"Behüte meine Familie und mich auf unserer Reise und lass uns wohlbehalten zurückkehren": Dieses Gebet schrieb ein Autofahrer vor wenigen Tagen in das Anliegenbuch der Autobahnkapelle Hamm. Rund um die Uhr kehren Urlauber, Geschäftsreisende oder Trucker dort am Rand der A2 ein, um zu beten, eine Kerze anzuzünden oder einfach in Ruhe nachzudenken. Die Kapelle an der Raststätte Hamm-Rhynern ist eine von 40 Autobahnkirchen in Deutschland, die erste wurde 1958 eröffnet. Zu Beginn der sommerlichen Reisesaison machen sie am 16. Juni mit dem "Tag der Autobahnkirchen" auf sich aufmerksam.
"Tankstelle für die Seele" nannte der ehemalige Präses der westfälischen Kirche, Alfred Buß, die Autobahnkapelle Hamm bei ihrer Eröffnung im Advent 2009. Wer hier Andacht halten will, betritt tatsächlich eine ehemalige Tankstelle. Beim sechsstreifigen Ausbau der A2 wurde die Tankanlage aus dem Jahr 1947 durch eine moderne ersetzt. Seit 2005 stand sie leer.
Gelebte Religiosität in der mobilen Gesellschaft
Der Bund suchte als Eigentümer dringend eine neue Nutzung für das denkmalgeschützte Gebäude. Der Architekt des Evangelischen Kirchenkreises Hamm, Lutz Thomas Kusch, brachte die Idee einer Autobahnkapelle ins Gespräch. "Es gab weit und breit kein solches Angebot - trotz der Nähe des verkehrsreichen Kamener Kreuzes", sagt Kusch. Auch hätten sich die Formen gelebter Religiosität in der mobilen Gesellschaft geändert, und die Kirche müsse diesen Weg mitgehen.
Ein eigens gegründeter ökumenischer Förderverein sammelte die Spenden für den Umbau des Tankstellen-Innenraums zur Kapelle. Für die Sanierung der Gebäudehülle und die neu gestalteten Außenanlagen kam der Bund auf, den laufenden Unterhalt trägt der Kirchenkreis aus dem Verkauf der Kerzen. "Solche Initiativen vor Ort sind typisch für neue Autobahnkirchen-Projekte", sagt Birgit Krause von der Bruderhilfe-Akademie (Kassel). Die Akademie der Versicherer im Raum der Kirchen organisiert die Vernetzung der Kirchen und Kapellen und veranstaltet die jährliche ökumenische Konferenz der Autobahnkirchenpfarrer.
Die Kriterien für die Anerkennung als Autobahnkirche sind genau festgelegt: Die Gotteshäuser dürfen maximal einen Kilometer von der nächsten Abfahrt entfernt sein und müssen einen Mindestabstand von 80 Kilometern zur nächsten Autobahnkirche einhalten. Wichtig sind auch ausreichend Parkplätze und eine Mindestöffnungszeit von 8 bis 20 Uhr.
Mit Sondergenehmigung per Fahrrad
In Hamm können Reisende Tag und Nacht Zwiesprache mit Gott halten. Lastwagenfahrer hatten anfangs beklagt, dass "immer schon zu" sei, wenn sie endlich Feierabend hätten, erzählt Lutz Thomas Kusch. Die Erfahrungen mit der 24-Stunden-Öffnung seien positiv: "Es hat nie Vandalismus gegeben und gestohlen wurde auch nichts."
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Die ehrenamtliche Küsterin Hella Döring-Reinold schaut täglich nach dem Rechten. Sie räumt auf, macht sauber und sorgt für frische Blumen auf dem Altar. "Die Kapelle ist mein Kind geworden", sagt die Seniorin, die mit Sondergenehmigung per Fahrrad die Kapelle ansteuern darf.
Oft seien es Freiwillige, die den Betrieb einer Autobahnkirche am Laufen hielten, bestätigt Birgit Krause. Etwa 20 der bundesweit 40 Gotteshäuser an Schnellstraßen seien zugleich Gemeindekirchen. "Dort kümmern sich die Ortspfarrer und hauptamtlichen Küster, und es finden regelmäßig Sonntagsgottesdienste statt." Wenn sich Gruppen anmelden, stehen auch in Hamm Pfarrer für Andachten zur Verfügung.
Ein Raum, um Menschen zu entschleunigen
Besucher der Kapelle in Hamm finden im Innenraum eine Holzkonstruktion vor, die durch ihre knapp sieben Meter Höhe beeindruckt. Den Altar haben Schmiede der Abtei Königsmünster aus wetterfestem Baustahl gestaltet, ebenso das Lesepult mit dem Anliegenbuch, den Kerzenleuchter und drei Sitzbänke. Die Gestaltung, die auf einen studentischen Wettbewerb der Universität Kassel zurückgeht, sei bewusst einfach gehalten, sagt Architekt Kusch. "Man soll sich hier auf Gott konzentrieren können. Dieser Raum ist dazu da, Menschen zu 'entschleunigen'."
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Die Autofahrer an der A2 nehmen dieses Angebot immer stärker an. 2012 stieg die Zahl der Besucher in Hamm-Rhynern von 12.000 auf 20.000. Bibeln liegen in deutscher, polnischer, russischer, albanischer, englischer und spanischer Sprache aus.
Insgesamt besuchen jährlich rund eine Million Reisende die deutschen Autobahnkirchen. Die anhaltende Beliebtheit ermutigt zu neuen Projekten: Nachdem an der A45 in Wilnsdorf bei Siegen Ende Mai eine Kapelle für Fernfahrer eröffnet wurde, ist dieses Jahr eine weitere Einweihung im thüringischen Bibra geplant. Und zur ersten Autobahnkirche am Berliner Ring wird derzeit die evangelische Dorfkirche von Zeestow in Brandenburg umgebaut - sie soll 2014 in Betrieb gehen.