Liebe Leserinnen und Leser,
der Predigttext, der mit der Jahreslosung 2013 endet, hat für mich eine ganz besondere persönliche Bedeutung. Es ist der erste Bibeltext, den ich als erwachsener Mensch mit ernsthaftem Interesse gelesen habe und der einen ungeahnten Impuls auslöste: Es war für mich der erste Schritt vom überzeugten Atheisten zum gläubigen Christen, der ich heute bin.
###mehr-info###Ausgerechnet der Hebräerbrief! Gestatten Sie mir drei bibelkundliche Sätze zu dieser ungewöhnlichen Schrift. Sie verdankt ihre Aufnahme in den biblischen Kanon nur dem Missverständnis, dass sie von Paulus verfasst sei. Bis heute ist der Hebräerbrief, die in Wahrheit weder an die Hebräer gerichtet noch ein Brief ist, ein großes Geheimnis für Theologen. Datierung und Autorenschaft sind ziemlich unklar – es ist die einzige biblische Schrift, für die mit guten Gründen sogar eine Frau als Verfasserin erwogen wird. Man weiß nur: Es ist das gelehrteste Buch des Neuen Testaments – mit dem besten Griechisch, dem größten Wortschatz und den meisten Zitaten aus der Hebräischen Bibel.
Aber all das habe ich erst später erfahren, es spielte für meine Veränderung keine Rolle. Nicht der theologische Gehalt, sondern die Situation war entscheidend, in der ich auf den Text gestoßen wurde. Und das kam so.
Im Jahr 2007 – ich habe gerade die Chefredaktion der Laufzeitschrift RUNNER’S WORLD übernommen – ruft ein Leser an und sagt:
„Ihr habt doch in Eurem Heft immer Interviews mit Prominenten, die laufen. Ich hätte da einen Vorschlag: die Bischöfin Margot Käßmann aus Hannover.“
Ich wehre ab: „Um Gottes Willen, wer interessiert sich denn für eine joggende Bischöfin?“
Nach dem Auflegen denke ich mir: Na ja, für eine Weihnachtsausgabe kannst du das mal als Plan B notieren. Doch komischerweise lässt mich der Gedanke nicht los. Wenige Tage später rufe ich beim Landeskirchenamt an – und bekomme sofort einen Termin mit der Bischöfin. Zur Vorbereitung des Gesprächs überfliege ich einige ihrer Bücher. Leichte Lektüre, denke ich mir zunächst, aber mit jeder Seite fühle ich mich tiefer berührt. Es ist, als würde jemand die dicke Staubdecke wegfeudeln, die sich in meinem Kopf auf die Kiste „Religion“ gelegt hat.
Und während unseres Gesprächs in Hannover öffnet sich sogar ein wenig der Deckel der Kiste. Margot Käßmann erzählt mir von der Verwandtschaft des Laufens mit der christlichen Mystik und von der Ähnlichkeit des Betens und des Laufens. Für beides brauche man Disziplin und Routine. Ich frage sie, welche Bibelstelle sie auswählen würde, wenn sie über das Laufen zu predigen hätte, und sie antwortet mir mit den Sätzen aus dem gerade gehörten Hebräerbrief-Text: „Lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, … und lasst uns laufen mit Geduld“.
Diese Begegnung veränderte mich. Nicht sofort, aber nachhaltig. Genauer gesagt, waren es zwei auf einander bezogene Lektionen, die mich in der Folgezeit mit zunehmender Intensität beschäftigten und in mir arbeiteten: zum einen die ganz praktische Anregung, beim Laufen einer spirituellen Kraft nachzuspüren, zum anderen der eher theoretische Hinweis auf das Motiv des „wandernden Gottesvolkes“, von dem der Hebräerbrief spricht. Lassen Sie mich zunächst auf den ersten Aspekt eingehen.
