Julien, drei Monate, Kongolese. Sein Vater: Rebell und Vergewaltiger. Seine Mutter: Bäuerin und Gewaltopfer. Ihr Schicksal teilt sie mit unzähligen Frauen im Ostkongo, wo Vergewaltigung als Kriegswaffe bitterer Alltag ist.
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"Es war auf dem Rückweg vom Feld, ich wollte noch zum Markt", berichtet Kavira Mulamu. "Da griffen mich mit Macheten bewaffnete Männer an. Einer tat mir Gewalt an." Die Hände der mädchenhaften 24-Jährigen zittern, als sie im Krankenhaus ihre Geschichte erzählt. "Ich fühlte mich schrecklich, schmutzig, benutzt. Aber ich ging nach Hause und schwieg."
Doch nach einigen Monaten begann sich Mulamus Bauch zu wölben. Das Verbrechen wurde offensichtlich. Erst jetzt suchte die junge Frau Hilfe. Sie flüchtete sich ins Fepsi-Krankenhaus in Butembo. Hier finden Vergewaltigungsopfer medizinische Versorgung und menschlichen Beistand, seit eine Gruppe engagierter Frauen angesichts des ausufernden Leidens im Jahr 2000 den Zufluchtsort Fepsi gründete. Unterstützt wird das Gesundheitsprojekt mittlerweile auch von der Welthungerhilfe, doch das Budget bleibt knapp.
Alltägliche Angst vor Soldaten und Rebellen
Verlässliche Zahlen zu Vergewaltigungen gibt es nicht. Die Dunkelziffer ist unermesslich. Doch wo schon der Gang zum Wasserholen oder Holzsammeln ein enormes Risiko ist, lässt sich das Ausmaß der Gräuel erahnen. Nicht nur die Kämpfer der verschiedenen Milizen und Rebellengruppen, die im Ostkongo um Macht und Pfründe ringen, sondern auch Regierungssoldaten sind die Täter. Die in der Region tätige US-Hilfsorganisation Heal Africa geht von mehreren hunderttausend Vergewaltigungsfällen pro Jahr im Kongo aus.
"In diesem vielschichtigen Konflikt sind die Körper der Frauen das Schlachtfeld", betont Heal Africa. Frauen gelten als Stütze der Familie und der Gemeinschaft, erklärt das Hilfswerk. "Den Körper einer Frau zu zerstören, bedeutet, das Gewebe der Familie in Stücke zu reißen, was zum Zerfall der Sozialstruktur der Gemeinschaft führt."
"Es ist nicht verwunderlich, dass Frau Mulamu den Überfall verschwiegen hat", sagt Esperance Masika, die psychologische Betreuerin im Fepsi-Projekt. "Vergewaltigung gilt als Schande für die Frauen. Sie hatte Angst vor Ausgrenzung und Vorwürfen." Zu Recht: Mulamus Mann verstieß sie. Dass er nicht der Vater sein konnte, war klar. Er war zu der Zeit unterwegs. Kavira Mulamu schaut zu Boden.
Von der Gemeinschaft allein gelassen
Zwar arbeitet Fepsi mit angesehenen Frauen in den Dörfern zusammen, die die Gemeinschaften zu überzeugen versuchen, die Opfer wieder aufzunehmen. Aber Widerstand und Vorurteile sind nicht leicht zu überwinden. Und auch die Angst vor neuer Gewalt ist ständiger Begleiter der Opfer. Mulamu zumindest traut sich nicht zurück.
Bei Masika und einem Psychologen findet die traumatisierte Frau langfristige Hilfe. Vier bis fünf neue Vergewaltigungsopfer kommen allwöchentlich zur Therapie, fast alle sind Frauen. Männer wagen sich nur zu Fepsi, wenn sie wirklich schwer verletzt sind. Denn sollten Freunde und Nachbarn von dem erniedrigenden Verbrechen erfahren, wäre dies das gesellschaftliche Aus.
Das Vergewaltigungskind lieben lernen
Kavira Mulamus Augen sind matt, als das schreckliche Erlebnis wieder hochkommt. Doch als sie den kleinen Julien ansieht, zieht ein schwaches Leuchten ein. Auch dafür hat Fepsi gesorgt: "Wir bereiten die Frauen auf ihre Babys vor und machen klar, dass die Kinder nichts für das Verbrechen können", sagt Masika. Auf die Frage, ob sie für Julien das Gleiche empfinde wie für ihre drei älteren Kinder, antwortet die zierliche Mutter mit einem klaren Ja.
Julien, drei Monate, Vergewaltigungskind. Sein Vater: ohne Bedeutung. Seine Mutter: immer für ihn da. Kavira Mulamu schaut in das zarte Baby-Gesicht mit dem weiß-roten Mützchen. Sie drückt Julien an sich: "Ich liebe ihn."