Foto: Michael Lenz
Geister können nicht um die Ecke biegen
Religion, Spiritualität und Tourismus auf Bali
Viele ausländische Touristen kommen nach Bali, um im Urlaub Yogakurse zu belegen oder sich spirituellen Aktivitäten hinzugeben. Um welche Religion und Spiritualität geht es?

Sie sind auf Bali einfach überall, diese kleinen, viereckigen Körbchen aus Palmblättern. Gefüllt mit Blumen stehen die Canang Saris auf Straßenkreuzungen, auf Geldautomaten, am Strand, auf Türschwellen, auf Mopedsitzen, vor heiligen Schreinen und natürlich in den vielen, vielen Tempeln Balis. "Überall leben Götter und Geister. Die besänftigen wir mit den Canang Saris", erklärt Wayan, die auf dem Morgenmarkt in Legian diese Opfergaben herstellt und verkauft.

Canang Saris begegnet man auf Bali überall.


Was oberflächlich einfach hübsch und dekorativ wirkt, ist in Wirklichkeit ein religiöses Kunstwerk zur höheren Ehre der Götter. "Rote Blumen weisen in den Süden und repräsentieren Brahma, gelbe für Mahadeva zeigen gen Westen, weiße als Symbol für Iswara weisen nach Osten und die blauen Blüten für Vishnu nach Norden", erklärt die 36-jährige. Weitere Zutaten wie Betelblätter, Betelnuss, Tabak, Limonen, Gambir und gehäckselte Pandanusblätter symbolisieren die Trimurti, die drei höchsten Götter im Hinduismus. Hinzu kommen noch ein Bündel Räucherstäbchen, deren süßlicher Rauch die Opfergaben hinauf in den Himmel zu den Göttern trägt.

Die Canang Saris sind der alltäglichste Ausdruck der tiefen Religiosität und Spiritualität der hinduistischen Balinesen. Die floralen Opferschälchen sind auch zu einem Erkennungszeichen für Balis Ruf als gelobtes Land des "Spirituellen Tourismus" geworden. "Gut 20 Prozent der ausländischen Touristen kommen nach Bali, um während ihres Urlaubs Yogakurse zu belegen, religiöse Sehenswürdigkeiten zu besuchen oder sich andere spirituellen und heilenden Aktivitäten hinzugeben", heißt es in einer Untersuchung der balinesischen Ablegers der Vereinigung der indonesischen Tour- und Reiseagenturen.

Heiler, Wahrsager und Sterndeuter seit neun Generationen

Ketut Liyer macht den Ruhm zu Geld, den ihm die Autorin Elizabeth Gilbert durch ihren mit Hollywoodstar Julia Roberts verfilmten Bestseller "Eat Pray Love" beschert hat. Busweise strömen Balibesucher in das Dörfchen Pengosekan, um sich von dem 98-jährigen für 25 US-Dollar die Zukunft prophezeien zu lassen. Geduldig warten Touristen aus Japan und Korea, Indien und Deutschland Schlange im Hof des typisch balinesischen Anwesens aus mehreren Einzelgebäuden, Tempelchen und Geisterschreinen auf ihre Zukunft.

Ketut Liyer liest einem Besucher die Zukunft aus der Hand.

Reich verzierte Vogelkäfige als Zeichen des Wohlstands baumeln von goldenen Dachrändern, im üppigen Garten blühen Orchideen, Hibiskussträuche und Frangipanibäume.

Ketut ist jedoch beileibe kein Scharlatan, sondern vielmehr ein weiser Mann, ein spirituelles und medizinisches Allroundgenie. Die Balinesen kommen früh morgens zu ihm, wenn die Touristen noch beim Frühstück sitzen. Seit neun Generationen ist seine Familie als Heiler, Wahrsager und Sterndeuter aktiv. Krankheiten gelten den Balinesen als Zeichen, dass Körper und Seele, die weltliche Welt und die spirituelle Welt, aus dem Gleichgewicht geraten sind. Durch Opfer, Gebete, komplexe Rituale, aber auch Massage und traditionelle Medizin vertreiben Heiler wie Ketut böse Dämonen, rufen den Beistand guter Götter herbei und stellen so die Balance, ein grundlegendes Prinzip der balinesischen Kultur und Gesellschaft, wieder her.

Uralte Tradition der Massagen und Meditation

Über viele Jahrhunderte haben die Balinesen ihre umfassende Heilkunst aus dem Zusammenspiel des balinesischen Hinduismus und der alten Naturreligionen entwickelt und auf langen, schmalen Streifen aus Blättern der Lontarpalme in balinesischer Schrift das uralte Wissen über Körper und Geist, Götter und Geister, Sterne und Natur eingeritzt. Die Seiten zwischen Einbänden aus Bambusstreifen sind wie eine Jalousie mit Schnüren verbunden und lassen sich auch wie eine solche auseinanderziehen. Ketut Liyer besitzt gut 30 solcher Bücher. Er öffnet ein Lontar und sagt stolz: "Das ist sicher 100 Jahre alt."

