Je mehr die monogame, heterosexuell orientierte, lebenslange Ehe in die Krise gerät, umso stärker wächst die Anzahl ihrer – oft fundamentalistischen, evangelikalen oder konservativen – Verteidiger. Der Untergang christlicher Lebens- und Moralmodelle und damit die Basis des christlichen Abendlandes scheint ihnen hier angebahnt. Doch die Ehe war im frühen Christentum durchaus kein Ideal. Bekanntlich war es für den vermutlich selbst unverheirateten Apostel Paulus besser, nicht verheiratet zu sein als verheiratet zu sein; nur zur Eindämmung von Unzucht sei die Ehe eine Hilfskonstruktion.
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Schon Martin Luther sah im Ehestand – entgegen langlebiger Legenden – kein Ideal, sondern einen von Gott verordneten Hemmschuh gegen Hurerei und Unkeuschheit. Selbst die hoch gehaltene Einehe ist keine Entwicklung, die der Einzigartigkeit der Liebe zweier Menschen entsprungen ist; vielmehr trat sie ihren Siegeszug aus erbrechtlichen Gründen an. Die Ehe jedenfalls wurde in vorangegangenen Epochen durchaus nicht als der Ort für Lust und Sinnlichkeit angesehen – und wo Liebe in der Ehe entstand, war das ein erfreulicher Nebeneffekt, der problematisch wurde, wenn politische oder ökonomische Gründe eine Ehescheidung notwendig machten.
Obwohl sich das Scheidungsverbot Jesu dagegen richtete, erlaubten die Kirchenväter des 4. und 5. Jahrhunderts allen Männern Scheidung und Wiederverheiratung; im Hochmittelalter wurde dies zum adeligen Privileg. Bis sich das kirchliche Eherecht durchsetzte, wurden Scheidungen und Mehrfachehen weder als moralisches noch als soziales noch als juristisches Problem angesehen; sie waren einfach allgemein üblich.
Historisch gesehen - so behaupteten die Ethnologen des 19. Jahrhunderts - hätte es die Polygamie bis ins frühe Mittelalter hinein auch in Europa gegeben. Erst in der weiteren Kulturentwicklung monopolisierte sich die Einehe als Ideal und dann seit der Romantik auch als soziale Wirklichkeit heraus. Auch mit der "ehelichen Treue" ist es, zumindest historisch gesehen, nicht allzu weit her. Außereheliche Beziehungen galten bis weit in die Neuzeit hinein auch in der öffentlichen Meinung durchaus als normal und sie waren zumindest bis zum 17. Jahrhundert im Adel ein allgemeines Ideal; Mätressen waren teilweise hoch angesehen und einflussreich.
Die Verbindung von Ehe und Liebe ist ein Produkt der Romantik
"Mädchen entführt und zur Heirat gezwungen" – über solche Meldungen aus China, Indien, Afghanistan oder afrikanischen Staaten schütteln wir Europäer ungläubig bis angewidert den Kopf. Doch Raubehen gab es auch in unseren Breiten ebenso wie die auf der ganzen Welt verbreiteten Kinderehen. Im europäischen Adel waren sie die Regel: Kinderehen dienten dazu, politische oder militärische Bündnisse abzusichern oder die eigene Macht oder den gegenwärtigen Friedenszustand durch Einheiratung potenzieller Gegner sicherzustellen.
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Liebe war selten im Spiel. Die Symbiose von Liebe, Sexualität und Ehe ist erst ein Produkt der Romantik – vorher war die Liebesheirat eher unerwünscht. Die Herrschergeschichte Europas erzählt von nicht wenigen heimlichen Ehen wie etwa der der Agnes Bernauer mit dem Bayernherzog Albrecht III. Diese unstandesgemäße Ehen ("ehe zur linken Hand") waren bei Strafe verboten.
Raubehen gab es zwar auch im als zivilisiert geltenden Rom; im germanischen Bereich aber scheinen sie wohl eine durchaus legitime Form gewesen zu sein. Die germanische Raubehe währte noch lange in die christliche Zeit hinein; wenn etwa im 13. und 14. Jahrhundert die Stadt- und Landrechte durchgängig Raubehen verurteilen, dann muss das zu dieser Zeit noch ein relevantes Phänomen gewesen sein. Die Sakramentalisierung der Ehe war u.a. auch gegen diese anhaltende Tradition der germanischen Raubehe gerichtet.
