Jede Form der Familie stärken ist das Ziel der EKD-Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit".
Foto: epd/Judith Thomandl
Jede Form der Familie stärken ist das Ziel der EKD-Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit".
Schneider: Erweitertes Familienverständnis "dringend nötig"
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hat Kritik an der Erweiterung des Familienbegriffs durch das aktuelle Positionspapier der Kirchenspitze scharf zurückgewiesen. Auch der hessische Kirchenpräsident Jung sagte, die Kommission habe zwar Kritik erwartet, aber nicht so einen aggressiven Ton. Die Orientierungshilfe werte die Familie nicht ab, sondern wolle sie neu denken und stärken.

"Wir können und dürfen als evangelische Kirche unsere Augen nicht vor der gesellschaftlichen Realität verschließen", sagte Schneider am Donnerstag in Hannover dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Wir sind dazu aufgerufen, diese gesellschaftliche Realität zu gestalten und für diese gesellschaftliche Realität Orientierung zu geben." In der evangelischen Kirche waren konservative Stimmen laut geworden, die Änderungen an der vor einer Woche veröffentlichten Schrift zu Ehe und Familie forderten.

In der Orientierungshilfe fordert die EKD, alle Familienformen anzuerkennen und zu stärken und schließt dabei auch etwa Patchworkfamilien und homosexuelle Partnerschaften ein. Damit nehme die EKD keinen Kurswechsel vor, "wohl aber einen Perspektivwechsel, der dringend nötig ist", unterstrich Schneider. Das Augenmerk müsse sich zuerst auf die "Qualität gelebter Beziehungen und nicht auf den Status" richten.

Das Miteinander in der Familie solle in einer bestimmten Weise gestaltet werden. Schneider: "Wir sagen heute: 'Verbindlichkeit, lebenslange Verlässlichkeit, Verantwortung und Sorge füreinander, Geschlechtergerechtigkeit.'" Diese Form des Zusammenlebens brauche eine rechtliche Ordnung wie die Ehe, erklärte der EKD-Ratsvorsitzende weiter. Die Ehe "soll auch das Leitmodell bleiben. Allerdings: Alleinerziehende, Patchworkfamilien und gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, die nach den eben genannten Vorstellungen leben, gehören in gleicher Weise gewürdigt."

chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer kommentiert die Orientierungshilfe der EKD zu Familie.

Jentsch: "Nur der Ausweg, katholisch zu werden"

Einer der Kritiker des Papiers ist der langjährige Synodenpräses der EKD, Jürgen Schmude. Die Orientierungshilfe mache zwar "in verdienstvoller Weise auf die Vielfalt der Formen achtenswerten familiären Zusammenlebens aufmerksam", schreibt der SPD-Politiker in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" (Donnerstagsausgabe). Die Unterschiedlichkeit dieser Lebensformen sei aber "den Verfassern leider unwichtig". Ob die Ehe noch etwas Besonderes ist, bleibe offen, kritisiert er.

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Schmude sieht einen "kleinen Kulturkampf" in der öffentlichen Diskussion über die Ehe. Die in Artikel 6 des Grundgesetzes dem "besonderen Schutze der staatlichen Ordnung" anvertraute Ehe sei für Rechtsprechung und Allgemeinheit eindeutig die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, schreibt er und warnt: Der Vorschlag, im Grundgesetz künftig nur noch den Schutz von "Lebensgemeinschaften" vorzusehen, würde statt der "Ehe für alle" die Ehe für niemanden bringen.

Auch der frühere Verfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch hat der EKD vorgeworfen, nicht mehr hinter dem im Grundgesetz festgeschriebenen Schutz der Ehe zu stehen. "Viele Gläubige werden diesen Kurswechsel als Provokation empfinden", heißt es in einem am Donnerstag erschienenen Gastbeitrag des Juristen und CDU-Politikers in der "Mainzer Allgemeinen Zeitung". Für die EKD sei die traditionelle Ehe von Mann und Frau nur noch eine Lebensform von vielen, aber keine privilegierte mehr, kritisierte Jentsch. Falls es nicht gelinge, die Entwicklung aufzuhalten, bleibe für viele wohl nur der Ausweg, katholisch zu werden, sagte der evangelische Jurist, der von 1996 bis 2005 am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe tätig war. In den Verlautbarungen der katholischen Kirche werde das Leitbild einer christlich orientierten Ehe bislang noch nicht infrage gestellt.

