Die eigenen vier Wände – dazu gehört mehr als der Hausrat, den ich brauche. Mehr als Bett, Zahnbürste und Fernseher. In den eigenen vier Wänden steckt alles, was mir lieb ist.
###mehr-personen###Viele Erinnerungen hängen daran und oft auch viel Arbeit, denn ich habe mir ja Mühe gegeben mit meinem Zuhause. Es soll der Ort sein, wo ich mich wohl fühle, geschützt und aufgehoben angesichts der täglichen Herausforderungen draußen im feindlichen Leben.
Darum ist es viel mehr als ein materieller Schaden, wenn das Hochwasser kommt und mir das Heim zerstört. Ich verliere auch das Nest, das mein Leben zusammenhält. Chaos bricht ein und ich bin ihm ausgeliefert. Und selbst wenn es die eigene Wohnung nicht betrifft, sondern den Laden, den man mit Liebe ausgestattet hat und wo man täglich arbeitet – es lässt sich nicht in Euro aufrechnen, was da kaputt geht. All die vergebliche Mühe – und dann auch all die Pläne und Vorhaben, die man jetzt erst mal vergessen muss. Unzählige kleine und große Dramen, die nun in den überfluteten Städten und Dörfern bewältigt werden müssen, unzählige aus der Bahn geworfene Lebensläufe.
Bewunderungswürdig, wie wenig die Betroffenen klagen. Bewunderungswürdig etwa die Ladenbesitzerin, die ins Mikrofon sagt: "Wir halten zusammen – und dann geht’s eben weiter." Wir halten zusammen. Das ist, vermute ich, die besondere Erfahrung, die viele Menschen in dieser großen Notsituation nun auch machen.
###mehr-links###Man ist plötzlich nicht mehr so weit voneinander weg wie sonst alle Tage. Der Streit mit der Schwiegermutter, die dicke Luft zwischen den Nachbarn, der Ärger mit der Kollegin, die ganzen Vorbehalte, die man sonst so gegeneinander hegt – sie sind egal, wenn es darum geht, Säcke zu schleppen, Möbel zu retten, Wasser zu schöpfen und endlich auch den furchtbaren Dreck zu beseitigen.
Unsere Lebensnester sind gefährdet
Ein paar Tage lang ist die Seele frei von Beziehungsproblemen aller Art. Ein paar Tage lang sind alle vereint in der gemeinsamen Aufgabe, der Naturgewalt zu trotzen. Nicht nur in der Familie und in der Nachbarschaft, nein, in Stadt und Land ist man sich jetzt nah.
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Und dieses Zusammenhalten, das schützt auch, das gibt auch Halt – so wie es die eigenen vier Wände sonst tun. Man merkt vielleicht: Wenn ich mit den andern verbunden bin, dann brauche ich gar nicht so viel Eigenes. Die Tür, die ich hinter mir zumachen kann, ist nicht mehr ganz so wichtig, wenn es einen elementaren Zusammenhalt zwischen uns gibt.
Nur wird der wieder aufhören. Wenn das Wasser sich verlaufen hat und der gröbste Dreck beseitigt ist, sitzt jeder mehr oder weniger allein da mit seinen Versicherungsanträgen, seinen Verlusten, den geplatzten Plänen. Es gibt die Einen, die es mit der Entschädigung gut hinkriegen und die andern, die lange nicht mehr auf die Beine kommen. Es gibt wieder Streit und Kummer und Kampf um die eigenen Interessen. Im Kleinen wie im Großen. Landwirte und Naturschützer, Landesregierung und Kommunen werden sich wiederum nicht einig sein, wie der Schutz vor dem Hochwasser zu realisieren ist. Obwohl es doch auch hier um die gemeinsame Aufgabe geht, der Naturgewalt zu trotzen. Man müsste doch auch zusammenhalten können, um die Katastrophe zu vermeiden. Aber damit tut sich die menschliche Natur schwer.
Als Christen ist uns in diesem Jahr ein Bibelwort als Jahreslosung ans Herz gelegt, das auf beinah unheimliche Weise die Flutkatastrophe kommentiert: "Wir haben hier keine bleibende Stadt, aber die zukünftige suchen wir." (Hebräer 13,14). Eine Einladung, auch ohne Hochwasser daran zu denken, dass unsere Lebensnester gefährdet sind. Eine Einladung, mehr auf den Zusammenhalt zu setzen, der uns nicht nur in der Not tragen kann, sondern auch in eine gute, gemeinsame Zukunft.