Michael Althaus und Anabela Brandao flechten gerade die letzten Korrekturen ein, texten Bildunterschriften und kontrollieren das Layout. Ihr Magazin "Wie glaubt der Norden?" erscheint Ende der Woche als Sonderbeilage des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages (sh:z). 36 Seiten Reportagen über Religion haben Althaus und Brandao zusammengetragen: Ein Schamane aus Neumünster, der die germanische Götterreligion "Asatru" ausübt, ein 32-Jähriger aus Lauenburg, der gerade zum Diakon geweiht wurde, ein Landwirt aus der Nähe von Kiel, der seit 25 Jahren Buddhist ist und auch auf dem Trecker meditiert, Atheisten, Muslime, Freikirchler – und vieles mehr.
"Wir wollten wissen, wie die Menschen in unserem Bundesland zur Religion stehen, welche Rolle sie in ihrem Leben spielt und wie sie sie ausleben", erklärt Michael Althaus. "Unser Magazin zeigt: Religiösität ist hier sehr vielfältig und lebendig."
Ein aufwändiges Projekt, das die beiden 26-Jährigen neben ihrer Hauptarbeit als Volontäre in der Lokalredaktion des sh:z in Itzehoe umgesetzt haben. Und eines, das Verlagen in der andauernden Medienkrise eigentlich zu teuer ist. "Damit es trotzdem solche aufwändige journalistischen Leistungen geben kann, müssen Journalisten eben auch auf andere Finanzierungsmodelle zurückgreifen", sagt Althaus. Die 2.500 Euro Druckkosten haben 75 Spender über die erste deutsche Journalismus-Crowdfunding-Plattform "Krautreporter" finanziert. "Ohne sie hätte es das Projekt nicht gegeben", sagt Michael Althaus.
Assoziation mit Sauerkraut
Althaus und Brandao haben ein in der deutschen Journalismusforschung und unter Journalisten zwar viel diskutiertes, aber hierzulande praktisch kaum vorhandenes Modell für ihre Religionsrecherchen ausprobiert: Crowdfunding. Der Schwarm – die "crowd" – zahlt für die von Journalisten vorgestellte Idee. In den USA hat sich das Modell inzwischen etabliert: Auf Plattformen wie spot.us wird seit 2008 Recherchejournalismus finanziert und umgesetzt. Und seit Februar mit "Krautreporter.de" auch in Deutschland. "Kraut" steht dabei für die Deutsch ausgeprochene "crowd", aber ebenso für das mit Deutschland assoziierte Sauerkraut – ein Namensgag, ausgedacht um vor allem im Netz zu wirken.
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"Vor allem wird hier zu hundert Prozent Journalismus finanziert", sagt Sebastian Esser, der die Plattform zusammen mit Kollegen Wedelin Hübner gegründet hat. "Journalisten stellen ihre Ideen und die Summe, die sie dafür benötigen, vor. Überzeugen sie genügend Menschen von ihrem Projekt, kommt das Geld zusammen und die Idee wird Realität."
Für die Journalisten heißt das auch, dass sie schon vor der Realisierung über ihre Geschichte diskutieren – und sie vielleicht auch verändern. Das haben auch die norddeutschen Volontäre erlebt. "Bei 400 Euro stagnierte unser Projekt zunächst", erzählt Michael Althaus. "Und wir bekamen E-Mails vom Publikum, dass sie die Idee zu allgemein finden und sich nichts darunter vorstellen können." Die beiden überlegten sich mehr konkrete Geschichten, stellten sie unter ihre Projektpräsentation – und schafften dann doch ihre Wunschsumme nach den vorher festgelegten 30 Tagen.
Für Leser, die sich guten Journalismus wünschen
"Wir mussten schon viel Zeit investieren, um die Crowd zu überzeugen", sagt Althaus. Hätte es nicht geklappt, wären nach dem "Alles oder Nichts-Prinzip" die 400 Euro zurück an die Spender gegangen. Denn "Alles oder nichts" ist eine der Spielregeln bei den Krautreportern. "Es sind ja keine Fantasiesummen, sondern das, was die Autoren für die Realisierung ihrer Idee brauchen. Es ist eine Vorfinanzierung", sagt Esser, der allen Anwärtern zu viel Transparenz rät, "damit die Geber die Finanzierung auch nachvollziehen können."
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Gespendet werden Beträge ab fünf Euro, die meisten Projekte geben sich zwischen vier und sechs Wochen Zeit, um den Betrag zu erreichen. Die Spender sind Menschen, die das Projekt interessiert, und die es umgesetzt sehen wollen – Leser, die sich guten Journalismus wünschen und auch gerne mit den Autoren vorher diskutieren. Die anderen Regeln bei Krautreporter: Jeder stellt sich und sein Projekt mit Text und Video vor. Und: Die Autoren sind Journalisten.
