Der Gott Israels unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den Göttern der Nachbarvölker: Man sieht ihn nicht. Er ist keine Statue, kein Kunstwerk, kein Naturdenkmal. "Ich werde sein, der ich sein werde" ist sein Name, den er gegenüber Mose nennt (2. Mose 3,14) - der Gott, der verspricht, seinem wandernden Volk vorauszugehen durch alle Lebenslagen und Gefahren. Ein sichtbares Bild von ihm brauchen sie nicht, nur Vertrauen. Und Mose wird stinksauer, als er sieht, dass das Volk sich ein goldenes Kalb gebastelt hat, genau in dem Moment, als er selbst von Gott die Zehn Gebote erhielt (2. Mose 32, 1-14).
Offenbar ist es schwer für Menschen, auf einen Gott zu vertrauen, den sie weder sehen noch hören noch anfassen können. Ganz selbstverständlich wurde und wird deswegen Gott selbst seit Jahrhunderten von Künstlern dargestellt, vor allem als Wandmalerei in Kirchen. Christus am Kreuz hängt tausendfach in katholischen und lutherischen Kirchen – mit dem Argument, in Jesus habe sich schließlich Gott selbst als Mensch und damit als Bild offenbart. Du sollst dir kein Bildnis machen?
Verehrung erlaubt, Anbetung verboten
In der Ostkirche entstand im 6. und frühen 7. Jahrhundert eine eigene neue Bildgattung: Die Ikonen. Das Heiligenbild könne die Verehrung des Gläubigen an den Heiligen selbst übermitteln und umgekehrt dessen Hilfe zum Gläubigen herabkommen lassen, so stellte man sich die Vermittlungsleistung der Ikonen vor. Praktisch: Auf kleinen Täfelchen konnten die Heiligen im Reisegepäck mitgenommen werden. Im großen Bilderstreit der Ostkirche im 8. Jahrhundert wurde die Bilderverehrung verboten, im 9. Jahrhundert aber wieder erlaubt – wohlgemerkt die Verehrung, nicht die Anbetung der Bilder. Anbetung gebührt nur Gott allein.
In der Westkirche verlief die Diskussion ganz ähnlich: Es gab Befürworter und Gegner der Bilderverehrung, und auch hier unterschied man zumindest theoretisch zwischen Verehrung der Bilder (Weihrauch und Niederknien war erlaubt) und Anbetung Gottes. Doch selbst Thomas von Aquin (um 1225 - 1274) war der Meinung, ein Kruzifix dürfe angebetet werden wie Christus selbst, da Gott in Christus Mensch geworden sei. Und praktisch war der Unterschied zwischen Verehrung und Anbetung für die gläubige, aber ungebildete Bevölkerung wohl nicht so leicht nachvollziehbar.
Karlstadt und die "Wittenberger Wirren"
Während der Reformation – im frühen 16. Jahrhundert – diskutierten die führenden Theologen in Deutschland und der Schweiz alle Fragen des Glaubens noch einmal genau durch, auch die Sache mit den Bildern. Der Theologe Andreas Bodenstein von Karlstadt (um 1486 - 1541) trieb zunächst die Reformation in Wittenberg voran, und zwar weniger sanft als es Luther wahrscheinlich getan hätte, wenn er schon da gewesen wäre. Karlstadt war der Ansicht, Bilder seien Götzen, und schon das Anschauen sei ein Anbeten. Die Bilder müssten entfernt werden, damit sie die Gläubigen nicht zum Anbeten verleiten. Nach Karlstadts aufwiegelnden Predigten kam es in den "Wittenberger Wirren" 1522 zum Bildersturm: Kruzifixe, Christusdarstellungen und Heiligenbilder wurden aus den Kirchen entfernt.
Dann kam Martin Luther nach Wittenberg und predigte etwas gemäßigter. Luther fand Bilder an sich nicht schlimm, für ihn gehörten sie zu den Dingen, "die unnoettig sein, sondern frey gelassen von gotte, die man halten mag oder nit." Anbeten dürfe man sie aber natürlich nicht. Das Problem dabei war für Luther nicht in erster Linie das Bild, sondern die Vorstellung, der Mensch könne durch eigenes Tun gerecht vor Gott werden. Für ihn zählten keine Werke, also auch keine äußerliche Bilderverehrung, sondern allein das Vertrauen auf Gott. Dafür braucht der Mensch keine Bilder. Sie stören ihn aber andererseits auch nicht, sondern dürfen "zum ansehen, zum zeugnis, zum gedechtnis, zum zeychen" gebraucht werden.