Natürlich war mir schon damals das Phänomen nur zu gut bekannt, dass die körperliche Bewegung den Geisteszustand verändert: Nach einem Lauf bin ich immer in einer anderen Stimmung als vorher; fast immer in einer besseren. Da ist mir beispielsweise eine Aufgabe, die mich vorher so gestresst hat, nach dem Lauf eine willkommene Pflicht, auf die ich mich regelrecht freue. Oder mir fällt plötzlich die Lösung für ein Problem ein, das mich tagelang belastet hat. Oder ich kann auf einmal einem Kollegen, einem Freund oder meiner Frau einen Fehler vergeben, der mich vorher wahnsinnig aufgeregt hat. Ein Lauf hat eine reinigende Wirkung für Kopf und Körper. Die Sauerstoffdurchflutung regt unseren Stoffwechsel an, Stresshormone werden abgebaut und Glückshormone ausgeschüttet. Die Grenzen zwischen Ich und Du, zwischen Innen- und Außenwelt verschwinden. Nicht von ungefähr sagen viele Läufer: Nach ein paar Kilometern fühle ich mich eins mit Gott und der Welt.
Meistens ist das ja nur so dahin gesagt. Ich beschloss, mich auf den Weg zu machen und wirklich beim Laufen Gott zu suchen. Ich wollte diese starken mentalen Kräfte nutzen, um bei Gott anzuklopfen. Mir war klar, dass es für mich keinen geeigneteren Ort dafür geben konnte als beim Laufen. Die Gottesdienste, die ich sporadisch besuchte, blieben mir eine Veranstaltung mit sieben Siegeln. Auch im berühmten stillen Kämmerlein kam mir alles Mögliche, nur nicht Gott in den Sinn. Wenn es für mich überhaupt funktionieren sollte, dann beim Laufen.
###autor###Mein erstes Problem war: Wie stelle ich den Kontakt her? Ich spürte schon, dass nicht ich Gott anrufen musste, sondern dass er mich schon längst angerufen hatte – aber jetzt auf mich wartete. Ich stand vor dem Problem, das Paulus im Römerbrief benennt: „Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen“ (Röm 8,26). Die Bibel kennt aber auf diese Frage glücklicherweise auch eine Antwort – das Gebet, das Jesus seinen Jüngern lehrte, das Vaterunser. Das wurde fortan mein täglicher Begleiter.
Ich habe das Vaterunser als sehr angenehmen Einstieg empfunden, weil es so wenige Voraussetzungen macht. Es ist darin weder von Jungfrauengeburt noch von Auferstehung die Rede – es ist eine schlichte Zwiesprache zwischen Mensch und Gott. Mit jedem Beten erschloss sich mir der Tiefsinn dieses ganz besonderen Textes mehr. Ich entdeckte die zum Laufen passende Dynamik der Bitten – zum Beispiel den ständigen Wechsel zwischen Hier und Dort in den ersten Zeilen. „Unser Vater“ – hier, „in den Himmeln“ – dort, „dein Name“ – hier, ich darf Gott anreden –, „werde geheiligt“ – dort, „dein Reich komme“ – vom dort zum hier usw. Ich entdeckte auch, dass man in diese sieben Bitten alles hineinlegen kann, was einem auf dem Herzen liegt, und dass man es nicht beginnen kann, ohne selbst schon mal in seinem Herzen aufgeräumt zu haben: „Unser Vater“ lässt sich nicht sagen, wenn man noch einem Menschen zürnt. Deshalb bete ich es auch immer in der Version der Evangelien – „unser Vater“ – und nicht in der liturgischen Fassung – „Vater unser“: Das erste Wort muss das „unser“ sein; es ist ein Test, ob wir versöhnt und damit würdig für das Gebet sind oder nicht.