"Es war eigentlich überhaupt nicht schwierig, die Plattform auf die Beine zu stellen", sagt Esser, der sich irgendwann daran störte, dass "in Deutschland immer über spendenfinanzierten Journalismus diskutiert wird, er aber gar nicht ausprobiert wird." Ist ein Projekt erfolgreich finanziert, gehen fünf Prozent der Spenden an die Plattform. "Das reicht, um das hier aufrecht zu erhalten", sagt Esser, der nebenbei weiter als freier Journalist arbeitet. Die anderen 95 Prozent finanzieren das Rechercheprojekt – entstehende Reisekosten, Produktionskosten wie in Schleswig-Holstein, technische Hilfsmittel und die Arbeitszeit der Reporter.
15 Projekte wurden seit Beginn der "Krautreporter" bereits erfolgreich finanziert. "Wir haben in vier Monaten 70.000 Euro gesammelt", sagt Esser. "Den Menschen in Deutschland ist Recherchejournalismus durchaus etwas wert."
"So sollte Wirtschaftsjournalismus an sich immer arbeiten"
Für Carolyn Brauns Projekt fehlen noch gut 1.000 Euro. Zusammen mit drei Kollegen will die freie Wirtschaftsjournalistin illegalen Handel mit Elektroschrott aufdecken. "Was passiert mit meinem Schrottfernseher? Eine Verfolgungsjagd per GPS" ist die Arbeitsüberschrift für Recherche, die sich Braun und ihr Team von "Follow the money" – ein Zusammenschluss freier Wirtschaftsjournalisten – überlegt haben.
Die Idee: Die Profiteure des Elektroschrotthandels per GPS aufspüren, den Weg eines Schrottfernsehers von einem deutschen Bürgersteig bis nach Afrika oder Asien nachzeichnen und die Geschichten der Menschen zu erzählen, die ihn dabei in den Händen halten – mit ihm Profit machen oder sich an ihm die Gesundheit ruinieren. Die Journalisten folgen dabei kleinteilig der Spur des Geldes – die Grundidee von "Follow the money". "So sollte Wirtschaftsjournalismus an sich immer arbeiten", sagt Braun.
"Die Vorrecherche für unser Krautreporterprojekt zeigt, dass deutscher Elektromüll in Afrika und Asien unter für Menschen und Umwelt sehr schädlichen Bedingungen ausgeweidet wird", berichtet die 37-Jährige. Die "Follow the money"-Reporter wollen deshalb Elektroschrott mit Peilsendern ausstatten, ihn in Wertstoffhöfen oder auf den Bürgersteigen entsorgen und anschließend verfolgen. "Weil wir noch nicht genau wissen können, welche konkreten Geschichten daraus entstehen werden und was davon wir entsprechend Verlagen anbieten können, fanden wir die Idee geeignet für Crowdfunding", erklärt Braun.
"Wahrscheinlich werden wir noch draufzahlen"
4.950 Euro will ihr Team als Vorfinanzierung sammeln: Für spezielle Peilsender, Reisekosten und eine interaktive Webseite, auf der die Geschichte erzählt wird. "Wahrscheinlich werden wir noch draufzahlen", sagt sie. "Aber das ist uns das Thema wert." 3.922 Euro sind bereits zusammen, gegeben von 114 Unterstützern (Stand 28. Mai).
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"Viele Menschen schreiben den Autoren, die bei uns ihr Projekt vorstellen und geben ihnen Hinweise", sagt Plattform-Gründer Esser. "Seine Idee im Vorfeld der Öffentlichkeit zu präsentieren, kann die Tür zu neuen, nie geahnten Quellen öffnen." Den Verlagsjournalismus retten oder ersetzen kann Crowdfunding aber nicht, glaubt Esser. "Es ist eine weitere Möglichkeit, für Journalismus Geld zu bekommen und vor allem für freie Autoren eine Möglichkeit, Aufwändiges umzusetzen." Ideen und Recherche Know-How gibt es Essers Ansicht nach in Deutschland ausreichend. "Es ist auch keine Journalismus-Krise, die wir haben, sondern eine Krise der angestammten Medien."
Pro Woche bekommt Esser zurzeit einen Themenvorschlag. Nicht alle sind für seine Plattform geeignet. "Es kommen auch Projektevorschläge, die sich eher für NGOs eignen oder für Plattformen, die künstlerische Beiträge finanzieren", sagt Esser. "Uns geht es ausschließlich um guten Journalismus."