"Götzenkrieg" in Zürich
In Zürich ging es noch heftiger zur Sache als in Wittenberg. Die Stadt versuchte zunächst, den theologischen Streit um die Bilderverehrung vernünftig zu regeln, veranstaltete zwei Disputationen und bat den führenden reformatorischen Theologen Ulrich Zwingli (1484 - 1531) um Rat. Der berief sich auf das biblische Gebot und meinte: Bilder, die auf den Altären verehrt werden, sind von Gott verboten. Man müsse die äußeren Bilder entfernen, um die Götzen aus den Herzen zu entfernen. Nur das Wort lehre Christus erkennen, so Zwingli, die äußere Darstellung lenke vom Wort ab.
Der Rat der Stadt Zürich entschied, dass alle Bilder friedlich aus den Kirchen entfernt werden sollten. Einige Priester widersetzten sich dem. Daraufhin kam es kam zu gewaltsamen Bilderstürmen und Aufständen in vielen Schweizer Gemeinden, in Zürich gar zum "Götzenkrieg". Auch in Genf wurden Bilder aus den Kirchen entfernt. Der dortige Reformator Johannes Calvin (1509 - 64) war der Ansicht, Darstellungen von Gott seien verboten und außerdem überflüssig. Gott müsse im Geist angebetet werden, er zeige seine Gestalt nun einmal nicht. Calvins Betonung liegt dabei auf der Verletzung der Majestät Gottes, nicht – wie bei Luther – auf der Werkfrömmigkeit.
Der Bildersturm der Reformation zog sich ab 1522 durch zahlreiche Städte in Deutschland und der Schweiz und erreichte auch England und die Niederlande. Bilder wurden aus den Kirchen getragen, teilweise zerstört, teilweise aber auch ihren Stiftern zurückgegeben oder verkauft.
In der Folgezeit wurde das Bilderverbot in reformierten Bekenntnisschriften häufiger aufgegriffen als in lutherischen. So lautet beispielsweise die Frage und Antwort 98 im Heidelberger Katechismus: "Dürfen denn nicht die Bilder als 'der Laien Bücher' in den Kirchen geduldet werden? – Nein; denn wir sollen uns nicht für weiser halten als Gott, der seine Christenheit nicht durch stumme Götzen, sondern durch die lebendige Predigt seines Wortes unterwiesen haben will." Nach reformierter Theologie steht im Gottesdienst das zu predigende Wort im Vordergrund – deshalb finden sich in reformierten Kirchen bis heute meistens weder Bilder noch Kruzifixe an den Wänden.
Wort-Bilder statt Bild-Bilder
Der Glaube an Gott – so könnte man einwenden – funktioniert aber doch nicht ohne Bilder, und selbst die Bibel ist voll davon: Gott wird als Vater, als Hirte, als Licht, als Mutter, als Weingärtner und als vieles andere beschrieben. Doch das alles sind "Wort-Bilder", keine "Bild-Bilder", erklärt der reformierte Theologe Michael Weinrich.
Es geht dabei nicht um eine feststehende Lehre darüber, wer Gott ist, sondern es geht darum, wie er sich jeweils zu uns in Beziehung setzt und wir uns zu ihm. "Wir kennen Gott nur als den, der an uns handelt und der sich in seiner Aktion zu erkennen gibt." Mal ist Gott zu uns wie ein Hirte, mal wie ein Vater, mal wie eine Mutter. "Immer wenn wir im Begriff sind, uns gleichsam mit einem möglichst schönen Bild von Gott einzurichten, meldet sich das Bilderverbot zu Worte: [...] Du sollst dir kein Bildnis machen, sondern auf die Bilder achten, in denen Gott in eine Beziehung zu dir getreten ist", so Weinrich. Gott selbst kommt auf uns zu in dem einen oder anderen Wort-Bild, immer wieder neu und immer wieder anders. Er ist eben kein totes Bild, sondern lebendiger Gott.
Dieser Artikel erschien erstmals auf evangelisch.de am 1. Juni 2013.