Ambulanz in einem Slum in Indien
Foto: epd/Denis Meyer
In der Ambulanz der indischen Hilfsorganisation Howrah South Point kümmert sich der schweizer Arzt Benjamin Preiswerk im Auftrag der "Ärzte für die dritte Welt" um kranke Slumbewohner.
Chronisch krank im Elendsviertel
Viel Fett, wenig Vitamine, kaum Bewegung: Krankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt und Krebs breiten sich auch in Entwicklungsländern aus. Das trifft nicht nur Wohlhabende, sondern auch die Armen: Eine neue Herausforderung für die Gesundheitssysteme.
23.07.2013
epd
Gesine Kauffmann

Es ist ein trauriger Rekord: In Indien leben derzeit etwa 50 Millionen Diabetes-Kranke, die meisten weltweit. Und die Tendenz ist steigend. Der Wirtschaftsaufschwung hat dafür gesorgt, dass immer mehr Frauen und Männer einen westlich geprägten Lebensstil haben: Sie sitzen lange im Büro, haben keine Zeit, Sport zu treiben oder gesundes Essen zu kochen. Pizza und Burger stehen hoch im Kurs, Coca-Cola gilt als cool.

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Das sind die besten Voraussetzungen dafür, dass der Blutzuckerstoffwechsel entgleist. Wer an Diabetes-Typ 2 leidet und nicht behandelt wird, kann einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erleiden, blind werden oder aufgrund von mangelnder Durchblutung Gliedmaßen verlieren. Doch längst ist Diabetes keine Wohlstandskrankheit mehr. Laut dem indischen Gesundheitsministerium hat sie auch in den Slums von Millionenstädten wie Chennai (Madras), Bangalore und Neu-Delhi Einzug gehalten.

In den städtischen Armenvierteln bewegen sich die Menschen ebenfalls zu wenig. Sie essen zwar nicht zu viel, aber ungesund - Frittiertes ohne Vitamine, dafür mit viel Fett. Allerdings haben sie weit weniger Chancen als die Diabetiker in der Mittel- und Oberschicht, dass ihre Krankheit erkannt und behandelt wird. Symptome wie Müdigkeit, Schwäche, Sehstörungen und die Neigung zu Infekten sind unspezifisch, und der Gang zum Arzt ist teuer.

Chronische Krankheiten belasten die Wirtschaft

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bedrohen vier nicht übertragbare Krankheiten die Gesundheit der Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern: Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Schlaganfall, Herzinfarkt), Krebs und chronische Atemwegserkrankungen (Bronchitis, Asthma). Zusammen waren sie 2010 Ursache für zwei Drittel der weltweiten Todesfälle - das waren 34,5 Millionen. 80 Prozent davon ereigneten sich in Ländern mit geringem oder mittlerem Einkommen, und jeder dritte traf eine Frau oder einen Mann unter 60 Jahren.

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Damit haben diese vier Leiden die Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und Aids als Haupttodesursachen abgelöst. Die Studie über globale Krankheitslasten, die im Dezember vom US-Institut für Gesundheitsmessung und Evaluierung veröffentlicht wurde, bestätigt diesen Trend. Die Daten zeigen aber zugleich große Unterschiede. Besonders in Afrika südlich der Sahara bedrohen weiter vor allem Aids, Malaria, Lungenentzündung, Durchfall und Unterernährung das Leben der Menschen. Doch das könnte sich bis 2030 grundlegend ändern.

Die Zunahme chronischer Krankheiten ist auch eine Folge der höheren Lebenserwartung, aber sie belastet die Wirtschaft armer Länder erheblich. Arbeitskräfte fallen aus, weil Menschen früh an Krebs oder Herzinfarkt sterben. Doch besonders hoch ist der Druck auf das Gesundheitssystem. "Patienten mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen als Folge davon müssen über einen langen Zeitraum behandelt und zuverlässig mit Medikamenten versorgt werden", sagt die Direktorin des Deutschen Institutes für Ärztliche Mission, Gisela Schneider.

Krankenversicherungen im Tschad und im Kongo

Der Blutdruck ist einfach zu kontrollieren und, falls nötig, mit einem Medikament zu senken. Insulin hingegen muss gekühlt und manchen Diabetes-Kranken täglich gespritzt werden - das ist in abgelegenen Gegenden ohne Strom kaum machbar. Die Diagnostik und Behandlung von Krebs schließlich stecke in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern noch in den Kinderschuhen, sagt Schneider. 

Chronische Krankheiten offenbaren eine weitere Schwäche in den Gesundheitssystemen armer Länder: Die wenigsten Menschen dort sind krankenversichert. In Nigeria sind es weniger als vier Prozent der über 160 Millionen Einwohner. Und in den Krankenhäusern der Metropole Lagos kostet ein Blutdruck-Check umgerechnet rund fünf Euro. Die Regierung will nun per Gesetz einen kostenlosen Zugang zu Basisgesundheitsdiensten zu schaffen, darunter zur Diagnose und Behandlung von hohem Blutdruck.

Schneider hält die Einführung staatlicher Versicherungen für immer dringlicher. Gemeinsam mit Partnern hat ihr Institut im Tschad und im Kongo bereits lokale Versicherungen aufgebaut. "Bei den Menschen wächst das Bewusstsein, dass das nötig ist. Sie sind bereit, Geld für ihre Gesundheit auszugeben", sagt sie. Die Regierungen müssten jedoch dafür sorgen, dass die Systeme aufrechterhalten und die Beiträge und Leistungen miteinander in Einklang gebracht werden.