"Ohne Musik würde ein Kind kommunikativ verarmen", sagt Fredrik Vahle.
Foto: Michael Wendler/modular
"Ohne Musik würde ein Kind kommunikativ verarmen", sagt Fredrik Vahle.
Liedermacher Fredrik Vahle: "Ich bin gar nicht so musikalisch!“
Auf evangelisch.de geht es im Moment viel um's Singen: Wir suchen den Chormeister 2013 und haben auf dem Kirchentag mit "VIelklang" das Evangelische Gesangbuch in den Mittelpunkt gestellt. Doch welche Bedeutung hat Singen überhaupt, vor allem für die Entwicklung von Kindern? Liedermacher Fredrik Vahle macht seit vierzig Jahren Musik für Kinder, Lieder wie Anne Kaffeekanne, der Katzentatzentanz, der Cowoboy Jim aus Texas haben ihn berühmt gemacht. Ein Interview mit dem Sänger.
12.06.2013
evangelisch.de

Herr Vahle, seit etwa vierzig Jahren beschäftigen Sie sich mit Kindermusik – sowohl praktisch als auch wissenschaftlich. Was macht für Sie ein gutes Kinderlied aus?

Fredrik Vahle: Es gibt nicht das Kinderlied. Es gibt ganz verschiedene Bedürfnisse bei den Kindern, die auf unterschiedliche Weise durch Lieder beantwortet, in Gang gesetzt oder ausgedrückt werden können: Bedürfnisse nach Lebensfreude, Neugier auf die Welt und alles, was damit zusammenhängt. Nicht nur Positives, auch Trauer oder traurige Gefühle, je nach dem. Das sind manchmal auch ganz existentielle Dinge – Fragen nach dem Sinn des Lebens, zum Beispiel.

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Was bedeutet Musik und Singen für die Entwicklung von Kindern?

Vahle: Sprache fängt mit Musik an. Um zu sprechen, braucht es eine basale Musikalität. Die ist wichtig, damit Kinder überhaupt in Sprache rein kommen. Es kommt mit dem Hunger nach Rhythmus und nach Lauten auf die Welt, weil es auch schon vorher bestimmte rhythmische Erlebnisse hat durch den Herzschlag der Mutter, durch die Stimme der Mutter, wenn die Mutter singt – da ist das Kind schon in einem bestimmten Schwingungskosmos drin. Wenn es auf die Welt kommt, ist das erstmal ein völliger Szenenwechsel, dann spielt diese rhythmische und akustische Grundversorgung eine ganz wichtige Rolle, damit das Kind überleben kann, und: Damit die Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt werden können, die das Kind braucht, um sich auf dieser Welt zu entwickeln, zu wachsen, ein menschliches Wesen zu entfalten.

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Was würde also mit einem Kind passieren, das ganz ohne Musik aufwächst?

Vahle: Das könnte kein Mensch werden, es würde kommunikativ verarmen. Auch der Organismus könnte sich nicht ganz entwickeln, weil das Sprechen und das Singen etwas ist, was den Atem und der ganzen organistischen Entwicklung und der Aufrichtung einen Auftrieb gibt. Das vergisst man oft, man meint, der fertige Mensch fängt an zu sprechen. Aber es ist nicht so. Der Mensch wird  durch das Sprechen – Singen! – erst zum Menschen. Und erst dadurch kann sich der menschliche Organismus heranbilden. Sprechen und Singen kann man nicht trennen, das geht vielleicht später in der Schule. Da wird dann in die Fächer "Deutsch“ und "Musik“ eingeteilt. Aber jede Mutter, die mit ihrem Kind spricht, macht das über bestimmte melodische Muster. Und es kommt darauf an, den natürlichen Kontakt zu dem Kind zu bekommen - also auch schon während der Schwangerschaft Lieder für das Kind zu singen halte ich für sinnvoller, als es mit Musik zu beschallen. Denn das spürt ja jeder: Singen geht durch die Schwingungen der Stimmbänder auch nach innen.

"Ich hatte ein Bedürfnis nach Musik und nach Singen"

Sind Sie in einer musikalischen Familie aufgewachsen? Haben Sie als Kind viel gesungen?

Vahle: Meine Eltern sind beide Maler. Meiner Mutter ist bei den Nazis das Singen verleidet worden. Sie musste beim BDM deutsche Volkslieder singen und hat für mich kaum gesungen, auch meine Großmutter nicht. Mein Vater hatte ein paar Lieder vom CVJM, viel war das allerdings nicht. Aber ich hatte ein Bedürfnis nach Musik und nach Singen: Als Vierzehnjähriger bin ich in die Jugendgruppe gegangen, da haben wir gemeinsame Fahrten gemacht und zusammen am Lagerfeuer gesungen. Später, als Studenten sind wir herumgezogen und haben in Kneipen mit Singen Geld verdient, manchmal an einem Abend 500 DM. Sonst bin ich gar nicht so besonders musikalisch. Ich hatte keine auffällig schöne Stimme oder so. Aber ich habe immer sehr gerne gesungen.

Inwiefern hat sich Ihr Publikum verändert?

Vahle: Die Kinder sind auf jeden Fall jünger geworden, früher kamen viel mehr Schulkinder zu meinen Konzerten. Wenn ich an Schulen gehe, habe ich sehr gute Resonanz. Aber: Die Schulkinder würden nicht in meine Konzerte kommen. Das war früher anders. Es hängt mit der ganzen Entwicklung zusammen – die neue Medien und dass die Kinder heute ganz andere Möglichkeiten haben, ihre Freizeit zu verbringen.

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Heute haben die älteren Kinder ihre MP3-Player und hören dadurch andere Arten von Musik. Während der Konzerte merke ich diese Mediennutzung aber nicht direkt, denn ich versuche, die Kinder in einen lebendigen Dialog rein zu bringen und da machen sie auch mit.

Haben sich dadurch Ihre Lieder auch thematisch verändert?

Vahle: Das ältere Publikum konnten wir früher mit anderen Themen konfrontieren als die jüngeren heute. Früher war in den Texten auch Sozialkritik drin, wir haben politische Themen aufgegriffen. Es ging um Abrüstung, Frieden, Mieterprobleme. Und um Fragen: Wie ist es, wenn Menschen aus anderen Ländern hier her kommen, vertragen sich die Kinder? Ich habe versucht, in das Kinderlied eine bestimmte literarische Qualität reinzubringen. Und auch eine ethische. Es geht mir also auch um das Sagen, nicht nur um reine Kinderunterhaltung.

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Später fing ich an, mich mit bestimmten Bewegungslehren praktisch zu befassen: mit Tai Chi, Qi Gong und Feldenkrais. Dadurch kamen die Bewegungslieder dazu. Mir geht es dabei um eine Einheit von geistiger und körperlicher Beweglichkeit. In letzter Zeit habe ich auch sehr viele spirituelle Kinderlieder geschrieben. Ich mache bei uns im Dorf einen Singkreis, bei dem wir Lieder aus unterschiedlichen religiösen Traditionen singen - christliche Lieder, aber auch indianische, afrikanische Musik. Es wird wahrscheinlich eine CD herauskommen, auf der diese Lieder den Schwerpunkt bilden.