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Vom sächsischen Heuersdorf ins zwölf Kilometer entfernte Borna: Die Emmauskirche wurde vor sechs Jahren mühsam versetzt.
Ein Wagnis wird sechs Jahre alt
Vor rund sechs Jahren musste die Emmauskirche im sächsischen Heuersdorf dem Braunkohlenbergbau weichen – und wurde zwölf Kilometer weiter nach Borna umgesetzt. Für das kleine romanische Gebäude jedoch ein Glücksfall: Touristen und Gottesdienstbesucher sind von der gewanderten Kirche begeistert.
13.07.2013
Stephanie Höppner

"Vielleicht hat der Herrgott ja auch gewollt, dass die kleine Emma hierher kommt", überlegt Gästeführer Udo Hackenberg. Die "kleine Emma" – das ist eine der vielen Spitznamen für die Emmauskirche in Borna, einem Ort im Süden Leipzigs. Nahezu täglich führt Hackenberg Touristengruppen aus aller Welt durch das beschauliche Kirchlein, das wegen seiner Geschichte Berühmtheit erlangte. Die Kirche ist bereits über 750 Jahre alt, doch den ungewöhnlichsten Teil ihrer Historie erlebte sie vermutlich in den vergangenen sechs Jahren.

Obwohl viele Sachverständige erklärten, dass die Versetzung der Kirche nicht möglich sei, hat es am Ende doch geklappt.
  Eine Rückblende: Heuersdorf, eine Ortschaft ebenfalls bei Leipzig, ist schon seit vielen Jahrzehnten "Bergbauschutzgebiet". Doch erst 2004, nach einem verlorenen Prozess vor dem Verwaltungsgericht, ist das Schicksal des Ortes besiegelt - es soll für den Bergbau verschwinden. Heuersdorf ist kein Einzelfall: 23 Dörfer und 11 Kirchen wurden in den vergangenen Jahren in der Region weggebaggert. Doch in diesem Fall ist etwas anders. Die Kirchgemeinde verzichtet auf die Entschädigung und einigt sich stattdessen mit dem Betreiber des Tagebaus, der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft (MIBRAG), die Kirche zu erhalten und an anderer Stelle wieder hinzusetzen.

Mühsamer Transport auf Spezialtransportern

"Die Ingenieursbüros waren zuerst der Meinung, es geht nicht", erinnert sich Hackenberg an den Umzug. Ein Leipziger Statiker sagt schließlich doch zu. Rolf Seifert hatte sich bereits um den sogenannten Uni-Riesen und das Gewandhaus in der Leipziger Innenstadt gekümmert. Zu dem Zeitpunkt des Umzugs ist er bereits schwer krank, doch "die Arbeit hat ihn wohl noch am Leben gehalten", glaubt Hackenberg.

###mehr-artikel### Reformationstag 2007: Zentimeter um Zentimeter rollt die romanische Kirche auf einem Spezialtransporter durch die Straßen, zwölf Kilometer insgesamt. Teilweise trennt nur eine Handbreit die Außenwand der Kirche von denen der zu passierenden Häuser. Mehrere Tage dauert die Reise der Kirche, die stets von Schaulustigen und Medien umgeben ist. "Das war wie ein Volksfest damals", erinnert sich Gästebetreuer Hackenberg.

Der Transportweg enthält einige Hürden: Zwei Bahnübergänge und zwei Flussläufe müssen überquert werden, Pleiße und Whyra werden an den Passierstellen kurzerhand zugeschüttet. Um die alten Gemäuer der etwa vierzehn Meter langen Kirche zu schützen, bohren die Arbeiter über 1.800 Löcher in die Außenwand und verschließen sie anschließend mit Schaummörtel. Auf dem Platz gegenüber der Stadtkirche findet sie schließlich ihren endgültigen Standort. Einst befand sich eine alte Lateinschule an der Stelle, die jedoch bereits Ende der 1980er Jahre abgebrannt war. Von den Maßen glich sie jedoch der Emmauskirche. "Dadurch hat man noch mehr das Gefühl, dass sie schon immer hier war", sagt Hackenberg.

Borna wird über Nacht berühmt

Udo Hackenberg führt fast täglich Touristengruppen durch die "Wanderkirche".
Vor allem der Superintendent des Kirchenbezirks Leipziger Land, Matthias Weismann, hatte sich für den jetzigen Standort eingesetzt. "Wenn wir die Kirche erhalten wollen, dann brauchen wir eine Gemeinde", erklärt Weismann seine Beweggründe von damals. Die war zunächst nicht so einfach zu finden, viele Ortschaften fürchteten auch die späteren Kosten. Schließlich gab Borna den Zuschlag. Die Emmauskirche wurde in die Gemeinde der Stadtkirche St. Marien eingegliedert. 

Die Entscheidung hat sich bewährt. "Ich denke, dass die Bornaer die Emmauskirche rundum akzeptiert haben, ich habe schon länger keine kritischen Stimmen gehört", sagt Weismann. Die Kirche wird in das Gemeindeleben eingebaut. Jeden Mittwoch wird ein ökumenisches Mittagsgebet abgehalten. Für Kindergottesdienste, Hochzeitungen, Taufen oder Einsegnungen wird sogar extra nach der speziellen Kirche gefragt. 

Stadt hat Alleinstellungsmerkmal gewonnen

Das kleine Städtchen wird über Nacht berühmt. Rund 20.000 Menschen kämen pro Jahr, schätzt Gästeführer Hackenberg. Viele Besucher stammen auch aus dem Ausland, etwa aus Mexiko, Kanada, Chile, China, Dubai oder Japan. Manche von ihnen reisten sogar extra  wegen der Kirche nach Deutschland, ist sich der Fremdenführer sicher. "Die Stadt selber hat dadurch ein Alleinstellungsmerkmal gewonnen, das hatten wir am Anfang gar nicht so im Blick", sagt auch Superintendent Weisman.

Neben ihrer Historie hat die Kirche noch andere Besonderheiten zu bieten. So erinnert eine alte Balustrade im Inneren an den 30-Jährigen Krieg.  Andere Details mussten im Laufe der Zeit jedoch weichen, wie etwa die extra eingebaute Türschwelle. Heute erinnert Gästeführer Hackenberg nur noch mit einer Anekdote an das Hindernis. Die Stufe am Eingang sollte bei den Bauern eine demütige Haltung erzwingen - denn beim Eintritt senkte sich der Blick der Landwirte automatisch nach unten und die Mütze fiel herunter, erzählt er. Aus Rücksicht auf gehbehinderte und ältere Menschen wurde sie jedoch wieder abgebaut. Der Beliebtheit der Kirche tut diese Änderung jedoch keinen Abbruch. "Die Kirche wird viel mehr genutzt als das die letzten 100 Jahre der Fall war", schätzt Hackenberg.