Vor allem machte ich bei meinen ersten Schritten im Glauben die Erfahrung, auf die der Theologe Paul Tillich sein ganzes späteres Werk aufgebaut hat: Gott offenbart sich in dem Maße, in dem wir nach ihm fragen. Das Beten und der Angebetete wurden mir immer vertrauter, ich legte das Fremdeln ab und freute mich morgens nach dem Aufstehen schon immer auf diese besondere Begegnung. Meine Frau pflegt mich nach dem Lauf immer mit den Worten zu empfangen: „Na, haste jemanden getroffen?“ Eines Tages konnte ich ihr antworten: „Ja, den lieben Gott.“
Vom Laufen allein wird man aber kein Christ. Dazu muss man sich schon mit der christlichen Botschaft befassen. Und damit komme ich zur zweiten Lektion aus meiner Begegnung mit Margot Käßmann: dem Denkanstoß, sich einmal dem Motiv des „wandernden Gottesvolks“ zu widmen. Wenn man nämlich genau hinschaut, stellt man fest, dass der Hebräerbrief hier einen roten Faden benennt, der sich durch die ganze Bibel zieht – von der Genesis bis zu den Briefen des Paulus: das Bild der körperlichen Bewegung als von Gott bewirkte Veränderung des Menschen.
Der Urvater Abram zum Beispiel bewegt sich zu Fuß auf Gottes Geheiß rund 2000 Kilometer durch Kleinasien – von Ur im heutigen Irak nach Harran, Türkei, weiter nach Kanaan, Israel, dann nach Ägypten und wieder zurück nach Kanaan. Der göttliche Befehl an Abram zum Aufbruch lautet dabei auf Hebräisch „Lech lecha“ (Gen 12,1), was man übersetzen kann mit: „Geh‘ zu Dir selbst!“ Es kommt in dieser Geschichte eben nicht auf den genauen Weg an, sondern auf den Aspekt der Bewegung, der Entwicklung.
Nicht anders bei der großen, 40-jährigen Wüstenwanderung des Volkes Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft ins gelobte Land. Natürlich braucht man keine 40 Jahre, um vom Nil zum Jordan zu gehen. Schlaue Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass die Israeliten sich auf Basis dieser Angaben im Durchschnitt nicht mehr als zehn Zentimeter am Tag fortbewegt haben können. Aber hier ging es gar nicht um die geografisch nachprüfbare Route, sondern um die geistige Entwicklung einer ganzen Generation. Gott selbst führte diese Entwicklung an – tagsüber als Wolkensäule, des Nachts als Feuersäule. Der Kontrast zwischen dem, was ist, und dem, was sein kann, hat das Volk Israel vorangetrieben.
Es hat sogar ein mobiles Heiligtum mit, die Bundeslade. Die spätere Zentralisierung der Religion mit König, Hauptstadt und Tempel geschah, wie man im Buch Samuel (1Sam 8,1-8) und im Buch der Richter (Ri 9,8-15) nachlesen kann, ausdrücklich gegen den Willen Gottes. Im Buch Chronik wird das dann anders bewertet – hier zeigt sich eine biblische Konkurrenz zweier Gottesvorstellungen: ein Gott des Weges, aus nomadischen Quellen gespeist, und ein Gott der heiligen Orte, wie er den sesshaften Bevölkerungsteilen Kanaans näher lag. Auf Dauer hat sich aber – trotz Königtum und Tempelbau – in der biblischen Überlieferung der Gott des Weges und das „wandernde Gottesvolk“ durchgesetzt.
Dazu passt auch die wunderbare Geschichte von Elias Wüstenwanderung. Ganz kurz zur Erinnerung: Der Prophet hat sich auf dem Berg Karmel ein Duell mit 450 Priestern eines anderen Gottes geliefert: Da stand Adonai gegen Baal; der Gott Israels gegen den syro-phönizischen Wettergott. Beide Parteien haben Altäre aufgerichtet, beide rufen ihren Gott an: Entzünde unser Brandopfer! Doch nur der Gott Elias, nur Adonai, kommt der Bitte nach. Das zuschauende Volk erkennt nun, von wem es wirklich Hilfe erwarten darf, und in einer Art Lynchmob bringt es zusammen mit Elia alle 450 Baal-Anhänger um. Zu Recht fürchtet Elia nun die Rache des Königshauses und flüchtet. In der Bibel heißt es wörtlich: „Er machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba“ (1Kön 19,3). Wenn wir einen Atlas zur Hand nehmen, sehen wir, dass es vom Berg Karmel an der Mittelmeerküste bis nach Beerscheba in der Negev-Wüste rund 150 Kilometer sind. Elia lief folglich dreieinhalb Marathons hintereinander um sein Leben. Die Läufer unter Ihnen ahnen, wie man sich danach fühlt. Völlig entkräftet sitzt er also nun unter einem Ginsterstrauch – in der Bibel heißt es, „er wünschte sich zu sterben“ – und fällt in einen tiefen Schlaf. Und aus dem weckt ihn ein Engel und sagt: „Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“ Er muss es zweimal sagen, bis Elia kapiert und folgt. Dann steht der Prophet auf, isst, trinkt und geht „durch die Kraft der Speise“ 40 Tage und 40 Nächte durch die Wüste zum Berg Gottes. Warum tut Gott seinem Propheten das an? Warum offenbart er sich nicht gleich in der Negev-Wüste? Einfache Antwort: weil der Elia, an dessen Händen das Blut von 450 Menschen klebt, noch nicht reif ist für eine Begegnung mit Gott. Die 40 Tage und 40 Nächte, die er noch gehen soll, stehen hier für eine Entwicklung, die Gott von seinem Propheten erwartet.
