Wie befreiend Talkshows doch auf den Zuschauer wirken können! Politiker, Unternehmer, Promis und andere Vertreter der Welt jenseits des eigenen Lebens diskutieren über Probleme, die uns beschäftigen, an denen wir aber selbst nichts ändern können. Schuldenpolitik zum Beispiel. Wir schauen beim Streiten zu und kommen nach einer Stunde ergebnisoffener Diskussion zu dem Schluss, dass "die da oben" nicht wirklich schlauer sind als wir. Aber sie sind verantwortlich für das, was schief läuft.
Wenn aber nicht über Schulden sondern über die Schuld an sich diskutiert wird, ist die Sache schwieriger. "Sind wir schuld am Tod der Näherinnen?" fragte die Redaktion von Günther Jauch. Die Frage bezog sich auf die über 1.000 Menschen, die am 24. April beim Einsturz einer Fabrik in Bangladesch ums Leben kamen. Und das "Wir" meinte nicht nur die Gäste in Jauchs Runde sondern alle, auch den Zuschauer. Die verunglückten Menschen haben unter schlechtesten Bedingungen billige Textilien hergestellt, von denen jeder welche im Schrank hat.
Eine grundsätzliche Debatte
Nicht nur Discounter produzieren billig, sondern auch Markenfirmen. Und ein "Made in Europe" im Etikett muss nicht bedeuten, dass ein Kleidungsstück wirklich zu hundert Prozent in Ländern hergestellt wurde, wo der Gesetzgeber gute Arbeitsbedingungen regelt. Ist damit nicht die Frage schon beantwortet? Wie können wir Schuld haben, wenn wir beim Kleidungskauf nicht einmal transparent und ehrlich informiert werden? Wenn wir selbst dann unmoralisch handeln, wenn wir moralisch handeln wollen?
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Kein Wunder, dass Jauchs Gäste schnell in eine eher philosophische Debatte gerieten. Im Interview stellte Nazma Akter - eine ehemalige Näherin aus Bangladesch, die sich für bessere Arbeitsbedingungen in ihrem Land engagiert - klar: "An dem Tod der Menschen sind wir alle schuld. Die Regierung, die Fabrikbesitzer, die Einkäufer und auch die Konsumenten." Ein Hauptproblem sei, dass die Firmen meistens über Subunternehmer ihre Arbeiten erledigen lassen würden. "Direkte Geschäfte würden für deutlich bessere Bedingungen sorgen."
Das ist das Problem unserer Märkte: Es haben sich Mechanismen entwickelt, die es erlauben, sich unmoralisch zu verhalten, ohne sich dabei schlecht zu fühlen. Die Textilunternehmerin Sina Trinkwalder betonte daher: "Die Verantwortung ist nicht beim Konsumenten, sondern beim Unternehmer zu suchen." Sie selbst stelle ihre Waren nur in Deutschland her. Warum produziere man überhaupt in Ländern, wo Ausbeutung betrieben wird? "Weil es nicht möglich ist, die Masse von Produkten allein in Europa herzustellen", erklärte Gisela Burckhardt, die sich bei Femnet e.V. für bessere Arbeitsbedingungen für Frauen einsetzt - unter anderem in Bangladesch. Sie forderte, das ein strengerer Handelsrahmen für Unternehmer her müsste. "Sie müssen berichten und haftbar gemacht werden."
Vorschriften für die Moral?
Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) war überzeugt, dass wir bereits auf einem sehr guten Weg sind, diesen Rahmen zu schaffen. Nach dem schrecklichen Unglück in Bangladesch haben zahlreiche Unternehmen ein Arbeitsschutz-Abkommen unterzeichnet, das etwa Renovierungsarbeiten in Firmen verpflichtend macht und erlaubt, Sicherheitsinspektoren in Billiglohn-Ländern einzusetzen.
Ranga Yogeshwar - der WDR-Moderator spielte einmal nicht die Rolle des Wissenschafts-Experten, sondern die des gewissenhaft handelnden Normalbürgers - bezweifelte, dass das Abkommen weit genug ginge. Es sehe beispielsweise keine Sanktionen vor. "Es gibt ja auch strenge Verkehrsregeln, die dafür sorgen, dass ich mich moralisch auf der Straße verhalte. Warum gibt es ähnliche Regeln nicht auch hier?" Niebels Antwort: "Wir können Länder wie Bangladesch nicht von Deutschland aus regieren. Aber wir können ihnen helfen, selbst die richtigen Bedingungen zu schaffen."
Was also ist die Erkenntnis dieser Runde bei Günther Jauch? Ja, wir und unsere Gesellschaft tragen Schuld an Katastrophen wie der in Bangladesch. Doch moralisch handeln können wir nur innerhalb von Vorschriften. Und die wiederum kann der Zuschauer, dem zu Beginn der Sendung noch ein schlechtes Gewissen gemacht wurde, nicht bestimmen. Das versetzt uns wieder in die angenehme und gleichzeitig bittere Lage, Schuld von uns wegschieben zu können.