Foto: dpa/Adi Weda
"Ein Zusammenprall der Kulturen"
Warum ein Mohammed-Video die arabische Welt in Brand setzt
Tausende gehen auf die Straße, werfen Brandsätze, verbrennen Flaggen. Die arabisch-muslimische Welt ist in Aufregung. Proteste und gewaltsame Übergriffe auf Botschaften richten sich gegen die USA, Israel und jetzt auch Deutschland. Wieder einmal war eine Beleidigung der Auslöser - ein Video, das den Propheten Mohammed lächerlich macht. Eine Einschätzung dazu von Friedmann Eißler, Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin.
14.09.2012
evangelisch.de

Warum regen sich Muslime in der arabischen Welt so sehr über dieses Video auf ?

Friedmann Eißler: Religion hat in der islamischen Welt einen völlig anderen Stellenwert als bei uns. Wir sind es gewöhnt, Religion als Privatsache zu betrachten. In der islamischen Welt hat Religion einen öffentlichen Stellenwert, und Darstellungen religiöser Inhalte in Form von Bildern, insbesondere Darstellungen des Propheten Mohammed sind verpönt, sind verboten. Das hatten wir ja auch bei der Koranverbrennung. Die Beleidigung des Propheten und die Beleidigung des Wortes Gottes, des Koran, rührt ganz elementare religiöse Gefühle an und wird auch öffentlich zur Debatte gemacht.

Man kann doch aber vermuten, dass die meisten dieser vielen tausend Menschen den Film noch nicht einmal gesehen haben. Steckt nicht noch etwas anderes hinter dieser kollektiven Wut?

Eißler: Da kommt natürlich viel zusammen. Wir hatten den Karikaturenstreit 2006, wir hatten eine Koranverbrennung und jetzt diesen Film. Es ist ja ganz offen am Tag, dass dieser Film ein abscheuliches Machwerk ist, auch völlig dilettantisch, so dass sich hierzulande eigentlich niemand darüber aufregen würde. Bei uns fällt so etwas allerdings unter die Meinungsfreiheit. Wenn bei uns irgendein Spinner darauf kommt, einen Film zu produzieren, so schlecht er auch sein mag, dann gehen wir einfach drüber weg und sagen: Vergiss es. Hier kommt diese unterschiedliche Mentalität zum Tragen: In der arabischen Welt ist es nicht verständlich, dass der Staat nicht einfach sagen kann: Dieser Film muss verboten werden. Es gibt kein Verständnis, dass ein Staat für Meinungsfreiheit auch in diesem Sinne eintreten kann, wenn es religiöse Belange tangiert. In der islamischen Welt wird das in die Öffentlichkeit getragen und nicht so weggesteckt.

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Es kommt hinzu, dass in der islamischen - besonders in der sunnitischen - Tradition und Kultur eine Orientierung an Autoritäten vorherrscht und die Orientierung an der Freiheit des Individuums kaum entwickelt ist. Das ist ein kultureller Unterschied, der sich hier so brisant bemerkbar macht, dass wir hier an diesem Punkt wirklich einen Zusammenprall der Kulturen haben. Die Fassungslosigkeit auf unserer Seite entspricht sozusagen der Empörung auf der anderen Seite, die aber eben auch inszeniert wird: Die breite Masse würde von diesem Film ja gar keine Notiz nehmen. Das heißt, da wird professionell agitiert. Der Film ist ja gar nicht neu, der ist jetzt nicht erst produziert worden, den gibt's schon länger. Ein salafistischer Sender in Ägypten hat das Video aus dem Netz gezogen. Es wird instrumentalisiert, um den Hass auf Amerika und den Westen auf die Straße zu bringen.

Stecken politische Akteure dahinter?

