Ägypter winken mit einer ägyptischen Flagge einem Militärhubschrauber zu
Foto: dpa/Yahya Arhab
Ägypter winken mit einer ägyptischen Flagge einem Militärhubschrauber zu. Das Militär hat die Macht übernommen - für dauerhaften Frieden nicht das beste Rezept.
Kein "christlicher Winter" in Ägypten zu erwarten
Die Absetzung des gewählten Präsidenten Mursi in Ägypten wird weltweit aufmerksam beobachtet. Das Experiment ägyptischer Demokratie scheint mit dem Eingreifen des Militärs vorerst beendet zu sein. Thorsten Leißer, Referent für Menschenrechte und Migration bei der EKD, sieht die militärische Lösung des inneren Konflikts in Ägypten kritisch und zweifelt im Interview mit evangelisch.de an einer friedlichen Zukunft für die Ägypter.
05.07.2013
evangelisch.de

In Ägypten hat das Militär die Macht übernommen und die gewählte, aber massiv kritisierte Regierung Mursi abgesetzt. Es ist nicht das erste Mal, dass das Militär nach dem arabischen Frühling eine wesentliche Rolle spielt. Welche Folgen haben solche Machtübernahmen?

Thorsten Leißer: Der Vorgang an sich ist sehr problematisch. Wenn Militärs in einem demokratisch verfassten Land die Macht übernehmen, zeugt das nicht von einer ausgeprägten Konfliktkultur.

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Natürlich waren und sind die Proteste in Ägypten gegen den demokratisch gewählten Präsidenten massiv. Demokratie bedeutet ja, dass alle Herrschaft vom Volk ausgeht, nicht von der Armee.

Es wäre aber für die Zukunft des Landes besser gewesen, wenn der Präsident im Rahmen der institutionellen Möglichkeiten beispielsweise abgewählt worden wäre, auch wenn Mursi diese Möglichkeiten selbst extrem eingeschränkt hat. So aber ist die Gefahr eines Bürgerkriegs in Ägypten nicht geringer geworden.

Die Protestwellen des arabischen Frühlings haben einiges in Bewegung gesetzt, aber vielfach auch anti-westliche religiöse Bewegungen gestärkt. Ist die Lage für Christen in den arabischen Ländern schwieriger geworden?

Leißer: Sicherlich haben im Zuge der "Arabellion" auch radikale islamistische Gruppierungen an Einfluss gewonnen, die nun viel offener ihre antiwestliche Haltung propagieren können. Das daraus aber ein "christlicher Winter" folgt, kann ich so einfach nicht sehen. Wir müssen uns vor Augen halten, unter welchen Bedingungen Christen und andere religiöse Minderheiten in den vorhergegangenen Herrschaftsformen ihren Glauben gelebt haben. Das war auch alles andere als rosig. Unter Mubarak zum Beispiel waren die orthodoxen Kopten zwar vor unmittelbarer Gewalt geschützt, jedoch gab es schon damals massive Diskriminierungen etwa im Familienrecht. Heute sind es vor allem die staatliche Instabilität und die Perspektivlosigkeit, die Christinnen und Christen zur Auswanderung aus Ägypten bewegen.

Lisa Heerman lebt seit sieben Jahren in Kairo und ist dort Vorstandsmitglied der deutsch-evangelischen Gemeinde. Aus Kairo erzählt sie von den aktuellen Ereignissen und den Tagen nach dem Sturz der Regierung Mursi.

"Unter militärischer Herrschaft gedeihen Menschenrechte höchst selten"

Unsere Vorstellung von Demokratie ist immer mit Menschenrechten und Freiheit verbunden, auch mit Religionsfreiheit. Aber auch die Regierung Mursi war demokratisch gewählt, und trotzdem befürchteten viele Christen in der Region mehr Unterdrückung als vorher. Müssen wir unsere Vorstellungen von Demokratie ändern, unsere positive Erwartung anpassen?

Leißer: Die Menschenrechte sind nicht an eine bestimmte Regierungs- oder Staatsform gebunden. Sie haben universale Geltung und müssen in demokratischen wie sozialistischen Staaten immer wieder aktiv geschützt und gegen Einschränkungen verteidigt werden. Oftmals geht es dabei weniger um religiöse Fragen oder bestimmte politische Konzepte, sondern vielmehr um das Verhältnis von einer Mehrheit zu gesellschaftlichen Minderheiten.

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Und selbst die parlamentarische Demokratie bietet Möglichkeiten für den Schutz von Minderheiten. Schauen Sie dazu etwa nach Schleswig-Holstein, wo der dänischen Minderheit besondere Rechte eingeräumt werden. Ein demokratisch gewählter Präsident muss aber meiner Ansicht nach auch versuchen, eine Politik zum Interessenausgleich aller Bevölkerungsgruppen zu machen. Sonst verliert er seine Legitimität als Staatschef.

Was ist besser: Eine menschenrechts- und religionsfreundliche Regierung, die vom Militär eingesetzt wird, oder eine gewählte Regierung, die andere Religionen und Menschengruppen benachteiligt oder sogar unterdrückt?

Leißer: Diese Frage ist so natürlich nicht zu beantworten. Aber eine Regierung, die vom Militär eingesetzt ist, wird auf Dauer Schwierigkeiten haben, von der Bevölkerung akzeptiert zu werden. Die Erfahrungen in der Geschichte zeigen, dass unter militärischer Herrschaft Menschenrechte und ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen höchst selten gedeihen.

Wenn man sich darüber hinaus klarmacht, dass das Militär in Ägypten traditionell selbst ein Akteur im Kampf um Macht und Einfluss ist und die ersten demokratischen Wahlen nach einer langen Übergangszeit erlaubt hat, kommen mir doch starke Zweifel für eine friedliche Zukunft dieses Landes.