Bei den Germanen finden wir neben der Raubehe drei weitere Eheformen: die Muntehe, die Friedelehe und die Kebsehe. In der Muntehe, deren Spur sich sprachlich noch in unserem Wort "Mündel" wiederspiegelt, schlossen zwei Sippen einen Vertrag, der die Übergabemodalitäten der Braut an den Bräutigam regelte und den sogenannten Muntschatz festgelegte. Die Zustimmung der Frau war hierbei nicht vorgesehen, sie ging nur von der Munt des Vaters in die des Mannes über. Dieses germanische "truve-Verfahren" findet sich zum Beispiel im reformierten Emden in protestantischen Eheordnungen des 17. Jahrhunderts wieder.
Die Ehe für alle ist eine neue Erfindung
Die Friedelehe beruhte auf der freien Übereinkunft eines Mannes und einer Frau als selbständige Partner. Statt der Zahlung an die Sippe wurde hier eine Morgengabe als Brautschatz an die Frau übergeben, diese Morgengabe war so etwas wie eine Rentenversicherung. Diese Ehen waren sehr leicht auflösbar. Gleiches galt auch für die im Grunde lebenslang geschlossene Kebsehe. Sie waren Beziehungen zwischen einem freien Germanen und einer unfreien Frau, also einer Sklavin. In der Regel bestanden mehrere Kebs- und Friedelehen nebeneinander.
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Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war die Ehe keine Segnung für alle, denn es gab ehefähige und eheunfähige Personen. In den deutschen Ländern und Städten waren die Messlatten der Ehefähigkeit zwar unterschiedlich, aber immer sehr hoch gehängt. Wer kein Vermögen und keine Wohnung hatte, durfte generell nicht heiraten. Ebenfalls generell von der Heirat ausgeschlossen waren Soldaten und große Teile des zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufkommenden Industrieproletariats; fast alle Tagelöhner, Knechte und Mägde hatten die Ehefähigkeit nicht. Selbst die Bauern brauchten - zumindest bis ins 18. Jahrhundert zur Heirat die Erlaubnis des Landeherren. Die Chance, heiraten zu dürfen, stand für junge Männer im späten Mittelalter fifty-fifty. In den ländlichen Gebieten, wo erbrechtlich nicht die Realteilung, sondern das sogenannte "Anerbenrecht" herrschte, konnte faktisch nur der Hoferbe heiraten.
Und wie wurde dann geheiratet? Im Mittelalter wurden Ehen, wenn nicht direkt im Bett, dann in den Wirtshäusern geschlossen. Beides bleibt für das gemeine Volk eine Möglichkeit, die später als sogenannte "geheime Ehen" kirchlich verfolgt wurden. Und aus beidem resultierten viele Ehefeststellungsklagen vor Gericht. Die Eheschließung durch Vollzug des Beiwohnens war jedoch das Grundmodell der Trauung in eigentlich allen Ständen. Zustande kam die Ehe, die in bürgerlichen Kreisen durch die Väter vorab ausgehandelt wurde, letztlich dadurch, dass sich Mann und Frau nach vollzogener Hochzeitsnacht durch die Familie und Freunde im Bett überraschen ließen; damit war die Ehe öffentlich proklamiert und justifiziert.
Getraut wurde erstmal vor der Kirche
Im 12. Jahrhundert fing man dann an, in das häusliche Hochzeitszeremoniell einen kirchlichen Trauritus zu integrieren. Aber dieser fand entweder im Haus der Brautleute selbst oder vor - und nicht in - der Kirche statt. Erst im 13. Jahrhundert wird dann der Kirchenraum zum Ort der Verheiratung. Das heißt aber noch nicht, dass damit die private Eheschließung durch die kirchliche vollständig abgelöst wurde. Vielmehr besuchte man nach vollzogener Hochzeitsnacht einen Gottesdienst, die Brautmesse. Diese hatte jedoch ursprünglich keine konstitutive, ehebegründende Funktion.
Die kirchliche Trauung setzte sich erst zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert langsam durch, und durch die Sakramentalisierung bekam die Ehe dann eine bisher ungekannte Qualität, nämlich ihre grundsätzliche Unauflösbarkeit: im sakramentalen Verständnis der Ehe in Analogie gesehen zum Verhältnis der Kirche zu Christus.
Und daraus resultiert die Idee, dass eine Ehe prinzipiell unauflösbar sei. Die Privatehen des Mittelalters hingegen waren Zweckverbindungen und konnten deshalb auch problemfrei aufgelöst werden. Erst im 18. Jahrhundert hat sich das Monopol der kirchlichen Trauung gänzlich durchgesetzt. Doch seit dem Kulturkampf, mithin seit 1875, ist die kirchliche Trauung faktisch nur ein Zierrat der standesamtlichen, die die rechtsverbindliche Ehe schließt.