Vergnügungsparks gibt es viele, Events locken an jedem Wochenende. Doch eine Kirchweih auf dem Dorf ist etwas anderes. Die spielt sich am Ort ab, da wo die Menschen wohnen und leben, wo sie zur Schule gehen, Nachbarn haben und oft auch ihre Freizeit verbringen. Vor allem in dörflichen Gebieten ist sie Ausdruck des Heimatgefühls. Ob Kirmes, Kerb, Kirwi oder wie dieses alte Fest sonst je nach Region genannt wird - ein kommerziell ausgerichtetes Fest kann da nicht mithalten. Auch wenn der Vergnügungspark nur aus einem Autoscooter und einem Karussell besteht, hat das Fest seinen eigenen Reiz.
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"Die Kerb gibt es nur hier", sagen etwa die Kerbeborsche aus Marxheim. In dem über 800 Jahre alten Dorf vor dem hessischen Taunus, das heute Stadtteil der Kreisstadt Hofheim ist, hat sich die Tradition der Kerb erhalten und in den vergangenen Jahren neue Impulse durch junge Bewohner erfahren. Zur Kerb kommen auch diejenigen extra nach Hause, die längst in anderen Regionen leben, und zwar jahrgangsübergreifend, wie Uwe Reiter sagt. Der 40-Jährige, selbst vor zwölf Jahren Kerbeborsch, pflegt die Tradition noch immer. Er empfängt zum Beispiel am Montag nach dem Kerbewochenende die Kerbeborsche und -mädchen des Jahrgangs gegen sieben Uhr zu einem frühen oder auch späten Frühstück - je nachdem, wie lange beim Feiern im Zelt durchgehalten wurde.
Auch die Kerb in Marxheim geht auf die Kirchweih zurück. Der Termin wird bestimmt vom Jahrestag der Weihe der großen Pfarrkirche St. Georg am 3. Juni 1862. Der damalige Bischof von Limburg, Peter Joseph Blum, hatte die schriftliche Erlaubnis gegeben, den jeweiligen Jahrestag dieses Ereignisses mit einer Kirchweih zu feiern. Das Wochenende nach dem 3. Juni ist in Marxheim daher auch heute noch von der Kerb bestimmt, und dazu gehören allerlei alte und neuere Traditionen.
Immer mit der "Knottekapp"
Jedes Jahr einen Kerbebaum aufzustellen, ein Festzelt zu errichten den Umzug zu organisieren, ist seit etlichen Jahren gern übernommene Aufgabe der Kerbeborsche. Auch wird jedes Jahr eine neue Fahne geschneidert und bemalt, auf der der selbstgewählte Name und der Jahrgang der Kerbeborsche steht. In diesem Jahr heißen sie "Knoddequetscher" und haben sich damit einen Namen gegeben, der – wie bei vielen Kerbeborschengenerationen zuvor – auf die in der Umgebung von Marxheim angebauten Kirschen ("Knodde") anspielt.
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Mit heißem Herzen sind die um die 20 Jahre alten Jugendlichen bei der Sache. Wenn es etwa darum geht, die Stangen zu binden, die nötig sind, um den Kerbebaum aufzurichten, helfen alle mit. "Bei uns geschieht das noch mit Manneskraft und nicht wie bei anderen mit einem Kran", sagt Maurice Ciomber stolz. Der 22-Jährige ist seit einigen Jahren dabei und auch Mitglied in der Fördergesellschaft Maxemer Kerb, die sich um den Erhalt des Festes kümmert.
Er schätzt an seinem Engagement als Kerbeborsch, dass er mit Menschen in Kontakt kommt, die er sonst vielleicht nie näher kennengelernt hätte, "auch Ältere", wie er betont. Gerade von denen erfahre man viel über alte Traditionen. "Wir geben natürlich auch Tipps, damit die Organisation klappt", sagt Uwe Reiter, der seine "Knottekapp", eine bei jedem Jahrgang andersfarbige flache Mütze, immer zur Kerb trägt.
Nicht nur ein Besäufnis
Der 21-jährige Daniel Küchler bedauert, dass manch einer die Aktivitäten der Kerbeborsche eher kritisch sieht. Das Urteil "die saufen ja nur" halte sich hartnäckig. "Aber viele sehen nicht, wie hart wir in der Vorbereitung arbeiten und dass wir das fürs ganze Dorf tun." Malte Winkler, derzeitiger Vorsitzender des Fördervereins, gibt zu: "Natürlich gehört das Trinken dazu. Wenn wir hart gearbeitet haben, wollen wir auch zusammen feiern." Nicht umsonst hat sich manch frühere Kerbeborschegeneration entsprechend benannt, etwa "Äppelwoischläucher".
Wenn sie sich allerdings um die "Kerbe-Minis" kümmern, ist für die Kerbeborsche Alkohol tabu. Die Kinder ehemaliger Kerbeborsche sind stolz, wenn sie in die Vorbereitungen einbezogen werden und zum Beispiel Kränze binden dürfen. Auch beim Schlackesstopfen sind sie dabei: Die mit Stroh gefüllte Figur, der Schlackes, wird am Kerbebaum ganz oben angebracht und "wacht" über die Kerb, damit nicht etwa die Kerbeborschen des Nachbardorfes den Baum stehlen.
Erstmals gab es in diesem Jahr im Vorfeld der Kerb ein Fest eigens für die Kleinen mit kindgemäßen Spielen und Sport. Neu war auch, dass jedem Mini ein Kerbeborsch als Pate zur Seite gestellt – keine ganz leichte Aufgabe, meint Daniel Küchler: "Die rufen schon mal an und fragen, ob man mit ihnen auf den Spielplatz geht."
"Wer will heute schon einen Hammel im Vorgarten?"
Aber für die Kleinen gilt das gleiche wie für die Großen: "Wir versuchen, bei der Kerb für alle etwas anzubieten." So reicht die Musikauswahl im großen Kerbezelt von Blasmusik über Stimmungsmusik bis hin zu Rockigem. Höhepunkt ist der sonntägliche Umzug mit Beteiligung möglichst vieler Kerbeborschen auch der älteren Generation. Der Kerbehammel wird noch immer an der Zugspitze mitgeführt. Aber er ist nur noch Leihgabe eines örtlichen Bauern. Die früher übliche Versteigerung wurde schon lange aufgegeben, "wer will heute schon einen Hammel im Vorgarten?", fragt Malte Winkler.
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Zwar scheint die Kerb in Marxheim immer noch eine Domäne der jungen Männer zu sein. Doch mittlerweile gehören auch junge Frauen dazu und haben sich ihren Platz als "Kerbemädcher" erobert. Nathalie Nix ist quasi "reingeboren". Opa, Vater und Bruder waren schon dabei, und sie macht genauso begeistert mit.
Immer wieder fällt das Wort "Gemeinschaft", wenn man fragt, was die Kerb so reizvoll macht. "Wir machen alle was zusammen, wir haben Spaß miteinander und fühlen uns hier im Ort wohl." Und bei allem Spaß wird nicht vergessen, wo der Ursprung der Kerb liegt: Der Besuch des Festgottesdienstes am Kerbesonntag ist Pflicht, auch wenn es am Abend vorher ziemlich spät geworden ist.