Literaturwissenschaftler Walter Jens
Foto: dpa/Marijan Murat
Der deutsche Literaturwissenschaftler und Autor Walter Jens im Februar 2003 in seinem Haus in Tübingen.
Ein streitbarer Geist: Walter Jens ist tot
Er galt als moralische Instanz und prägte die Streitkultur der Bundesrepublik: Walter Jens ist nach langer Krankheit gestorben. Der "Redner der Nation" wurde 90 Jahre alt.
10.06.2013
dpa/epd
Wilfried Mommert, Marc Herwig

Der Publizist und Philologe Walter Jens ist tot. Er sei am Sonntagabend im Alter von 90 Jahren gestorben, sagte sein Sohn Tilman Jens am Montag der Nachrichtenagentur dpa. Jens war seit längerem demenzkrank, konnte schon seit Jahren nicht mehr reden und nicht mehr schreiben.

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Der emeritierte Tübinger Rhetorikprofessor und ehemalige Präsident der Berliner Akademie der Künste war in Wort und Schrift als kämpferischer Wächter der Demokratie hervorgetreten und hatte wie kaum ein anderer die tolerante Streitkultur in der Bundesrepublik geprägt. Viele sahen in Jens (wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) zum 85. Geburtstag) eine "moralische Instanz" und einen engagierten Demokraten. Die Berliner Akademie der Künste ehrte ihn als einen Autor, Rhetoriker und Kulturpolitiker, der Geschichte geschrieben habe.

Intellektuelle müssten sich einmischen und warnen, lautete sein Credo. Der gläubige Christ galt als die Verkörperung des klassischen "homme de lettre" und war gleichzeitig ein engagierter Radikaldemokrat in Gestalt des ungemein belesenen "gelehrten Dichters".

 Bestseller-Autor und Fußball-Fan

Er demonstrierte gegen die Nachrüstung in der Bundesrepublik ebenso wie gegen den Irak-Krieg und meldete sich auch zur Rechtschreibreform und zur deutschen Einheit zu Wort. "Juden und Christen in Deutschland" und "Feldzüge eines Republikaners" heißen Werke von Jens und könnten für sein Leben stehen, das er in den Dienst der Aufklärung stellte. Ein Schatten fiel auf seine Vita, als 2003 seine NSDAP-Mitgliedschaft bekannt wurde, an die er sich nach eigener Aussage nicht mehr erinnern konnte.

Von 1963 bis 1988 hatte Jens den bundesweit ersten Lehrstuhl für Allgemeine Rhetorik an der Eberhard-Karls-Universität-Tübingen inne. Von 1976 bis 1982 war er Präsident des PEN-Zentrums der Bundesrepublik und von 1989 bis 1997 Präsident der Berliner Akademie der Künste, deren Ehrenpräsident er wurde.

Seit 1947 schrieb Jens Romane, Essays, Dramen und Hörspiele und gehörte der legendären Schriftsteller-"Gruppe 47" an. Er erzählte die Odyssee nach, übersetzte den Römerbrief des Neuen Testaments, widmete sich dem "Fall Judas" und schrieb zuletzt zusammen mit seiner Frau Inge Jens, die auch die Tagebücher von Thomas Mann edierte, die Bücher "Frau Thomas Mann" und "Katias Mutter", die Bestseller wurden. Der leidenschaftliche Fußballfan war zeitweise auch als Fernsehkritiker "Momos" in der "Zeit" tätig.

Gauck würdigt den "Gelehrten" Walter Jens

Bundespräsident Joachim Gauck hat die Verdienste des verstorbenen Gelehrten Walter Jens gewürdigt. "Er vermochte es, der Redekunst in Deutschland wieder einen Platz zu verschaffen, nachdem sie von Propaganda, Lüge und Verführung verdorben worden war", schreibt Gauck in einem am Montag veröffentlichten Beileidsschreiben an die Witwe Inge Jens. Deutschland habe einen herausragenden akademischen Lehrer und einen Professor in des Wortes wahrster Bedeutung verloren. Gauck fügte hinzu: "Durch seine hohe sprachliche Kunst wurden die Gegenstände zum Leuchten und zu ihrer tieferen Wahrheit gebracht."