Nach monatelanger Blockade ist wieder Bewegung in die Auseinandersetzung um das kirchliche Arbeitsrecht gekommen. In Niedersachsen verständigten sich die Diakonie und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sowie der Marburger Bund auf Lohnerhöhungen für die rund 30.000 Beschäftigten in kirchlichen Altenheimen und Krankenhäusern.
Über die Folgen der Einigung beriet am vergangenen Freitag der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover. Die evangelische Kirche überarbeitet derzeit die Grundsätze ihres Arbeitsrechts und will im Herbst eine Reform verabschieden. Sie reagiert damit auf Vorwürfe, die Tarifgestaltung in diakonischen Einrichtungen sei kaum noch nachvollziehbar und führe zu Niedriglöhnen, mehr Leiharbeit und der Ausgliederung von Einrichtungen in Billiglohn-Branchen. Nach Angaben der EKD sind die Löhne allerdings in der Regel höher als bei anderen Anbietern in der Sozialbranche.
Ein großer Schritt
In Niedersachsen haben sich Diakonie und Gewerkschaften nicht nur über Lohnerhöhungen zwischen 2,5 und 5,5 Prozent verständigt, sondern darüber hinaus vereinbart, eine Sozialpartnerschaft anzustreben. Bis zum April 2014 wollen sie einen Tarifvertrag abschließen, dem die Landeskirchen zustimmen müssen. Sie haben die Einigung bereits begrüßt. Ähnliche Regelungen gibt es in der Nordkirche und in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische-Oberlausitz.
Die Bestrebungen in Niedersachsen gehen aber weiter. Bis zum Jahr 2020 wollen Diakonie und Gewerkschaften einen Flächentarif Soziales für die rund 425.000 Beschäftigten in der niedersächsischen Sozialbranche erreichen. Das hätte bundesweit Modellcharakter.
Die kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kerstin Griese, sprach von einem großen Schritt. Griese, die von 2009 bis 2010 dem Bundesvorstand der Diakonie angehörte, setzt sich mit Unterstützung ihrer Partei für einen bundesweiten Branchentarif Soziales ein, um dem verbreiteten Lohndumping zu begegnen. Dafür müssen die kirchlichen Arbeitgeber mit rund 1,3 Millionen Beschäftigten ins Boot. Jede Einigung mit Gewerkschaften stärkt die Hoffnung der SPD und auch von Teilen der Grünen, dass dies möglich ist.
Strittige Frage nach dem Streikrecht bleibt offen
Wie das aber in der Praxis funktionieren soll, ohne dass die Kirchen ihr eigenes Arbeitsrecht aufgeben, ist seit Jahren der Gegenstand hitziger Debatten zwischen Kirchen, Gewerkschaften und Politik. Bekanntester Streitpunkt ist das Streikrecht. Streik und Aussperrung sind in kirchlichen Einrichtungen verboten. Dienstgeber und Dienstnehmer handeln in arbeitsrechtlichen Kommissionen ohne Beteiligung der Gewerkschaften Löhne und Arbeitsbedingungen aus, notfalls mit Hilfe eines Schlichters. Für die Gewerkschaften hingegen sind Tarifverhandlungen und der Arbeitskampf zur Durchsetzung ihrer Forderungen ein unverzichtbares Grundrecht.
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hatte im November vorigen Jahres entschieden, dass kirchlichen Beschäftigten das Streiken nicht grundsätzlich verboten werden kann - zugleich aber das eigenständige Arbeitsrecht der Kirchen bekräftigt. Ver.di hat gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der Gewerkschaft reicht es nicht, dass das Gericht ihr lediglich mehr Mitwirkungsmöglichkeiten im Rahmen des kirchlichen Arbeitsrechts zugestanden hat.
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Der weiter schwelende Konflikt ist der Grund, warum EKD-Sprecher Reinhard Mawick die Ausstrahlung der niedersächsischen Einigung zurückhaltender beurteilt als die SPD-Politikerin Griese. Es sei gut, dass etwas in Bewegung komme, sagt er. Die Verständigung sei aber auch der Tatsache geschuldet, "dass die strittige Frage nach dem Streikrecht offengeblieben ist".
Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler übt sich ebenfalls in Zurückhaltung. Die Einigung ebne den Weg zu einem Tarifvertrag, sagt sie und nennt die Vereinbarung einen "bedeutsamen Schritt". Er zeige, "dass Verhandlungen zwischen ver.di und Diakonie durchaus möglich sind". Weiter will aber auch sie einstweilen nicht gehen.