Der Fußweg zum Jordan führt durch eine urtümliche Landschaft. Dichtes Tamarisken-Gestrüpp säumt einen Pfad, der sich durch die staubtrockene und menschenleere Ebene schlängelt. Dürre Zweige behindern die Sicht. Genauso könnte es hier auch zur Zeit Jesu ausgesehen haben. Wenn da nur nicht der Fremdenführer wäre, der zur Eile drängt. Das Grenzgebiet zwischen Jordanien und dem Westjordanland ist immer noch militärisches, ohne einen offiziellen Fremdenführer darf hier kein Besucher losziehen. Der Guide aber will möglichst schnell zu seiner nächsten Gruppe. Also scheucht er die Touristen an den Fluss und lässt erst gar keine Besinnlichkeit aufkommen.
Hier, an dieser Stelle, hat Johannes der Täufer vor rund zwei Jahrtausenden Jesus getauft. Damals war zumindest das Wasser sauberer, so viel lässt sich auf jeden Fall festhalten. Aber an welchem Ufer empfing Jesus seine Taufe? Darüber gibt es Streit. Denn die eine Seite des Jordan gehört zu Jordanien, die andere Seite wird von Israel kontrolliert. Die Taufstelle dort ist zum Greifen nahe, aber durch die Grenze unerreichbar.
Ein symbolisch aufgeladener Mythos
Der Jordan ist enttäuschend, nur noch ein Schatten seiner selbst. Ein tristes, grünliches Rinnsal, nicht mehr als fünf Meter breit, das sich träge dahin schleppt. Dabei ist der Fluss hier sogar aufgestaut, denn eine Taufstelle Jesu, die kaum Wasser führt, das wäre undenkbar. In heißen Sommern drohen inzwischen manche Flussabschnitte auszutrocknen.
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Trotzdem bleibt der Jordan ein Mythos, symbolisch aufgeladen, von Christen, Juden und Muslimen verehrt. Denn im Nahen Osten streitet man über alles, auch über die spirituelle Deutungshoheit. Allerdings sind sich auch die Evangelien nicht einig, wo genau Johannes damals wirkte. So können Israel und Jordanien ihre jeweilige Taufstelle als einen der wichtigsten Orte für die Christenheit für sich reklamieren.
Die Taufe Jesu markierte den Beginn seines öffentlichen Wirkens und ist ein zentrales Datum christlicher Geschichte. Nachdem Johannes Jesus taufte, "tat sich der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren", so berichtet es der Evangelist Matthäus (Mt 3,16).
Nach israelischer Lesart wirkte Johannes in Qasr al-Juhud, dem Schloss der Juden, auf der Westseite des Jordan. Auf jeden Fall hat Israel am Tag des Besuchs mehr Zulauf an Touristen und Pilgern als im jordanischen Bethanien. Drüben drängen sich Gruppen von Pilgern auf der hölzernen Uferanlage, deren Treppe bis ins Wasser führt. Einige Pilger gehen bis zu den Knien ins Wasser oder füllen die Brühe in Plastikflaschen. Ratsam ist das allerdings nicht unbedingt, denn mangels Kläranlagen gilt das Jordanwasser unterhalb des See Genezareth als hochgradig verseucht.
Ein Nationalpark mit Kirchen und Herbergen
Der Jordan markiert die Grenze zwischen dem jüdischen Staat und Jordanien. Kontakt aufzunehmen zur anderen Taufstelle ist nicht erlaubt, es ist nur ein kalter Frieden zwischen den beiden Nachbarländern. Wenigstens halten sich die wenigen Soldaten diskret zurück: Andere Stellen im Grenzverlauf werden wesentlich schärfer bewacht.
In Bethanien, auf der jordanischen Seite, hält eine italienische Pilgergruppe Gottesdienst direkt am Fluss. Alle anderen Touristen dürfen sich nur kurz an der heiligen Stätte aufhalten und werden dann gedrängt, rasch den Pfad zurück zu laufen bis zur Sammelstelle für Kleinbusse. Sie bringen die Touristen zurück bis zum Besucherzentrum am Hügel des Elias. Von dieser kleinen Erhebung aus ist der Prophet nach der Überlieferung des Alten Testaments in den Himmel aufgefahren, hier hat auch Papst Johannes Paul II im Jahr 2000 an einer alten Pilgerkapelle aus dem 5. oder 6. Jahrhundert der jordanischen Taufstelle seinen Segen erteilt.
