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Hände spielen in der Pflege eine große Rolle. Der Umgang mit älteren und kranken Menschen erfordert Sorgfalt und Einfühlungsvermögen. Das ist die Aufgabe der Beschäftigten in den diakonischen und anderen sozialen Einrichtungen. Unser Bild steht hier aber auch symbolisch: In arbeitsrechtlichen Fragen kreuzen Diakonie und Gewerkschaften häufig die Klingen, nun reichen sie sich die Hände und beginnen - zumindest in Niedersachsen - eine neue Partnerschaft.
"Eine neue Form der Sozialpartnerschaft"
Der niedersächsische Diakonie-Vize Jörg Antoine über kirchengemäße Tarifpolitik
Die Diakonie in Niedersachsen will im schwierigen Verhältnis zu den Gewerkschaften ein neues Kapitel aufschlagen. Kirchengemäße Tarifverträge mit ver.di sind das Ziel. Langfristig verfolgen beide Seiten ein ambitioniertes Projekt: Als Sozialpartner wollen sie einen landesweiten Tarifvertrag für alle 425.000 Beschäftigten in der Sozialbranche erreichen.
19.06.2013
epd
Michael Grau

Wie das gelingen kann nach jahrelangem Streit, beantwortet Jörg Antoine, promovierter Jurist und stellvertretender Direktor des Diakonischen Werks der Landeskirche Hannovers, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

###mehr-artikel###Lange hat sich die Diakonie mit ver.di erbittert über die Tarife in der Diakonie gestritten - dann die überraschende Einigung. Wie kam es zu dieser Wende?

Antoine: Der Wendepunkt waren die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom November 2012. Das Bundesarbeitsgericht verlangt eine Beteiligung der Gewerkschaften am kirchlichen Arbeitsrecht. Wir haben das zum Anlass genommen, den Gewerkschaften in Niedersachsen kirchengemäße Tarifverträge anzubieten. Dieses Modell kommt den Gewerkschaften stärker entgegen und ermöglicht eine neue Form der Sozialpartnerschaft. 

Worin unterscheiden sich diese kirchengemäßen Tarifverträge von anderen?

Antoine: Sie sind Tarifverträge, weil Gewerkschaften und diakonische Dienstgeberverbände eine Vereinbarung treffen. Und sie sind kirchengemäß, weil sie den Grundsatz der Dienstgemeinschaft akzeptieren, ohne die Kampfmaßnahmen von Streik und Aussperrung zu einem Ergebnis zu kommen.

Jörg Antoine ist seit 2008 stellvertretender Direktor des Diakonischen Werkes der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.

Ver.di und der Marburger Bund haben eindeutig erklärt, dass sie auch bei kirchlich modifizierten Tarifverträgen auf gar keinen Fall auf das Grundrecht des Streiks verzichten wollen. Wie wollen Sie damit umgehen?

Antoine: Erlauben Sie mir vorab eine Korrektur: Es gibt kein Grundrecht auf Streik. Das hat das Bundesarbeitsgericht nüchtern festgestellt. Es gibt für Arbeitnehmer ein Grundrecht auf Bildung von Koalitionen, also Gewerkschaften, und die sogenannte Koalitionsbetätigungsfreiheit mit dem Ziel, Tarifverträge abzuschließen. Streiks sind hier Mittel zum Zweck, aber nicht Selbstzweck. Aber abgesehen davon: Wir verlangen von ver.di keinen Verzicht auf ihre Grundrechte. Und für eine Einigung muss auch die Kirche nicht auf ihr grundgesetzlich abgesichertes Selbstbestimmungsrecht verzichten. Wir bieten den Gewerkschaften ein Verfahren an, das Streiks nicht erforderlich macht, weil es auf Antrag der Gewerkschaften eine verbindliche Schlichtung gibt. Einen ausdrücklich erklärten Streikverzicht halte ich bei einer abschließenden Regelung der verbindlichen Schlichtung für nicht erforderlich. Das ist der Kern unseres Kompromisses.

"Wer das kirchliche Arbeitsrecht nicht einhält, kann sich auch nicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berufen."

Wie verbindlich ist die Schlichtung?

Antoine: Der Schlichter muss grundsätzlich gemeinsam bestellt werden - er ist also neutral. Und die Dienstgeber müssen den Schlichtungsspruch akzeptieren und einhalten, wenn die Gewerkschaften eine verbindliche Schlichtungsentscheidung beantragen.

###mehr-info###Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Dienstgeber die Entscheidungen des Schlichters einhalten? In der Diakonie hat es doch bereits in der Vergangenheit schwarze Schafe gegeben.

Antoine: Ganz klar ist: Wer das kirchliche Arbeitsrecht nicht einhält, der kann sich insoweit auch nicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berufen. Diese Träger sind bestreikbar. Es gibt aber auch einen entscheidenden Vorteil der kirchengemäßen Tarifverträge: Als Tarifverträge sind sie normativ gültig. Jeder Mitarbeiter kann seine Lohnansprüche vor Gericht selbst einklagen.

Beschreiten Sie in Niedersachsen bundesweit gesehen einen Sonderweg?

Antoine: Wir stehen in Niedersachsen in einer besonderen Situation. Diakonie und Caritas liegen mit ihren Vergütungen 10 bis 30 Prozent über den Wettbewerbern - vor allem bei den Pflegehilfskräften im Verhältnis zu den privaten Trägern. Und die Gruppe der privaten Anbieter hat den größten Marktanteil in Niedersachsen. Wir können höhere Entgelte bei den Kassen nicht durchsetzen, wenn der Wettbewerber erheblich günstiger anbietet als wir. Letztlich brauchen wir einen Tarifvertrag Soziales, dessen wesentliche Inhalte das Land Niedersachsen auch für die tariffreien Wettbewerber für verbindlich erklären kann. Voraussetzung dafür ist, das ihn 50 Prozent der Träger anwenden. Das ist ein sehr ambitioniertes Vorhaben. Aber wir haben gute Voraussetzungen, weil die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen ein gutes Vertrauensverhältnis zueinander haben und die Problematik ähnlich einschätzen.

###mehr-links###Was machen Sie, wenn die Gewerkschaften Ihre Vereinbarung anders interpretieren und nach einem Schlichterspruch, den sie nicht akzeptieren, zum Streik aufrufen?

Antoine: Wenn wir die Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts erfüllen, dann dürfte es für rechtmäßige Streiks in der Diakonie keinen Spielraum mehr geben. Abgesehen davon stünde der Diakonische Dienstgeberverband Niedersachsen nach seiner Satzung für ein kirchenrechtswidriges Verfahren als Vertragspartner nicht zur Verfügung. Ver.di müsste dann zusehen, wie sie mit über 500 Trägern der Diakonie in Niedersachsen zurechtkommt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ver.di so verrückt ist und allein aus ideologischen Motiven heraus die Chance auf einen Flächentarifvertrag Soziales vergibt.