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Es ist diese uralte Tradition der Massagen und Meditation, des Heilens und der Magie, der Götter und Dämonen die in unseren Tagen Balis Ruf als Hochburg des Wellnessurlaubs und des spirituellen Tourismus begründet hat. Es gibt wohl vom westlichen Tarot bis zum indischen Yoga keine esoterische Kunst, die auf Bali nicht für gutes Geld angeboten wird. Spas, Massagesalons, Yogaschulen, Naturheilpraxen sind auf Bali so häufig wie Sand am Strand von Kuta und man fragt sich unwillkürlich: sind all diese Masseure, Magier und Heiler wirkliche Meister ihres Faches?

Wayan Wijayasa räumt ein, dass es um die Fähigkeiten der Heiler, Yogalehrer und Masseure in Balis boomenden Tourismusmarkt für Wellness und Spiritualität nicht immer zum Besten steht. Aber der Experte für spirituellen Tourismus von der "Tourismusakademie Denpasar" gibt zu bedenken: "Kann man spirituelle Produkte wirklich mit Gütesiegeln versehen?" Letztlich müsse jeder selbst sich den Guru, Heiler, Masseur oder Wahrsager seines Vertrauens suchen.

"Wenn zehn Leute zum Gottesdienst kommen, können wir froh sein"

Mit den vielen Menschen aus allen Teilen Indonesiens, die es auf der Suche nach Arbeit in das boomende Bali zieht, sind auch Allah, Buddha und der Christengott auf der Götterinsel heimisch geworden. Für das seelische Wohl auf Bali lebender Deutscher ist Uwe Schaal zuständig. Der Pastor der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Jakarta lädt ein Mal pro Monat gemeinsam mit seinem deutschen katholischen Kollegen zum Gottesdienst auf Bali ein. Der für Ende Mai geplante Gottesdienst wurde allerdings mangels Interesse abgesagt.

"Wenn zehn Leute zu den Gottesdiensten kommen, können wir schon froh sein. Für weniger kann ich kaum noch eine Wochenendreise nach Bali rechtfertigen. Immerhin lebt die Gemeinde fast ausschließlich von Spenden der Mitglieder", seufzt Schaal. Ein Gottesdienst pro Monat aber ist zu wenig, um ein aktives Gemeindeleben zu fördern. Mehr Zeit hat Schaal aber nicht und auf Bali fehlt es an Gemeindemitgliedern, die ehrenamtlich Gemeindeaktivitäten organisieren. "Viele Deutsche hier sind mit Indonesierinnen verheiratet und gehen mit ihren Frauen lieber in indonesische Kirchen", weiß Schaal.

Ein solcher ist Detlef Kleiss. Als der Pächter des deutschen Restaurants "Mama’s" in Kuta vor einigen Jahren seine muslimische Liebste heiraten wollte, waren religiöse Mischehen in Indonesien noch nicht möglich. "Ich wollte auf keinen Fall zum Islam übertreten, also ist meine Frau zum Christentum konvertiert, obwohl ich damals mit Kirche nichts am Hut hatte. Nun konnte ich ja schlecht von meiner Frau verlangen, Christin zu sein und das auch zu praktizieren, und selbst nicht zur Kirche zu gehen." Also wurde Kleiss zum regelmäßigen Kirchgänger, ist inzwischen gar im Gemeindevorstand und fühlt sich in seiner protestantischen indonesischen Kirche rundum willkommen und aufgehoben.

Alles hat eine Bedeutung, nichts ist zufällig

Bali hat mehr Tempel als Rom Kirchen. Eine kleine Tempelanlage mit Schreinen für Geister, Götter, Dämonen und Vorfahren gehört zu jedem Haus. Zu jedem Tempelbesuchen werfen sich die Balinesischen in ihre traditionellen Gewänder. Frauen in farbenprächtigen Sarongs und Spitzenblusen balancieren geschickt mit Bananen, Ananas, Reis, Räucherstäbchen und Blumen beladene Opferschalen auf ihren Köpfen und tragen sie mit würdevollen Schritten zum Tempel. Das gebatikte Wickeltuch wird auch von Männern getragen, die ihren Kopf mit einer Art Turban bedecken, den Udeng, der über der Stirn zu einer kecken Schleife hochgebunden ist.

Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwo auf Bali ein hinduistisches Fest gefeiert wird. Manchmal überkommt einen der Gedanke, all diese prächtigen Prozessionen und Opferzeremonien seien eigens von cleveren Eventexperten für Touristen inszeniert. Das stimmt natürlich nicht. Die Balinesen lassen sich bloß nicht durch Massentourismus, Facebook und Smartphones von ihrer Religion abbringen. Jede Geste, jede Mimik, selbst die Falten eines Sarongs, alles hat eine Bedeutung, nichts ist zufällig. Auch nicht die quadratische Form der Canang Saris. Wayan grinst und sagt: "Geister können nicht um Ecken biegen."