###mehr-artikel###Auch der Held des Neuen Testaments ist ein Wanderer – zwischen den Welten, aber auch im Wortsinn auf der Erde. Das Lukas-Evangelium ist über weite Strecken regelrecht als Reisebericht angelegt, seine erste große Reise unternimmt Jesus hier sogar schon pränatal von Nazaret nach Bethlehem. Das erste, was Jesu Präsenz auf der Erde auslöst, ist ein Aufbruch: Bei Matthäus sind es die Hirten auf den Feldern, bei Lukas die Weisen aus dem Morgenland, die sich in Bewegung setzen.
Während seines späteren Wirkens hat Jesus noch nicht einmal eine feste Bleibe, er wohnt provisorisch bei seinem Jünger Petrus im Kapernaum. Einem Schriftgelehrten, der ihm nachfolgen will, sagt er: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20). Wenn Jesus zur Nachfolge aufruft, dann meint er es wörtlich: ihm nach folgen, mit ihm gehen. Da ist keine Zeit zu verlieren, Jesus wartet nicht. Das Lukas-Evangelium (9,59-62) berichtet uns von zwei Männern, die Jesus gerne nachgefolgt wären. Der eine wollte aber erst noch seinen Vater begraben, der andere sich noch von der Familie verabschieden. Jesus sagt ihnen sinngemäß: Wenn Ihr Euch mir nicht sofort anschließt, dann ist die Chance vertan, dann seid Ihr des Reichs Gottes nicht würdig. – Ein hartes Urteil, das man eigentlich nur verstehen kann, wenn man sich die körperliche Bewegung dazu denkt. Wer in Bewegung ist, lässt sich nicht so einfach aufhalten. Es gibt nur eine Chance, sich ihm direkt anzuschließen – wenn er gerade bei dir ist.
Die Zielstrebigkeit des Läufers hat auch Paulus beeindruckt, der mit seinen geschätzten 30 000 Reisekilometern, davon rund ein Drittel zu Fuß, distanzmäßig alle anderen biblischen Gestalten in den Schatten stellt. Im Jahr 51 besucht er die Isthmischen Spiele in Korinth, die damals zweitgrößte Sportveranstaltung der Welt nach den Olympischen Spielen. Kurz darauf schreibt er seinen ersten Brief an die korinthische Gemeinde, in dem er die Läufer als Vorbild anpreist:
»Wisst ihr nicht, dass in der Kampfbahn alle laufen, aber nur einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. Jeder, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen« (1Kor 9,24f.).
Sie sehen, in der Bibel wird sich viel bewegt. Die Bewegung bringt uns weiter, bringt uns im besten Fall zu Gott. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, sagt Jesus von sich (Joh 14,6); „der neue Weg“ nannten sich auch die ersten Christen der Urgemeinde. Der Hebräerbrief hat dann mit dem Motiv des „wandernden Gottesvolks“ den großen Bogen vom Volk Israel zu den Christen geschlagen: Christsein heißt in Bewegung sein. Das ist inzwischen mein Credo geworden. Als Christ ist man nie ganz zufrieden mit sich – man möchte sich immer weiter entwickeln. Der christliche Glaube ist ein Trainingsprogramm für das ganze Leben.
