Foto: istockphoto/Anthony Brown
Gelb, grün, rot, blau: Familie ist bunt. Das ist die Kernaussage der EKD-Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit", die am Mittwoch vorgestellt wurde.
Protestanten skizzieren weit gefasstes Familienbild
Man muss nicht gegen die Homo-Ehe sein, um die Hetero-Ehe zu retten: Vor der Bundestagswahl skizzieren die Protestanten ein weit gefasstes Familienbild, allen voran der Ratsvorsitzende Schneider. Dass es Diskussionen geben wird, weiß er.
19.06.2013
epd
Bettina Markmeyer und Rainer Clos

Drei Monate vor der Bundestagswahl meldet sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit einer Positionsbestimmung zur Familienpolitik zu Wort. Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider stellte das Grundsatzpapier am Mittwoch in Berlin vor. Darin rufen die Protestanten dazu auf, alle Familienformen anzuerkennen und zu stärken. Der Deutsche Familienverband begrüßte das Papier, von konservativen evangelischen Christen kam Kritik.

###mehr-artikel###Schneider umriss die Bedeutung der sogenannten Orientierungshilfe. Es handele sich nicht um ein lehramtliches Schreiben, sagte er, sondern um einen Text, der zur Diskussion anregen solle. Andererseits werde die Position der Protestanten klar formuliert: Alle Familienformen verdienten Respekt. Er erwarte insbesondere aus der katholischen Kirche und der Orthodoxie Kritik an der Auffassung, dass dies aus evangelischer Sicht auch für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften gelte.

Doch man müsse "nicht gegen die Homo-Ehe sein, um die Hetero-Ehe zu retten", sagte Schneider. Zwar sei die Ehe von Mann und Frau mit Kindern "das Modell, das wir wollen", führte er aus: "Dafür werben wir, das empfehlen wir." Aber in der evangelischen Theologie sei die Ehe kein Sakrament, sondern, in Martin Luthers (1483-1546) Worten, "ein weltlich Ding". Aus der Bibel lasse sich zudem nicht die traditionelle Rollenverteilung zwischen Mann und Frau herleiten, die Jahrhunderte lang die Ehe und das Familienbild geprägt habe.

Die Ehe als "weltlich Ding"

Entscheidend seien vielmehr Verbindlichkeit, Dauer, Vertrauen, Gleichberechtigung und die Sorge füreinander. Die evangelische Kirche verstehe es als ihren Auftrag und ihre Aufgabe, alle Familien dem Segen Gottes anzuvertrauen und sie auch im Scheitern zu begleiten.

Die vom Rat der EKD beschlossene Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit - Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken" wurde von einer Expertenkommission unter Vorsitz der früheren Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) seit 2009 erarbeitet. Bergmann betonte, das Leitbild der partnerschaftlichen Familie sollte der Maßstab für kirchliches Handeln bei der Unterstützung von Familien sein.

Vom Staat erwarten die Protestanten eine konsequente Förderung der Familien. Die Erziehung der Kinder, Pflege der Alten und die Fürsorge der Generationen füreinander bilde die unverzichtbare Grundlage gesellschaftlichen Reichtums und Zusammenhalts, heißt es in dem Papier. Daher müsse Familienpolitik als Querschnittsaufgabe und tragende Säule der Wirtschafts- und Sozialpolitik verstanden werden.

"Staat muss Mütter und Väter unterstützen"

Dazu zählte Bergmann ausreichende und gute Kinderbetreuungsangebote, familienfreundliche Arbeitszeiten und zeitliche Freiräume für Familien. Mütter wollten arbeiten, Väter mehr für die Familie tun. Das müsse der Staat unterstützen. Die Sorge für andere müsse gerecht zwischen den Geschlechtern verteilt werden. Sie müsse auch im Steuerrecht und in der Sozialversicherung besser honoriert werden, heißt es in dem Papier.

Der Rat der Evangelischen Kirche zieht in dem Familienpapier einen großen historischen Bogen und dokumentiert auch, wie die deutsche Rechtssprechung der vergangenen 20 Jahre mit dem traditionellen Familienbild gebrochen hat. Der Ratsvorsitzende Schneider sagte, seine Kirche wolle Einfluss nehmen auf die aktuellen Debatten. Er hoffe, das Familienpapier werde sich einmal als "das rechte Wort zur rechten Zeit" erweisen.

Konservative protestieren

Das EKD-Dokument stieß im Lager konservativer Protestanten auf Widerspruch. Der Appell, die neue Vielfalt von Familienformen anzuerkennen, gehe mit einer auffälligen Abwertung des bürgerlichen Ehe- und Familienverständnisses einher, sagte Präses Michael Diener vom Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband in Kassel. Ehe habe keinen Leitbildcharakter mehr, kritisierte der Theologe. Offensichtlich solle jeder Schein einer Diskriminierung der vielfältigen familiären Lebensformen vermieden werden.

###mehr-links###Der Deutsche Familienverband begrüßte das EKD-Grundsatzpapier. "Es ist gut, wenn sich die Kirche an gesellschaftlichen Entwicklungen orientiert", sagte der Bundesgeschäftsführer des Verbandes, Siegfried Stresing, dem epd in Berlin. Zugleich warnte er vor Widersprüchlichkeit. "Noch vor zehn Jahren hat die evangelische Kirche Ehe und Familie sehr klar als Leitbilder vertreten." Wenn sie nun die Vielfalt der Familienformen würdige, müsse sie dies ihren Anhängern sorgfältig erklären.

Mühsame Verständigung

Verständigungsprozesse über Ehe und Familie verliefen in der Vergangenheit nicht immer harmonisch. Ende 1997 ging der Rat der EKD ausdrücklich auf Distanz zu einem Papier, das er von der "Kammer für Ehe und Familie" erbeten hatte. Darin wurde einerseits die institutionelle Eheauffassung sozialethisch und theologisch verteidigt, zugleich aber für ein gleichberechtigtes, am Kindeswohl orientiertes Familienverständnis geworben.

Zwar wurde die Studie mit dem Titel "Gottes Gabe und persönliche Verantwortung" als Debattenbeitrag der Kammer veröffentlicht. Doch der EKD-Rat sah weiteren Klärungsbedarf: Wie steht es um das Verhältnis des Zusammenlebens von Mann und Frau in der Ehe nach christlichem Verständnis und eheähnlichen Lebensformen, lautete eine der strittigen Fragen. Nach 1997 wurde das Themenfeld Ehe und Familie der "Kammer für soziale Ordnung" zugeordnet.

In der 2002 vorgelegten Schrift "Was Familien brauchen" bejaht der Rat der EKD die Vielfalt familiärer Lebensformen. Zugleich hebt das Leitungsgremium hervor, dass die durch Rechtsbeziehungen bestimmte Institution der Ehe geeignete Grundlagen für dauerhafte Verbindlichkeit schaffe. "Auch wenn es in unserer Lebenswirklichkeit verschiedene Formen des Zusammenlebens von Frau und Mann gibt, so ist doch aus evangelischer Sicht die auf Dauer angelegte Gemeinschaft in einer Ehe dafür die geeignetste Form." 2009 legte die evangelische Kirche erneut Orientierungspunkte zu Ehe und Eheschließung vor. Anlass war die Änderung des Personenstandrechts, das religiöse Trauungen ohne vorangehende Eheschließung auf dem Standesamt erlaubt.