Warum, denken Sie, gibt es so einen starken – sogar gewaltsamen – Widerstand gegen die "Homo-Ehe" in Frankreich?
Elisabeth Saint-Guily: Ich weiß es nicht. Wir waren sehr enttäuscht. Denn vor dem Gesetzesvorhaben der "Ehe für alle" liefen die Dinge für uns Homosexuelle eigentlich immer besser, besonders in den Kirchen. Seit einigen Jahren hatte die Bewegung "David und Jonathan" es geschafft, auf lokaler Ebene einen interessanten Dialog zu führen. An mehreren Orten in Frankreich sind Leute von den Kirchen zu uns gekommen, um uns um Hilfe zu bitten: Sie wussten nicht, was sie tun sollten, wenn Jugendliche sich in den Jugendgruppen als homosexuell outeten.
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Dann ist François Hollande Präsident geworden und hat versprochen, dieses Gesetz zu machen. Das war für uns zunächst keine Überraschung. Dann war es aber so, als ob einige Menschen plötzlich mit einer großen Angst erwacht wären. Ich empfinde es so, dass sie nicht ihre Intelligenz benutzen, sondern einfach Angst haben. Und plötzlich gab es diese großen Demonstrationen. Man muss allerdings unterscheiden: Einige Leute sind gewalttätig und extrem rechts unternehmen Aktionen gegen fortschrittliche Bewegungen. Aber es gibt auch viele gemäßigtere Leute, und ich glaube, die öffentliche Meinung wurde durch die Anführer dieser Bewegung gegen das Gesetz stark manipuliert.
Das Schwierigste für uns war, dass sie die Worte verdreht haben. Zum Beispiel sagen sie, dass die Homo-Ehe den Kindern schaden würde. Ziel war eigentlich, durch die Möglichkeit der Adoption das Leben der Kinder und ihrer Familien zu erleichtern. Ein anderes Beispiel: Sie sagen, sie seien gewaltlos wie Gandhi, aber in Wirklichkeit ist das, was sie sagen, für uns sehr verletzend - wenn sie zum Beispiel sagten, wir seien nicht geeignet, Kinder großzuziehen. Es gibt doch schon viele homosexuelle Eltern in Frankreich. Die Leute sagen, sie seien nicht homophob, aber sie sind gegen die rechtliche Gleichstellung.
"Das ist für viele homosexuelle Christen unerträglich"
Was meinen Sie mit Angst? Angst wovor?
Saint-Guily: Naja, sie wissen nicht wirklich, was Homosexualität ist. Sie glauben, dass wenn unser Leben einfacher wird, dass es dann womöglich mehr Homosexuelle in der Bevölkerung geben wird, was absolut falsch ist. Der Anteil bleibt immer gleich. Wir würden allerdings sichtbarer werden und wir wären glücklicher. Sie dagegen würden es vorziehen, wenn wir uns verstecken würden.
Ist es schwierig, in Frankreich Christin und homosexuell zu sein? Gibt es Diskriminierung, die biblisch begründet wird?
Saint-Guily: Ja, das ist für viele von uns bei "David und Jonathan" sehr verletzend. Unsere Bewegung ermutigt dazu, in unseren Pfarrgemeinden zu bleiben, wir sind keine "Gay-Church". Wir sehen es als Berufung an, da wo wir sind mit den Leuten in Dialog zu treten – es zumindest zu versuchen. In einigen Kirchen gab es Appelle, an den Demonstrationen gegen das Homo-Ehe-Gesetz teilzunehmen, und das ist für viele homosexuelle Christen unerträglich. Die Verantwortlichen in diesen Kirchen haben nicht mit der Basis geredet, bevor sie Position bezogen haben.
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Welche Erfahrung haben Sie persönlich in Ihrer Kirche gemacht?
Saint-Guily: Da, wo ich wohne, ist die Arbeitslosigkeit hoch, und die katholische Kirche ist ziemlich progressiv, sie ist immer an der Seite der Armen. Es gibt viele einflussreiche linksorientierte Christen im Norden Frankreichs. In meiner Kirche gab es Veranstaltungen zum Thema Homosexualität, die gut verlaufen sind. Meine Partnerin Géraldine und ich sind zusammen mit anderen Homosexuellen hingegangen.
Die Idee eines Abends war zum Beispiel, homosexuelle Menschen kennen zu lernen, bevor man sich überhaupt eine Meinung zu dem Gesetz bildet. Das war sehr konstruktiv. Es gibt durchaus Christen in Frankreich, die mit dem Gesetzesvorhaben zur "Homo-Ehe" einverstanden sind und die vielleicht dank dieses Gesetzes etwas besser sichtbar geworden sind. Es ist mir wichtig zu betonen, dass es heterosexuelle Menschen gibt, die uns unterstützen.
"Ich glaube, dass das nah am Evangelium ist, selbst wenn es um die Zivilehe geht"
Ist die Frage der Homo-Ehe Ihrer Meinung nach eine Frage des christlichen Glaubens oder nicht?
Saint-Guily: In Frankreich sind Staat und Kirche strikt getrennt. Man unterscheidet sehr scharf zwischen der zivilen Eheschließung und der religiösen Trauung. Meine Partnerin und ich haben 2010 eine religiöse Segnungs-Zeremonie für uns organisiert, aber das haben wir uns selbst ausgedacht - eigentlich gibt es so etwas nicht.
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Ich denke, die Christen und die Kirchen sollten sich einfach freuen und sich glücklich schätzen, dass Homosexuelle heiraten wollen, also für lange Zeit in einer Partnerschaft bleiben wollen. Ich glaube, dass das nah am Evangelium ist, selbst wenn es um die Zivilehe geht. Unglücklicherweise haben viele die positive Seite dieser sozialen Forderung noch nicht erkannt – die Forderung der Homosexuellen, zivil heiraten zu dürfen. Es gibt einige wenige Christen und Pastoren, die sehen, dass das eine gute Botschaft ist.
Glauben Sie, dass es eines Tages in den Kirchen Segnungen für homosexuelle Paare geben wird?
Saint-Guily: Ja, das hoffe ich sehr! Ich weiß aber nicht, ob ich das noch erleben werde. Ich glaube auch, dass man unterscheiden muss: Auf Segnungen können wir wohl hoffen, aber eine Eheschließung als Sakrament, was es ja in der katholischen Kirche ist, die wird es wohl nie geben. So ist es vielleicht auch besser. Denn die "Falle" in der katholischen Kirche ist ja, dass man sagt, die religiöse Heirat sei wie eine Verbindung zwischen Gott und den Menschen, deswegen ist eine Scheidung nicht möglich. Das finde ich sehr schwierig, weil es Druck auf die Paare ausübt. Deswegen ziehe ich die evangelische Segnung vor. Ich hoffe natürlich trotzdem, dass die Paare zusammen bleiben und sich nicht scheiden lassen, aber ich weiß ja, dass das manchmal schwierig ist. Bei "David und Jonathan" fordern wir nicht das Sakrament der Ehe für homosexuelle Paare, wir fordern aber die Segnung.