Was uns vorantreibt, ist nicht nur das Streben, uns selbst zu entwickeln, sondern auch die Verheißung, an die wir glauben: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist“ (1Joh 3,2). Oder in den Worten des Hebräerbriefs: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Glaube ohne Hoffnung ist leblos. Hoffnung ohne Verheißung ist nicht mehr als Optimismus. Die Verheißung macht unseren Glauben und unsere Hoffnung zu mehr als einer Lebenseinstellung, nämlich zu einer existenziellen Bestimmung. Sie verändert uns, macht uns zu neuen Menschen, sie ist die göttliche Speise, mit deren Hilfe Elia 40 Tage und 40 Nächte durch die Wüste zieht.
Lassen Sie mich noch kurz auf diese 40 eingehen, denn sie verbinden unseren Grundgedanken mit dem Marathon, den wir hier als Überschrift gewählt haben. Wie Sie vielleicht wissen, ist der Marathon mit einer Distanz von 40 Kilometern in die Neuzeit gestartet. Das krumme Anhängsel – 42,195 Kilometer – verdanken wir den Olympischen Spielen 1908 in London, wo die 40 Kilometer vom Startpunkt am Schloss Windsor nicht ganz bis zur königlichen Loge im Olympiastadion reichten.
Der biblische Marathon dreht sich um die Zahl 40, wie viele Geschichten zeigen. Die 40 scheint von alters her etwas Besonderes zu sein: einerseits groß genug, um eine Herausforderung darzustellen, andererseits klein genug, um gerade noch bewältigbar zu sein. Neben der Elia-Geschichte begegnet uns die 40 mehrfach bei der Sintflut, 40 Jahre irrt das Volk Israel durch die Wüste. 40 Tage verbringt Moses auf dem Berg Sinai, um von Gott die Gesetze zu empfangen. 40 Tage setzt sich Jesus nach seiner Taufe in der Wüste der teuflischen Versuchung aus, 40 Tage liegen zwischen seiner Auferstehung und Himmelfahrt. In allen diesen Beispielen steht die Zahl 40 für den Weg zu Gott und für die Veränderung, die mit dem Gehen dieses Weges verbunden ist.
###mehr-links###Und wenn Sie das mit dem Marathon mal wörtlich nehmen, dann können Sie eine ganz besondere christliche Erfahrung machen. Der amerikanische Franziskanerpater Richard Rohr hat gesagt, dass man das Ostermysterium, die Auferstehung Christi, nur dann richtig verstehen kann, wenn man selbst Ähnliches erlebt hat: einmal ganz den Boden unter den Füßen verlieren und dann die Erfahrung machen, dass Gott uns auffängt, so dass wir am Ende lebendiger sind als vorher.
Beim Marathon kommen Sie etwa bei Kilometer 35 an den kritischen Punkt, wo sich der Stoffwechsel von Kohlenhydrat- auf Fettverbrennung umstellen muss. Das ist ein sehr gefürchteter Moment unter Läufern, weil er mit einem Gefühl völliger Schwachheit verbunden ist. Läufer sprechen hier vom Hammermann. Meist hat der Körper sich nach zwei, drei Kilometern daran gewöhnt – und man läuft mit neuer Energie ins Ziel. Aber wenn man in diesem Moment absoluter Schwachheit nur in sich selbst nach neuen Kräften sucht, wird man wahrscheinlich nichts finden. Man braucht die Hilfe von außen um weiterzulaufen – man schaut in die Gesichter der anfeuernden Zuschauer, man nimmt den Rhythmus der Musikkapelle auf, oder man baut auf Gottes Hilfe. Das ist für mich der christlichste Moment beim Marathon: das Gefühl völliger Angewiesenheit bei gleichzeitiger Gewissheit, dass mir geholfen wird. Da wartet im Marathon Gott auf mich – und da öffnet sich ein kleiner Ausblick auf die zukünftige Stadt.
Amen.