der behauptet dann dreist, das sei jetzt die neue Ordnung der Welt.