"Verbindlich, verlässlich, verantwortungsvoll"

Auch aus manchen Landeskirchen hält die Kritik an. Der Kirchenpräsident von Anhalt, Joachim Liebig, erklärte, die Orientierungshilfe stelle zwar zutreffend fest, dass die Ehe eine weltliche Einrichtung und kein heiliges Sakrament sei. Die Auffassung, dass das Scheitern einer Ehe wegen wechselhafter Gefühle grundsätzlich legitim sei, sei jedoch kritikwürdig. Zweifellos sei die Einschätzung angesichts der Scheidungszahlen realistisch, sagte er weiter. Ein evangelisches Orientierungspapier sollte aber am Ideal lebenslanger Treue festhalten.

Dagegen weist der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung die Kritik an dem Familienpapier zurück. Die verantwortliche EKD-Kommission habe heftige Reaktionen erwartet, aber er sei überrascht von dem aggressiven Ton, sagte Jung als ranghöchstes geistliches Kommissionsmitglied in Darmstadt dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die vor einer Woche erschienene "Orientierungshilfe" werte die Familie nicht ab, sondern wolle sie neu denken und stärken.

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Kritikern entgegnete der Kirchenpräsident, dass Menschen, die Verantwortung für andere übernehmen, nicht geholfen werde, indem man "eine bestimmte Lebensform über andere erhebt". Die Erklärung der EKD trage sowohl dem gesellschaftlichen Faktum als auch den biblisch-theologischen Erkenntnissen Rechnung, dass Familie in einer Vielfalt von Lebensformen existiere. Die Familie könne nicht auf das kleinbürgerliche Ideal aus dem 19. Jahrhundert mit einer festen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau reduziert werden. Es komme darauf an, eine Beziehung "verbindlich, verlässlich, verantwortungsvoll und partnerschaftlich zu gestalten".

Jung wies den Vorwurf zurück, die EKD entferne sich damit von den biblischen Grundlagen. Auch in der Bibel gebe es vielfältige Familienformen, sagte er. Dort komme etwa die Mehrfrauenehe vor, die Ehelosigkeit Jesu und dessen Kritik der leiblichen Familie oder die Frauengemeinschaft von Maria und Martha. Es wäre eine Engführung, die biblische Setzung der Ehe zwischen Mann und Frau ausschließlich "biologistisch" zu verstehen. Es komme darauf an, dass Menschen grundlegend aufeinander angewiesen seien und dass sie ihre Beziehung dauerhaft und werteorientiert lebten.

Auch ein pflegendes kinderloses Ehepaar ist eine Familie

Der institutionelle Schutz von Ehe und Familie sei sinnvoll, betonte Jung. Doch die Gestaltung der historisch gebundenen Ehe und Familie müsse heute weiter gedacht werden. Auch eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft könne die guten Eigenschaften einer Ehe aufweisen. Auch ein kinderloses Ehepaar, das eine alte Tante versorge, stelle eine Familie dar. Hier habe die evangelische Kirche ihr Verständnis von Familie weiterentwickelt.

Menschen hätten verschiedene sexuelle Veranlagungen und sollten sich für ihre Lebensform frei entscheiden können, sagte Jung. Die Kommission sei sich einig, dass der Weg zur Gleichberechtigung von Homosexuellen beschritten werden müsse, auch theologisch und liturgisch in der Kirche. So sei die Trauung als Segenshandlung nicht von der sexuellen Orientierung der Lebenspartner abhängig. Dies sei jedoch noch nicht in allen EKD-Mitgliedskirchen akzeptiert.