Eißler: Von den Muslimbrüdern wird mit aufgerufen zu den "Demonstrationen". Das ist eine Schwierigkeit für den ägyptischen Präsidenten Mursi, der ja den Muslimbrüdern angehört, der also selber auch auf der religiösen Seite steht. Mursi hat auf die tödlichen Vorfälle spät reagiert. Die Politiker schwanken zu sehr zwischen Vernunftpolitik und unterschiedlich ausgeprägtem Verständnis für die Reaktionen. Häufig wird ja gesagt, da fehlt einfach die Bildung. Wirtschaftliche und edukative Unterstützung wird von unserer Seite tatsächlich weiterhin gefragt sein, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

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Auf der anderen Seite ist es eben nicht nur der ungebildete Mob, der da aufsteht, sondern es sind Akteure aus den intellektuellen islamistischen Eliten, die das geradezu provozieren, um den Hass und die Konfrontation gegen den Westen aufzustacheln. Unter den Muslimbrüdern und den Salafisten wie etwa auch bei der Hamas gehören viele zur intellektuellen Elite in der Region. Es wird bewusst politisch instrumentalisiert, um einem tief greifenden antiamerikanischen Ressentiment Ausdruck zu verleihen: "Die Amerikaner sollen ihre Finger aus unseren Geschäften lassen, wir halten nichts von westlichen Werten, wir haben unsere eigene Identität und klären unsere Angelegenheiten selbst."

Angenommen, das Video würde jetzt gestoppt, man könnte es nirgendwo mehr anschauen, und Washington würde sich öffentlich entschuldigen. Würde dann die Gewalt aufhören?

Eißler: Eine Entschuldigung ist aus unserer Sicht nicht angebracht. Was Amerika getan hat, ist völlig richtig, nämlich zu sagen: "Wir verabscheuen dieses Video, wir haben damit nichts zu tun, aber wir können und wollen selbst derartige Äußerungen nicht einfach verbieten. Das gehört zu unserem westlichen Wertekanon. Wir haben dafür keine Handhabe und wollen auch nicht mit staatlicher Macht alles unterdrücken, was sich satirisch, ironisch oder einfach idiotisch äußert.

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Das heißt eine Entschuldigung ist der falsche Weg, aber ein ganz wichtiger Weg in der Zukunft wäre mehr Glaubwürdigkeit in der westlichen Politik. Denn wir müssen auch daran erinnern, dass der Hass seine Gründe auch im Verhalten westlicher Staaten hat. Demokratische Entscheidungen sind an verschiedenen Stellen im Orient vom Westen nicht akzeptiert worden. Man muss schon an Algerien 1991 erinnern oder die Wahl 2006 bei den Palästinensern, wo eben religiöse Kräfte gewählt wurden. Das wurde im Grunde vom Westen nicht akzeptiert.

Das heißt, die Doppelbödigkeit der westlichen Politik im Orient ist ein grundlegendes Problem, bei dem wir selber gefragt sind. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch klar machen, dass Mord und Totschlag als Reaktionen auf derartige gesellschaftliche Äußerungen völlig inakzeptabel sind, egal wie abstrus oder abartig diese sein mögen. Dem müssen wir uns mit aller Klarheit und aller Bestimmtheit entgegen stellen.

Sehen Sie eine Möglichkeit, diese Aufstände zu beruhigen? Wer könnte das erreichen und mit welchen Mitteln?

Eißler: Ein wichtiges Element könnte und müsste sicher sein, dass politische und religiöse Autoritäten in der islamischen Welt aufstehen und sich unmissverständlich dazu äußern. Zum Beispiel Präsident Mursi, der selber zu den Muslimbrüdern gehört. Sie müssten, so wie das in zaghafter Form von der Al-Azhar-Universität geschehen ist, sagen: "Es ist aus islamischer Sicht nicht hinnehmbar, auf diese Weise damit umzugehen. Wir wollen keine Kritik an unserem Propheten, aber wir reagieren nicht auf diese Weise auf vermeintliche Angriffe. Das ist gar kein Angriff auf den Islam, sondern nichts als ein schlechter Film, lasst es dabei bewenden."