Lange Zeit hatte das jordanische Militär das Gelände komplett abgesperrt, auch Jahre nach der Rückgabe durch Israel im Friedensvertrag von 1994 war das Gelände nur mit Sondergenehmigung zugänglich. 2002 erklärte der jordanische König Abdullah II. dann 350.000 Quadratmeter Land zum Nationalpark und erlaubte den Christen den Bau von Kirchen und Pilgerherbergen. Im August 2011 zog Israel mit Qasr al-Jahud nach. Als die Taufstelle auf israelischer Seite eröffnet wurde, protestierten die Palästinenser: Israel wolle die biblische Geschichte für seine Zwecke nutzen. Der Bereich gehört zur Zone C im Westjordanland, dem Gebiet also, das Israel sowohl militärisch als auch administrativ kontrolliert. Wie immer gibt es keine Einigkeit über das spirituelle Erbe im Heiligen Land.
Die mündliche Tradition spricht für Jordanien
Das jordanische Gelände an der Taufstelle wird von einem königlich-islamischen Institut verwaltet, das für den christlichen Pilgertourismus wirbt. Das "Royal Aal al-Bayt Institute for Islamic Thought" in der jordanischen Hauptstadt Amman vermarktet zusammen mit den christlichen Kirchen Jordaniens die Taufstelle als authentisch. Jordanien will einen größeren Anteil am Pilgertourismus, vor allem seit die Touristenzahlen wegen des arabischen Frühlings massiv zurückgegangen sind. "Es haben sich einfach mehr Gelehrte für unsere Taufstelle ausgesprochen", wirbt Institutsdirektor Aftab Ahmed für Bethanien und verweist auf seine neue Website.
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Auf www.baptismsite.com präsentiert das Institut zahlreiche Stimmen von Kirchenführern, die sich für die Authentizität der jordanischen Taufstelle aussprechen. Baptisten, Anglikaner, Kopten, Armenier, griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Würdenträger versichern, die historische Wahrheit läge auf jordanischer Seite.
In der Tat spricht einiges für die jordanische Version. Eine starke mündliche Tradition im frühen Christentum sieht die Taufstelle "jenseits des Jordan", erklärt Dieter Vieweger vom Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem. Hauptargument sind die vielfältigen Zeugnisse früher Pilger. Insgesamt wurden die Überreste von fünf Kirchen aus unterschiedlichen Epochen gefunden. "Hinter das 4. Jahrhundert können wir nicht zurück", sagt Vieweger, "aber die christliche Tradition sieht die Taufstelle nur dort." Auch die berühmte Mosaikkarte aus der Kirche St. Georg im jordanischen Madaba, die älteste nachgewiesene Landkarte vom Heiligen Land aus dem 6. Jahrhundert, bestätigt die jordanische Taufstelle.
Pragmatisches Ausweichen vor dem Krieg
Im 14. Jahrhundert ging das Wissen um die Taufstelle verloren. Byzanz verlor die Kontrolle über das Heilige Land, das Gebiet wurde unsicher und der Strom der Pilger kam zum Erliegen. Herbergen und Kirchen wurden vernachlässigt und verfielen, bis moderne Archäologen sie im 21. Jahrhundert wieder ausgruben. Heute schwankt der Park zwischen Wallfahrtsort und Ausgrabungsstätte, aber er besticht durch seine Schlichtheit und das weitgehende Fehlen von religiösem Kitsch.
Den Rummel gibt es in Yardenit, weiter nördlich am See Genezareth in Israel. Auf Yardenit sind die Pilger nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 ausgewichen, als der untere Jordan ganz unzugänglich war. Für den Archäologen Vieweger ist das einfach pragmatisch. Den Pilgern sei nicht so wichtig, ob der Ort jetzt wirklich authentisch ist oder nicht. "Wenn sie in Bethanien nicht an den Jordan kommen, dann eben woanders", meint er. In Yardenit finden die Massentaufen statt, dort werden Devotionalien verkauft. Ein israelisches Lourdes, das jedes Jahr um die 500.000 Pilger anzieht, hauptsächlich Baptisten und andere Freikirchler aus der ganzen Welt.
Da ist es nur eine unwesentliche Randnotiz, wenn die Historiker Yardenit nicht für plausibel halten. Yardenit plustert sich auf, Bethanien bleibt bescheiden. Die letzte Gewissheit über den Ort am Jordan, an dem Johannes der Täufer wirkte, ist ohnehin unerreichbar. Denn in der Antike war der Jordan im Frühjahr ein reißender Strom, der sein Flussbett ständig veränderte.